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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Halbheft 12.   1890.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Madonna im Rosenhag.
Roman von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)


Prinz Lamoral von Waldburg, von dem General mit jener höflichen Auszeichnung empfangen, auf welche seine hohe Geburt ihm ein Anrecht gab, hatte sogleich mit weidmännischem Scharfblick Cillys dunkellockiges Titusköpfchen in einer dichten, fröhlichen Gruppe erspäht. Rasch ging er auf sie zu und machte ihr eine Verbeugung, wie er sie ehrerbietiger nicht für eine Prinzessin des Königshauses gehabt haben würde. Marie, welche in der Nähe stand, blickte in hochgradiger Spannung und mit einigem Bangen auf Cilly, deren Unberechenbarkeit und gelegentliche Rücksichtslosigkeit sie gut genug kannte. Aber die Tochter des Generals schien das Geheimniß, welches sie der Freundin zur Pflicht gemacht hatte, auch vor dem Urheber des Unfalls vom heutigen Vormittag wahren zu wollen. Sie hätte seine Begrüßung sonst schwerlich mit einem so ruhigen Lächeln erwidern und ihm so bereitwillig die Tanzkarte überlassen können, um die er nach einer etwas süßlichen und gedrechselten Schmeichelei gebeten hatte.

„Ah, Sie sind nicht sonderlich bescheiden gewesen,“ sagte sie nur, indem sie einen Blick auf das zierliche Elfenbeintäfelchen warf, das er ihr zurückreichte. „Eins – zwei – drei – vier Tänze – und den Tischwalzer obendrein! Hielten Sie sich meiner Zustimmung so gewiß?“

„Ich fürchte in der That nicht, daß Sie mich durch einen Refus unglücklich machen werden, Baronesse! Mein Kutscher hatte sich verspätet; aber ich habe meine Pferde fast zu Tode jagen lassen, um zu verhindern, daß mir hier vor dem Throne der Anmuth ein Glücklicherer zuvorkäme.“

„Ein solcher Opfermuth darf allerdings nicht ohne die gebührende Belohnung bleiben! Bis nachher also!“

Sie nickte ihm zu, während sie ihre Hand auf den Arm eines Majors vom Großen Generalstabe legte, welchem sie den ersten Tanz bewilligt hatte.

„Sie muß in der That mehr als eine oberflächliche Theilnahme für ihn empfinden,“ dachte Marie, „wenn sie ihn den Schrecken vom heutigen Morgen so wenig entgelten läßt.“

Eine leichte Regung des Bedauerns beschlich sie bei dieser Erkenntniß, denn die Persönlichkeit des verlebten und geistig beschränkten Prinzen sprach sie sehr wenig an. Aber sie war jetzt doch nicht in der Stimmung, sich lange mit den Herzensangelegenheiten ihrer Base zu beschäftigen. Schon spielte man drinnen in dem großen Festsaal Webers „Aufforderung zum Tanz“, und sie hatte auf ihrer Karte bisher nur einen einzigen unleserlichen Namen für einen der späteren Tänze. Es hatte ihr wenig Kummer gemacht, daß man sie minder lebhaft umwarb als die Mehrzahl der übrigen jungen Damen. Sie war ja sicher, daß sie einen Tänzer finden würde, der ihr lieber war als alle anderen Kavaliere. Nun aber war es an der Zeit, daß er sich einstellte; denn die Nebenräume

Unschuld.
Nach einem Gemälde von Theo Grust.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_357.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)