Seite:Die Gartenlaube (1890) 372.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

weggehen wollten, bemerkten wir einige Bewegungen an der Leiche und fanden bei genauerer Beobachtung, daß Puls und Herzbewegung allmählich zurückkehrten. Der Mann begann zu athmen und leise zu sprechen. Wir waren alle aufs äußerste über diesen unerwarteten Wechsel erstaunt und gingen nach einiger Unterhaltung mit ihm und untereinander von dannen, von allen Einzelheiten des Vorgangs zwar völlig überzeugt, aber ganz erstaunt und überrascht und nicht imstande, eine vernünftige Erklärung dafür zu geben.“

Während der Oberst in jüngeren Jahren sich in diesen Zustand ohne sichtlichen Schaden versetzen konnte, wurde ihm dieser Versuch im späteren Alter verderblich; denn nachdem er von einem solchen freiwilligen Tode erwacht war, verfiel er dem wirklichen Tode, aus dem es kein Erwachen giebt.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts brachten Aerzte, die in fernen Kolonien thätig waren, die Nachricht von einer Schlafkrankheit, die ziemlich häufig unter den Negern in Westafrika, auf den Antillen und in Mittel- und Südamerika vorkommt. Man nannte sie die Schlafsucht. Ihr Verlauf wird in folgender Weise geschildert:

„Bevor der Kranke in Schlaf verfällt, fühlt er sich niedergeschlagen und schwach. Bald hat der Kranke keinen Appetit, bald verspürt er Heißhunger, seine Schwäche nimmt immer mehr zu und es wird ihm immer schwieriger, Bewegungen auszuführen. Hierauf stellt sich ohne Fiebererscheinungen ein taumelnder Gang ein, die Theilnahme an der Außenwelt geht verloren, die Sinne trüben sich, und während der Puls langsamer wird, tritt ein tiefer Schlaf ein. Der Kranke sucht eine möglichst platte Lage auf dem Boden einzunehmen, von da ab macht er aus eigenem Antriebe keine Bewegungen und reagirt nur schwach oder gar nicht auf äußere Reize. Während der Puls immer langsamer wird, der Kranke abmagert und seine Haut eine erdfarbene Erblassung annimmt, tritt nach etwa 2 bis 3 Monaten fast regelmäßig der Tod ein. Obwohl Hunderte von diesen Schlafsuchtfällen beobachtet und viele Sektionen gemacht worden sind, ist das Wesen der Krankheit räthselhaft geblieben.“

Die meisten verbürgten Fälle, die in neuerer Zeit in civilisirten Staaten beobachtet wurden, erwiesen sich als Theilerscheinungen anderer Krankheiten, die einen ungeübten Beobachter leicht zu der Annahme verleiten können, daß er einen Schlafsüchtigen vor sich habe. Unnatürliche Schlaferscheinungen kommen bei Erkrankungen des Nervensystems, namentlich aber bei der Hysterie vor. Es ist seit geraumer Zeit bekannt, daß Hysterische durch äußere Reize in einen schlafartigen und der Starre ähnlichen Zustand verfallen, aus dem sie mitunter schwer zu erwecken sind. Aber die Hysterischen, die ja auch zum Nachtwandeln neigen, verfallen auch von selbst in Schlaftrunkenheit. Diese kann die verschiedensten Formen annehmen; in leichteren Fällen ist sie nur ein Halbschlummer; die Kranken erwachen von Zeit zu Zeit und versorgen ihre natürlichen Bedürfnisse, oder sie schlafen fortwährend, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, und dieser Schlaf kann mehrere Tage andauern. Sehr selten geht der Schlaf in völlige Lethargie, in den sogenannten hysterischen Scheintod über. In diesem Zustande ist der Athem selten und kaum merklich, der Puls kaum fühlbar, der Stuhl wochenlang angehalten. Fälle, wo solche Zustände mehrere Tage dauerten, sind nicht selten, und selbst solche sind verbürgt, deren Dauer sich auf Monate erstreckte.

Auch die Starrsucht, Katalepsie, die oft auf hysterischer Grundlage entsteht, kann von Uneingeweihten mitunter als Schlafsucht gedeutet werden; in älteren Berichten wird oft die Starrsucht mit der Schlafsucht verwechselt.

Diese Leiden hat es zu allen Zeiten gegeben; schon bei den ältesten medizinischen Schriftstellern werden sie erwähnt. Wir haben gesehen, in welcher Weise sie und die Erscheinungen der Hypnose zu Mythenbildungen und religiöser Schwärmerei Anlaß gegeben haben. Sie bilden auch heutzutage ein Gebiet, auf das sich die sensationssüchtige Phantasie flüchtet. Solche Krankengeschichten werden gern erzählt und gedruckt, und der Welt wird die Ausbreitung einer neuen Schlafkrankheit, für die leicht irgend ein Name gefunden wird, verkündigt. Geht dann die Forschung der Sache auf den Grund, so entpuppt sich vielfach die Krankheit, wie dies bei einigen Fällen der jetzt so viel besprochenen Nona der Fall war, als Typhus, Entzündung der Gehirnhäute, so erkennt man in den berühmten Schläfern der Neuzeit Hysterische und andere Nervenkranke. An gut beobachteten Fällen reiner Schlafsucht, wie sie aus älteren Berichten volksthümlich geworden sind, scheint es in der neueren medizinischen Litteratur zu fehlen.




Flammenzeichen.

Roman von E. Werner.

(Fortsetzung.)

[„]Das hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen, Ihnen hier zu begegnen, Durchlaucht,“ sagte Schönau. „Es hieß ja, Sie würden in diesem Sommer gar nicht nach Rodeck kommen, und Stadinger, den ich vorgestern sprach, wußte noch keine Silbe von Ihrer bevorstehenden Ankunft.“

„Stadinger hat auch Ach und Weh geschrieen, als ich ihm so unvermuthet in das Haus fiel,“ versetzte der junge Fürst. „Es fehlte nicht viel, so hätte er mich aus meinem eigenen Schlosse hinausgeworfen, weil ich meinem Telegramm auf dem Fuße folgte und noch nichts in Ordnung war. Aber die Hitze in Ostende wurde nachgerade unerträglich, ich hielt es nicht mehr aus an dem sonnendurchglühten Strande und bekam eine unwiderstehliche Sehnsucht nach meinem kühlen, stillen Waldschlößchen – Gott sei Dank, daß ich der Hitze und dem Lärm dieses Badelebens entronnen bin!“

Seine Durchlaucht geruhte, in diesem Falle nicht die Wahrheit zu sagen. Fürst Egon war schleunigst vom Strande der Nordsee herbeigeeilt, um einer gewissen „Nachbarschaft“ theilhaftig zu werden, von der er zufällig erfahren. Stadinger hatte bei einem Bericht, in welchem er um Erlaubniß bat, einige Veränderungen in Rodeck vornehmen zu dürfen, erwähnt, daß die betreffenden Einrichtungen bereits in Ostwalden beständen, wo Frau von Wallmoden gegenwärtig weile. Zu seiner Ueberraschung traf drei Tage später statt der erwarteten Erlaubniß sein junger Herr in höchsteigener Person ein, der auf diese Nachricht hin nichts Eiligeres zu thun gewußt hatte, als seine sämmtlichen Reise- und Sommerpläne über den Haufen zu werfen. Auch der Oberforstmeister schien nicht an den erwähnten Vorwand zu glauben, denn er bemerkte etwas spöttisch:

„Dann wundert es mich in der That, daß unser Hof so lange in Ostende aushält. Der Herzog und die Herzogin sind ja dort, auch Prinzessin Sophie mit einer fürstlichen Nichte, einer Verwandten ihres verstorbenen Gemahls, wie ich hörte.“

„Ja, mit einer Nichte!“ Egon wendete sich plötzlich um und sah den Sprechenden an. „Herr Oberforstmeister, Sie wollen mir auch einen Glückwunsch aussprechen, ich sehe es an Ihrem Gesichte! Wenn Sie das aber thun, so fordere ich Sie hier mitten im Walde und auf der Stelle.“

„Nun, Durchlaucht, ich beabsichtige mir keineswegs eine Forderung auf den Hals zu ziehen,“ versetzte Schönau lachend. „Aber die Zeitungen sprechen doch bereits ganz offen von einer bevorstehenden oder bereits vollzogenen Verlobung, die besonders in den Wünschen der fürstlichen Damen liegen soll.“

„Meine allergnädigsten Tanten wünschen manches,“ sagte Egon kühl, „ihr allerungehorsamster Neffe ist nur bisweilen anderer Meinung als sie, und das war leider auch diesmal der Fall. Ich kam nach Ostende auf höchsten Befehl, nämlich auf eine Einladung des Herzogs, die ich nicht ablehnen konnte, aber die Luft bekam mir durchaus nicht und ich durfte meine Gesundheit doch nicht so leichtsinnig preisgeben. Ich spürte bereits die ersten Anzeichen eines Sonnenstiches, der unfehlbar ausgebrochen wäre, und da entschloß ich mich noch rechtzeitig –“

„Selbst auszubrechen!“ ergänzte der Oberforstmeister. „Das sieht Ihnen ähnlich, Durchlaucht, aber nun können Sie sich auch auf eine dreifache allerhöchste Ungnade gefaßt machen.“

„Möglich, ich werde das in der Einsamkeit und Selbstverbannung tragen. Uebrigens beabsichtige ich“ – der junge Fürst nahm eine sehr feierliche Miene an – „mich in diesem Sommer

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_372.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)