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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

etwas unsicherer Hand sein „von der Hacke“ darunter schrieb. Nun aber schien Cilly plötzlich die Lust an seinem kriegerischen Geplauder vergangen zu sein. Sie gab ihm kaum noch eine Antwort und benutzte die erste Gelegenheit, sich von ihm loszumachen.

„Die Erkenntniß, daß sie mir zu weit entgegengekommen ist, hat sie verschüchtert,“ dachte der Lieutenant, und sein jugendlich unerfahrenes Herz klopfte höher im stolzen Bewußtsein des ersten, leicht errungenen Triumphes.

Die Tochter des Generals aber hatte ihn sicherlich schon ganz und gar vergessen, während sie einer lustigen Geschichte des ebensosehr um seiner witzigen Einfälle als um seiner chirurgischen Geschicklichkeit willen berühmten Generalarztes von Herger lauschte. Eben sollte die Pointe der Anekdote kommen, als die Stimme des Prinzen Lamoral neben Cilly laut wurde, der sich bei ihr um die Gewährung einer Extratour bewarb.

„Der Tanz wird ja gleich zu Ende sein, Durchlaucht,“ erwiderte sie, „und man darf im Anfang nicht allzu verschwenderisch umgehen mit seinen Kräften. Lassen Sie uns ein wenig plaudern, ohne zu tanzen!“

Obwohl der Prinz sich auf letzteres entschieden viel besser verstand als auf das erstere, stellte er sich doch ganz entzückt über ihren Vorschlag. Sie umwandelten Arm in Arm den Saal, und Cilly deutete dann auf ein Ecksofa, in dessen unmittelbarer Nähe sich eben niemand befand.

„Setzen wir uns, Durchlaucht! Mir fällt da eben ein, was Sie vorhin von Ihrem Kutscher sagten. Warum in aller Welt jagen Sie einen so unbrauchbaren Menschen nicht davon?“

„Unbrauchbar? Ganz im Gegentheil, meine Gnädigste – Sie müssen mich gänzlich mißverstanden haben – er ist einer der schneidigsten Kerls, die jemals auf einem Bock gesessen haben. Wenn es sein muß, fährt er wie der Teufel!“

„Ja – wie der Teufel! Etwas Aehnliches habe ich allerdings auch von anderer Seite gehört. Man erzählte mir, daß er heute unter den Linden absichtlich eine Droschke zu Schanden gefahren habe.“

Der Prinz lächelte geschmeichelt und liebkoste seinen langen Schnurrbart.

„Merkwürdig, wie schnell alles herumkommt in diesem kleinen Berlin! Kann allerdings nicht leugnen, verehrte Baronesse, daß man Ihnen die Wahrheit erzählt hat; aber mein Iwan war in diesem Falle unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Ich mußte nach Charlottenburg zum Dienst, hatte keine Achtelminute zu verlieren – und Baronesse können sich denken, in was für eine Stimmung es mich versetzte, als da so ein elender Droschkenkarren hartnäckig mitten auf dem Fahrdamm vor mir hinzottelte, so daß mein Iwan nicht rechts und nicht links an ihm vorüber konnte. Er rief den Kerl an, viermal – fünfmal – alles umsonst. Ja, der Plebejer hatte sogar die Unverschämtheit, grob zu werden! Na, da riß mir endlich die Geduld, und ich kommandirte: ‚Vorwärts – wenn auch die Schindmähre und der ganze andere Krempel drauf geht!‘ – Und richtig! Mein Coupé konnte den morschen Karren kaum gestreift haben, und doch legte er sich auf die Seite wie ein umgeblasenes Kartenhaus. Ich weiß nicht, wie die Sache schließlich abgelaufen ist; aber der freche Patron hatte seine Lehre jedenfalls vollauf verdient.“

Cilly hatte während seiner lebhaften Erzählung ihren Fächer unaufhörlich in rascher Bewegung erhalten, ihre Augen hingen unverwandt an dem Gesicht ihres Kavaliers, und Prinz Lamoral fühlte sich sehr angenehm durchschauert von dem Feuer, das aus ihnen sprühte.

„Natürlich hatten Sie sich zuvor vergewissert, daß die Droschke leer sei, ehe Sie jenen Befehl ertheilten?“

„Da ich nicht durch Holz und Leder sehen kann – nein! Aber ich bitte Sie, theuerste Baronesse – was sitzt denn am Ende in so einer Droschke zweiter Klasse? Wenn man auch noch anfangen wollte, auf die zarten Nerven solcher Leute Rücksicht zu nehmen, so könnte man ja lieber gleich – na, das wäre wirklich eine allerliebste Zumuthung!“

„Wollen Sie mir eine Bitte erfüllen, Durchlaucht?“

„Fordern Sie mein Leben – es gehört Ihnen!“

„Sie werden dem Droschkenkutscher seinen Schaden ersetzen – nicht wahr? Und auch auf eine kleine Entschädigung für den ausgestandenen Schrecken wird es Ihnen nicht ankommen. Es ist gewiß ein Leichtes, auf der Polizei seine Nummer zu erfahren.“

„Ich beneide den Menschen um die Theilnahme, die Baronesse ihm zuwenden. Aber ein Wunsch aus solchem Munde ist mir natürlich Befehl. Er soll mit mir zufrieden sein!“

„Ihr Wort darauf, Durchlaucht?“

„Mein Wort darauf!“ erwiderte er, sichtlich etwas betroffen, aber noch immer in vollendet liebenswürdigem Ton.

„Ich danke Ihnen!“ sagte sie sehr kühl, und indem sie sich erhob, fügte sie hinzu: „Ah, der Walzer! – Ich muß meinem Tänzer wohl zu Hilfe kommen, denn der bedauernswerthe junge Mann, der mich da so verzweifelt sucht, scheint an Kurzsichtigkeit zu leiden.“

Prinz Lamoral reckte sich in die Höhe.

„Das gnädige Fräulein belieben zu scherzen. Ihr Tänzer hat seit zehn Minuten die Ehre, sich an Ihrer Seite zu befinden.“

Cilly hob die Tanzkarte auf, die an seidener Quaste von ihrem Gürtel herabhing, und hielt sie so, daß auch der Prinz den grausamen Strich, der da durch seinen Namen ging, nothwendig sehen mußte.

„Ah, wahrhaftig!“ meinte sie mit einem Ausdruck flüchtigen Bedauerns. „Ich vergaß, Ihnen vorhin zu sagen, daß ich den Tischwalzer dem Lieutenant von der Hacke zugedacht hatte. – Durchlaucht werden sich nach einem Ersatz umsehen – nicht wahr?“

Kerzengerade stand Prinz Lamoral vor ihr. Sein ernstes Gesicht sprach es besser als tausend Worte aus, wie tief er beleidigt war.

„Baronesse!“ sagte er nur, und in seiner Stimme klang es wie eine Mahnung, die Herausforderung nicht bis zum äußersten zu treiben. Cilly aber sah ihn groß an und um ihre Mundwinkel zuckte es wie Zorn oder vielleicht auch wie verhaltenes Weinen.

„Nun?“ fragte sie. Und da er schwieg, fuhr sie mit gedämpfter Stimme, aber mit allen Zeichen tiefster Erregung fort:

„Wollen Sie sich im Ernst auf Ihr älteres Recht berufen, wenn ich Ihnen sage, daß – daß ich bedaure, Ihnen dasselbe eingeräumt zu haben?“

„Nein!“ erwiderte der Prinz mit eisiger Kälte. „Nach solcher Erklärung kann ich nur das höfliche Ersuchen stellen, mich auch von allen weiteren Verpflichtungen gnädigst entbinden zu wollen. Ich würde zu ihrer Einlösung außer stande sein, da ich nicht länger die Ehre haben kann, ein Gast dieses Hauses zu sein.“

Seine haarscharf abgemessenen Worte, von denen Cilly sehr gut wußte, daß sie nichts anderes bedeuteten, als eine unwiderrufliche Absage für das ganze Leben, ließen sie bis in die innersten Tiefen ihres Wesens erbeben. Es kümmerte sie sehr wenig, daß ihre Handlungsweise den lebhaften Unwillen ihres Vaters herausfordern würde; aber sie erkannte das volle Gewicht und die ganze Tragweite derselben doch erst jetzt, wo sie eine angenehme Hoffnung, die ihr durch monatelanges Tändeln lieb geworden war, anscheinend rettungslos zusammenbrechen sah.

Sekundenlang schwankte sie allen Ernstes, und das strahlende Antlitz des blutjungen Sekondlieutenants, der sie jetzt endlich entdeckt hatte und geradeswegs auf sie zusteuerte, erschien ihr so unsäglich albern und lächerlich, daß sie schon aus Beschämung, diesen fast noch in den Knabenschuhen steckenden Ritter vorschieben zu müssen, nahe daran war, ein Einlenken zu versuchen.

Aber wie sie die Lippen öffnete, erinnerte sie sich plötzlich mit merkwürdiger Deutlichkeit des Augenblicks, da sie auf dem Ruhebett in dem Operationszimmer des Zahnarztes aus der Ohnmacht erwacht war, und sie sah im Geiste wieder das ruhige, männliche Antlitz ihres Vetters vor sich, wie er lächelnd und doch mit eigenthümlichem Nachdruck gesagt hatte: „Es giebt Fälle, in denen man ein lebhaftes Verlangen fühlen kann, den Staatsanwalt in Thätigkeit treten zu sehen!“ All ihr Abscheu über die Rohheit des Prinzen erwachte mit vermehrter Lebhaftigkeit von neuem, und sie kam sich beinahe erbärmlich vor um ihres Zögerns und Schwankens willen.

„Ich habe natürlich keinen Einfluß auf die Entschließungen Eurer Durchlaucht,“ sagte sie als Erwiderung auf seine letzten Worte, „aber ich möchte mich nicht von Ihnen verabschieden, ohne Ihnen eine kleine Unwahrhaftigkeit eingestanden zu haben. Nicht der Erzählung eines Dritten verdanke ich die Kenntniß des Vorfalls, von welchem wir soeben gesprochen haben, sondern meiner eigenen unangenehmen Erfahrung. Die Insassen des Wagens, den Eure Durchlaucht umzuwerfen beliebten, um dem Kutscher eine Lehre zu ertheilen, waren meine Verwandte und ich.“

Wie sie ihn jetzt ansah, wollte es sie doch beinahe bedünken, als sei die Strafe härter denn das Vergehen. Von der unnahbaren Höhe fürstlichen Stolzes, auf welche sich Prinz Lamoral soeben der vermeintlich ganz unbegründeten Beleidigung gegenüber gestellt hatte, war er mit jähem Stoße in einen Abgrund so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_359.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)