Seite:Die Gartenlaube (1890) 351.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

hierherzueilen. Wie steht es? Kann ich Herrn von Wallmoden sehen?“

Stadinger, der den Ankömmling empfing, antwortete in leisem Tone etmas Unverständliches, das wohl die Wahrheit verrathen mochte, denn der Fremde fragte hastig: „Ich komme doch nicht zu spät?“

„Ja, mein Herr, heut nachmittag starb Herr von Wallmoden!“

Es folgte eine kurze Pause, dann sagte der Fremde dumpf, aber fest: „So führen Sie mich zu seiner Witwe – melden Sie ihr den Oberst von Falkenried!“

Stadinger schritt voran, und ihm folgte eine hohe Gestalt im Mitärmantel, von der man in der halbdunklen Eingangshalle nur die Umrisse erkennen konnte. Die beiden waren längst in den unteren Zimmern verschwunden, und noch immer stand Hartmut, auf das Geländer der Treppe gestützt, und starrte hinunter. Erst als Stadinger allein zurückkam, raffte er sich zusammen und kehrte in sein Gemach zurück.

Wohl eine Viertelstunde lang schritt er hier ruhelos auf und ab. Es war ein stummer, schwerer Kampf, den er kämpfte: er hatte ja nie seinen Stolz beugen, nie sich unterwerfen können, und er mußte sich tief beugen vor dem schwerbeleidigten Vater, das wußte er. Aber dann kam wieder die heiße, brennende Sehnsucht über ihn und wuchs übermächtig an und behielt schließlich den Sieg.

Er richtete sich entschlossen auf. „Nein, jetzt will ich nicht feig zurückweichen! Jetzt sind wir unter einem Dache, dieselben Mauern umschließen uns, nun sei es auch gewagt! Er ist ja doch mein Vater und ich bin sein Sohn!“ –

Die Schloßuhr von Rodeck verkündete in langsamen, dumpfen Schlägen die zehnte Stunde. Es war todtenstill draußen im Walde und ebenso still drinnen in dem Hause, wo ein Todter lag. Der Schloßverwalter und die Dienstleute hatten sich zur Ruhe begeben, ebenso Frau von Eschenhagen. Auch bei ihr forderte die erschöpfte Natur endlich ihr Recht, sie hatte ja ohne Unterbrechung die weite anstrengende Fahrt von Burgsdorf gemacht und dann den heutigen schweren Tag durchlebt. Nur wenige Fenster waren noch matt erhellt, sie gehörten zu den Zimmern, die man Frau von Wallmoden und dem Oberst Falkenried eingeräumt hatte, und die nahe bei einander lagen, nur durch ein Vorgemach getrennt.

Falkenried wollte die junge Frau morgen nach der Stadt zurückgeleiten. Er hatte sie und Regine noch gesprochen und dann lange vor der Leiche des Jugendfreundes gestanden, der ihm gestern noch ein so zuversichtliches „Auf Wiedersehen!“ zugerufen hatte, der damals noch so voll gewesen war von Plänen und Entwürfen für seine Zukunft und seinen neu erworbenen Besitz. Nun war das alles zu Ende! Kalt und still ruhte er auf der Bahre, und kalt und düster stand Falkenried jetzt am Fenster seines Gemaches. Selbst dies furchtbare Ereigniß vermochte es nicht, seine eisige Ruhe zu erschüttern, denn er hatte es ja längst verlernt, den Tod als ein Unglück anzusehen. Das Leben war schwer – nicht das Sterben!

Er blickte schweigend hinaus in die Winternacht und auch er sah den seltsam geisterhaften Schimmer, von welchem das Dunkel draußen erhellt war. Fern am Horizont brannte jetzt dunkelrothe Gluth und der ganze nördliche Himmel erschien wie durchlodert von unsichtbaren Flammen. Röthlich, wie durch einen Purpurschleier, blinkten die Sterne – jetzt zuckten einzelne Strahlen auf, immer zahlreicher, immer höher emporsteigend bis zum Zenith, und unter diesem flammenden Himmel lag kalt und weiß die schneebedeckte Erde – das Nordlicht leuchtete in vollster Pracht.

Falkenried war so versunken in den Anblick, daß er es nicht vernahm, wie die Thür des Vorzimmers geöffnet und wieder geschlossen wurde. Leise öffnete sich nun die nur angelehnte Thür seines eigenen Zimmers; aber der Eintretende machte sich nicht bemerklich, sondern verharrte regungslos auf der Schwelle.

Der Oberst stand noch immer am Fenster, zur Hälfte abgewandt; aber das flackernde Licht der Kerzen, die auf dem Tische brannten, ließ doch deutlich sein Gesicht erkennen, die scharfen, tiefen Linien der Züge und die finstere, gramdurchfurchte Stirn unter dem weißen Haar. Hartmut schauerte unwillkürlich zusammen – so schwer und furchtbar hatte er sich die Veränderung nicht gedacht. Der Mann, der noch in der Vollkraft der Jahre stand, sah ja wie ein Greis aus, und wer hatte ihm dies frühe Alter geschaffen?!

Einige Minuten vergingen in tiefem Schweigen, dann klang ein Ton durch das Gemach, halblaut, flehend, und doch voll mühsam zurückgehaltener Zärtlichkeit, ein einziges, inhaltsschweres Wort:

„Vater!“

Falkenried fuhr zusammen, als habe eine Geisterstimme sein Ohr berührt. Langsam wandte er sich um mit einem Ausdruck, als glaubte er, es sei wirklich Geisterspuk, der sich da vernehmen lasse.

Hartmut that rasch einige Schritte vorwärts und blieb dann stehen.

„Vater, ich bin es! Ich komme –“

Er verstummte, denn jetzt begegnete er den Augen seines Vaters, diesen Augen, die er so sehr gefürchtet hatte, und was darin stand, raubte ihm den Muth, weiter zu sprechen. Er senkte das Haupt und schwieg.

Aus dem Antlitz des Obersten schien jeder Blutstropfen gewichen zu sein. Er hatte nichts erfahren, er ahnte nicht, daß sein Sohn sich unter demselben Dache mit ihm befand, das Wiedersehen traf ihn völlig unvorbereitet; aber es entriß ihm keinen Ausruf, kein Zeichen des Zornes oder der Schwäche: Starr und stumm stand er da und blickte auf den, der einst sein Alles gewesen war. Endlich hob er langsam die Hand und deutete nach der Thür:

„Geh!“

„Vater, höre mich an!“

„Geh’, sage ich!“ Der Befehl klang diesmal drohend.

„Nein, ich gehe nicht!“ rief Hartmut leidenschaftlich. „Ich weiß, daß an dieser Stunde allein die Versöhnung hängt. Ich habe Dich gekränkt, wie schwer und tief, das fühle ich erst jetzt; aber ich war ein Knabe von siebzehn Jahren, und es war meine Mutter, der ich folgte. Bedenke das, Vater, und verzeihe mir, verzeih Deinem Sohne!“

„Du bist der Sohn der Frau, deren Namen Du trägst, nicht der meine!“ sagte der Oberst schneidend. „Ein Falkenried hat keinen Ehrlosen zum Sohn!“

Hartmut wollte auffahren bei dem furchtbaren Worte, das Blut stieg ihm wieder heiß und wild in die Stirn da sah er auf jene andere Stirn unter dem zu Schnee gebleichten Haar, und gewaltsam bezwang er sich.

Die beiden glaubten allein zu sein bei dieser Unterredung in der Stille der Nacht, es schlief ja schon alles im Schlosse, sie ahnten nicht, daß sie einen Zeugen hatten. Adelheid von Wallmoden war nicht zur Ruhe gegangen, sie wußte, daß sie doch keinen Schlaf finden würde nach dem Tage, der sie so jäh und schreckensvoll zur Witwe gemacht hatte. Noch in dem dunklen Reiseanzuge, den sie bei der Unglücksfahrt getragen hatte, saß sie in ihrem Zimmer, als auf einmal die Stimme des Oberst Falkenried an ihr Ohr drang. Mit wem konnte er denn noch sprechen zu so später Stunde? Er war ja ganz fremd hier, und die Stimme klang so seltsam dumpf und drohend! Unruhig erhob sich die junge Frau und trat in das Vorgemach, das die beiden Zimmer voneinander schied, nur auf einen Augenblick, wie sie meinte, nur um zu hören, ob dort drüben nichts geschehen sei. Da vernahm sie eine andere Stimme, die sie kannte, vernahm das Wort: „Vater!“ und wie ein Blitz zuckte die Wahrheit vor ihr auf, die ihr schon die nächsten Worte enthüllten. Wie an den Boden gefesselt blieb sie stehen, aber durch die nur halb geschlossene Thür drang jeder Ton an ihr Ohr.

„Du machst mir diese Stunde schwer,“ sagte Hartmut mit mühsam erzwungener Fassung. „Sei es, ich habe nichts anderes erwartet. Wallmoden hat Dir alles gesagt, ich kann es mir denken; dann konnte er Dir aber auch nicht verschweigen, was ich erreicht und errungen habe. Ich bringe Dir den Lorbeer des Dichters, Vater, den ersten Lorbeer, der mir zutheil geworden ist. Lerne mein Werk kennen, laß es zu Dir sprechen, dann wirst Du es fühlen, daß sein Schöpfer nicht leben und athmen konnte in dem Zwange eines Berufes, der jede Poesie ertödtet, dann wirst Du den unseligen Knabenstreich vergessen.“

Das war wieder Hartmut Rojanow, der jetzt sprach, mit seinem übermüthigen Stolze, seinem hochmüthigen Selbstbewußtsein, das ihn selbst in dieser Stunde nicht verließ, der Dichter der „Arivana“, für den es keine Pflichten und Schranken gab; aber hier fand er einen Fels, an dem er scheiterte.

„Den Knabenstreich?“ wiederholte Falkenried ebenso herb wie vorhin. „Ja, man hat es so genannt, um mir das Verbleiben im Dienste zu ermöglichen; ich nenne es anders, und jeder meiner Kameraden mit mir. Du standest vor dem Fähnrich, in wenigen Wochen wäre es auch vor dem Gesetze schmachvolle Fahnenflucht gewesen, ich habe es nie anders angesehen. Du warst

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_351.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2021)