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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

in den strengen Ehrbegriffen unseres Standes auferzogen und wußtest, was Du thatest, Du warst kein Knabe mehr. Wer dem Waffendienste, den er seinem Vaterlande schuldet, heimlich entflieht, der ist ein Deserteur, wer ein gegebenes Wort bricht, der ist ein Ehrloser! Du hast beides gethan! Aber freilich, über solche Dinge kommst Du und Deinesgleichen leicht hinaus.“

Hartmut biß die Zähne zusammen, er bebte am ganzen Leibe bei diesen schonungslosen Worten, und seine Stimme klang dumpf, halb erstickt, als er antwortete:

„Hör’ auf, Vater, das ertrage ich nicht! Ich habe mich beugen, habe mich unterwerfen wollen, aber Du treibst mich selbst von Dir. Das ist dieselbe grausame Härte, mit der Du auch einst meine Mutter von Dir getrieben hast, ich weiß es aus ihrem eigenen Munde. Wie sich auch später ihr Leben gestaltet hat, wie sich das meine gestaltete durch sie, diese Härte allein hat es verschuldet.“

Der Oberst kreuzte die Arme und ein Ausdruck unsäglicher Verachtung zuckte um seine Lippen.

„Aus ihrem eigenen Munde weißt Du das? Möglich! So tief ist ja keine Frau gesunken, daß sie nicht versuchen sollte, ihrem Sohne eine solche Wahrheit zu verschleiern. Ich wollte Dein Ohr damals nicht entweihen mit dieser Wahrheit, denn Du warst noch schuldlos und rein. Jetzt wirst Du mich ja wohl verstehen, wenn ich Dir sage, daß jene Trennung ein Gebot der Ehre war. Der Mann, der meine Ehre befleckt hatte, fiel von meiner Kugel, und sie, die mich verrieth – sie stieß ich von mir.“

Hartmut erbleichte bei dieser Enthüllung. Das hatte er nicht gewußt, nicht geahnt, er hatte in der That geglaubt, daß nur die Härte, die in dem Charakter des Vaters lag, die Trennung verschuldet habe. Immer tiefer und tiefer sank ihm das Bild der Mutter, die er doch so heiß und leidenschaftlich geliebt hatte wie sie ihn, wenn er es auch bisweilen fühlte, daß sie sein Verderben war.

„Ich wollte Dich behüten vor dem Gifthauche dieser Nähe und dieses Einflusses,“ fuhr Falkenried fort. „Thor, der ich war! Auch ohne das Eingreifen Deiner Mutter warst Du verloren für mich; Du trägst die Züge Deiner Mutter, es ist ihr Blut, das in Deinen Adern rollt, und das hätte sich früher oder später sein Recht erzwungen. Du wärst doch geworden, was Du jetzt bist – ein heimathloser Abenteurer, der kein Vaterland und keine Ehre mehr kennt!“

„Das ist zu viel!“ schrie Hartmut jetzt mit rasender Wildheit auf. „Beschimpfen lasse ich mich von keinem, auch von Dir nicht! Ich sehe es jetzt, daß keine Versöhnung zwischen uns möglich ist; ich gehe, aber die Welt wird anders urtheilen als Du. Sie hat bereits mein erstes Werk gekrönt, und ihr werde ich die Anerkennung abzuzwingen wissen, die der eigene Vater mir versagt.“

Der Oberst sah seinen Sohn an, es lag etwas Furchtbares in diesem Blick; dann sagte er frostig und langsam, aber jedes Wort schwer betonend: „Dann sorge auch dafür, daß die Welt nicht erfährt, daß der ‚gekrönte Dichter‘ vor zwei Jahren in Paris noch – Spionendienste geleistet hat!“

Hartmut zuckte zusammen wie von einer Kugel getroffen.

„Ich, in Paris? Bist Du von Sinnen?“

Falkenried zuckte verächtlich die Achseln.

„Auch noch Komödie? Gieb Dir keine Mühe, ich weiß alles! Wallmoden hat mir die Beweise geliefert für die Rolle, die Zalika Rojanow und ihr Sohn in Paris spielten, ich weiß den Ursprung jener Mittel, mit denen sie das gewohnte Leben fortsetzten, als ihr Vermögen verloren war. Sie waren sehr gesucht von ihren Auftraggebern, denn sie waren äußerst geschickt, und wer ihre Dienste kaufte – der hatte sie!“

Hartmut stand wie entgeistert da. Das also war die furchtbare Lösung des Räthsels, das ihm Wallmoden mit jener Andeutung aufgegeben hatte. Er hatte den Sinn damals nicht verstanden, hatte die Lösung in einer ganz anderen Richtung gesucht; das war es gewesen, was die Mutter ihm verhehlte, wovon sie ihn mit Küssen und Schmeicheln ablenkte, wenn er einmal irgend eine argwöhnische Frage that. Auch zu diesem Letzten, Schmachvollsten war sie herabgesunken, und ihr Sohn war mit ihr geächtet!

Das Schweigen, das nun eintrat, hatte etwas Entsetzliches – es dauerte minutenlang, und als Hartmut endlich wieder sprach, hatte seine Stimme jeden Klang verloren, die Worte kamen abgebrochen, kaum hörbar von seinen Lippen.

„Und Du glaubst – daß ich – daß ich darum wußte?“

„Ja!“ sagte der Oberst kalt und fest.

„Vater, das kannst, das darfst Du mir nicht anthun, die Strafe wäre zu furchtbar! Du mußt mir glauben, wenn ich Dir sage, daß ich keine Ahnung hatte von dieser Schmach, daß ich glaubte, es sei noch ein Theil unseres Vermögens gerettet worden, daß – Du wirst mir glauben, Vater!“

„Nein!“ erklärte Falkenried ebenso starr und unbewegt wie vorhin. Hartmut stürzte außer sich auf die Kniee nieder.

„Vater, bei allem, was Dir heilig ist im Himmel und auf Erden – o, sieh mich nicht so entsetzlich an, Du treibst mich zum Wahnsinn mit diesem Blick! Vater, ich gebe Dir mein Ehrenwort –“

Ein furchtbar wildes Auflachen des Vaters unterbrach ihn.

„Dein Ehrenwort – wie damals in Burgsdorf! Steh’ auf, laß die Komödie, mich täuschest Du nicht damit! Mit einem Wortbruch bist Du von mir geschieden, mit einer Lüge kehrst Du zurück, Du bist der echte Sohn Deiner Mutter geworden. Geh’ Du Deinen Weg, ich gehe den meinen. Nur eins fordere ich, befehle ich Dir! Wage es nicht, den Namen Falkenried neben dem geschändeten der Rojanow zu nennen, laß die Welt nie erfahren, wer Du bist! Geschieht es dennoch, dann kommt auch mein Blut über Dich, denn dann – mache ich ein Ende!“

Mit einem Aufschrei des Entsetzens sprang Hartmut empor und wollte auf den Vater zustürzen, aber dieser wies ihn mit einer gebieterischen Handbewegung zurück.

„Denkst Du vielleicht, daß ich das Leben noch liebe? Ich habe es ertragen, weil ich mußte, weil ich es für Pflicht hielt. Es giebt aber einen Punkt, wo diese Pflicht aufhört, Du kennst ihn jetzt – richte Dich danach!“

Er kehrte seinem Sohne den Rücken und trat wieder an das Fenster. Hartmut sprach kein Wort mehr, stumm, ohne einen Laut wandte er sich zum Gehen.

Das Vorzimmer war nicht erleuchtet, aber es war erfüllt von dem Wiederschein des glühenden Himmels da draußen, und in diesem Scheine stand eine Frau, todtenbleich, die Augen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck auf den Nahenden gerichtet. Er sah auf, und ein einziger Blick zeigte ihm, daß sie alles wußte. Das war das Letzte! Vor dem Weibe, das er liebte, hatte er diese tödliche Demüthigung empfangen, vor ihr war er niedergeworfen in den Staub!

Hartmut wußte nicht, wie er das Schloß verlassen hatte, wie er in das Freie gelangt war, er fühlte nur, daß er ersticken müßte in diesen Mauern, daß es ihn hinausjagte mit Furiengewalt. Er fand sich erst wieder am Fuße einer Tanne, die ihre schneebedeckten Aeste auf ihn niederneigte. Es war Nacht im Walde, kalte, eisige Winternacht; aber droben am Himmel leuchtete fort und fort das geheimnißvolle Licht mit purpurner Gluth, mit zuckenden Strahlen, die sich hoch oben im Zenith zu einer Krone einten – ein loderndes Flammenzeichen!




Es war wieder Sommer geworden, der Juli hatte bereits seinen Einzug gehalten, und in den heißen, sonnendurchglühten Tagen lockte das Waldgebirge unwiderstehlich mit seinen kühlen Schatten und der grünen, duftigen Pracht seiner Thäler und Höhen.

Ostwalden, die Besitzung, die Herbert von Wallmoden noch unmittelbar vor seinem Tode gekauft hatte, ohne daß es ihm vergönnt gewesen war, sie auch nur einen Sommer lang zu bewohnen, hatte seitdem vereinsamt gelegen, aber vor einigen Tagen war die junge Witwe in Begleitung ihrer Schwägerin, der Frau von Eschenhagen, dort eingetroffen. Sie hatte bald nach dem Tode ihres Gemahls die süddeutsche Hauptstadt verlassen, um mit ihrem Bruder, der auf die Trauernachricht sofort zu ihr geeilt war, nach der Heimath zurückzukehren. Ihre kurze Ehe hatte nur acht Monate gewährt, und jetzt trug die noch nicht zwanzigjährige Frau die Witwentrauer.

Regine ließ sich leicht bestimmen, ihre Schwägerin zu begleiten. Die einst so unumschränkt herrschende Gebieterin von Burgsdorf war bei ihrem „Entweder – oder“ geblieben, und da sich Willibald ebenso hartnäckig zeigte, hatte sie ihre Drohung wahr gemacht und war nach der Stadt übergesiedelt, noch während der ersten Trauerzeit um ihren Bruder.

Frau von Eschenhagen täuschte sich aber, wenn sie glaubte, mit diesem letzten Mittel noch eine Wirkung zu erzielen. Sie hatte gehofft, ihr Sohn werde es auf eine wirkliche Trennung doch nicht ankommen lassen, aber es war vergebens, daß sie ihn die ganze Bitterkeit dieser Trennung durchkosten ließ. Der junge

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