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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Norddeutschland nicht zu denken sei. Als bei Beginn des Eisenbahnwesens Justinus Kerner im „Stuttgarter Morgenblatt“ ein Klagelied hatte ertönen lassen über die Gefahren, welche der Poesie vom Zeitalter des Dampfes drohen, da fand der starke Geist des Zürichers die folgende zukunftsfrohe Entgegnung:

„Was deine alten Pergamente
Von tollem Zauber kund dir thun,
Das seh ich durch die Elemente
In Geistes Dienst verwirklicht nun.

Ich seh’ sie keuchend glüh’n und sprühen,
Stahlschimmernd bauen Land und Stadt,
Indeß das Menschenkind zu blühen
Und singen wieder Muße hat.

Und wenn vielleicht in hundert Jahren
Ein Luftschiff hoch mit Griechenwein
Durch’s Morgenroth käm’ hergefahren –
Wer mochte da nicht Fährmann sein?

Dann bög’ ich mich, ein sel’ger Zecher,
Wohl über Bord, von Kränzen schwer,
Und gösse langsam meinen Becher
Hinab in das verlass’ne Meer.“

Der echte Individualismus braucht keinen Kulturfortschritt zu fürchten; er wird vielmehr jeden stets seinen eignen Zwecken nutzbar zu machen wissen. Er bedarf nicht der Spaltung in Oberdeutsch und Niederdeutsch; „das ganze Deutschland soll es sein“, heißt es auch hier.




Blätter und Blüthen.


Noch einmal von den Schußwunden in künftigen Kriegen. Zur Vervollständigung unseres Artikels in Halbheft 5 möchten wir an dieser Stelle noch der Arbeiten derjenigen Aerzte gedenken, welche zuerst die Erklärung der durch Flintenkugeln verursachten Zerstörungen im menschlichen Körper gegeben haben und an deren Ergebnisse die Versuche von Prof. Bruns sich anschließen. Busch und Kocher waren es, welche zuerst die explosionsartige Wirkung der Nahschüsse durch den hydraulischen Druck zu erklären versuchten. Das größte Verdienst gebührt aber auf diesem Gebiete Dr. Reger, Stabsarzt am Kadettenhause zu Potsdam. Durch Versuche über die Temperatur der Geschosse stellte er zuerst unzweifelhaft fest, daß die Erwärmung derselben im Körper – entgegengesetzt den bisherigen Annahmen und Berechnungen – keineswegs den Schmelzpunkt erreicht, daß die Entformung derselben also auch nicht durch Schmelzung, sondern durch mechanische Stauchung entsteht. Indem er ferner Versuche mit dem Manometer anstellte, erbrachte er den vollgültigen Beweis, daß der hydraulische Druck die Ursache der explosionsartigen Zerstörung sei. Auf Grund des Nachweises, daß die Größe dieses hydraulischen Druckes, somit auch die Größe der zerstörenden Wirkung der Geschosse außer von dem Flüssigkeitsgehalte des getroffenen Körpers auch von der Geschwindigkeit und Belastung, besonders aber von der Größe der Angriffsfläche des auftreffenden Geschosses abhängt, und namentlich auf Grund der Beobachtung, daß gerade die sich im Körper vollziehende Stauchung und Abplattung des Bleigeschosses die Hauptursache der gewaltigen Zerstörung bei Nahschüssen bildet, während ein sich nicht entformendes Geschoß (Kupfer, Stahl) diese „unbeabsichtigte“ Nebenwirkung nur in bedeutend geringerem Grade zeigt, trat derselbe schließlich warm für Herabsetzung des Kalibers und Einführung eines sich nicht oder nur wenig entformenden Geschosses und im besonderen für die Lorenzschen Compoundgeschosse als eine Forderung der Humanität ein. Die großen Vorzüge dieser Geschosse hat unter anderen namentlich auch B. v. Beck, der frühere Generalarzt des XIV. Armeecorps, durch ausgedehnte Versuchsreihen überzeugend nachgewiesen. Von Oberstlieutenant Bode erfunden und von Lorenz, dem Besitzer der deutschen Metallpatronenfabrik in Karlsruhe, wesentlich vervollkommnet, stellen die jetzt eingeführten „Mantelgeschosse“, deren Mantel allerdings bei mehreren Nationen nicht mit dem Kern verlöthet ist, einen Fortschritt dar, der durchaus deutsches Verdienst ist. *     

Eine Gedenktafel für Friedrich Hofmann. Eine einfache, würdige Feier wurde am 17. April zu Ilmenau begangen. Es galt, den Vorabend des Geburtstages Friedrich Hofmanns, des vor fast zwei Jahren daselbst verstorbenen, vielbeliebten und weithin bekannten Dichters, des „Veteranen der Gartenlaube“, festlich zu begehen. Einer der Freunde des Heimgegangenen, Sanitätsrath Dr. Preller, hatte, um seiner warmen Verehrung für den Dichter Ausdruck zu geben, namentlich aber um das Gedächtniß für Hofmann lebendig zu erhalten, eine Tafel gestiftet, welche an dem Hause befestigt wurde, in welchem der Verewigte bei seinem oft wiederkehrenden Aufenthalt zu Ilmenau stets Abstieg genommen hat. Die Inschrift lautet, entsprechend der Bezeichnung, die in vertrautem Kreise Hofmann sich beizulegen pflegte:

Hier wohnte und starb
der Alte
der Dichter
Friedrich Hofmann.
Im Jahre 1888.

Nachdem die Musikkapelle einen Choral geblasen hatte, ergriff Herr Superintendent Lincke das Wort, um in kurzer, bewegter Ansprache den Verewigten zu feiern und seines menschenfreundlichen, gütevollen Herzens, seiner treuen vaterländischen Gesinnung zu gedenken. Er schloß mit Tassos Wort: „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht!“

Der Vortrag der beiden Lieder „Das treue deutsche Herz“ von Otto und „Thüringen“ von Franz Abt durch einen Sängerchor schloß die schlichte Erinnerungsfeier. Den vielen Freunden und Besuchern der grünenden Bergstadt sei noch mitgetheilt, daß die Gedenkplatte sich am Hause des Chirurgen Luther, schräg gegenüber dem neuen Postgebäude in der Schloßstraße, befindet; allen Verehrern Hofmanns aber, daß in nicht allzu ferner Frist die Errichtung eines Hofmann-Denkmals auf dem Friedhof zu Ilmenau bevorsteht. –h.     

Ungelehriger Zögling. (Zu dem Bilde S. 373.) Es muß doch auch von Logik, Grammatik und Arithmetik etwas verstehen, das Herrensöhnchen, das gehört zum guten Ton und ist einmal so Sitte. Also muß der würdige Beichtvater des gräflichen Hauses das schwierige Amt übernehmen, dem Jungen neben den Lehren des Glaubens auch noch die Anfangsgründe der Wissenschaft beizubringen, denn weit umher ist der geistliche Herr der einzige Vertreter der höheren Gelehrsamkeit. Und es scheint auch, als ob er das bleiben sollte. Denn sein vornehmer Zögling zeigt nicht die mindeste Veranlagung für feinere Gedankenarbeit; der sieht ihm nur mit gutmüthigem Lächeln verständnißlos ins Gesicht, verständnißlos für seine Weisheit und verständnißlos für seine fürchterliche Erregung, als wollte er sagen: „Warum denn so heftig? Es thut doch gar nichts, wenn ich das nicht behalte!“

Und wenn wir genauer zusehen, so können wir uns über den Standpunkt des Jungen nicht einmal so sehr wundern. Die üppige Umgebung des Reichthums, die ihn umschmeichelt, läßt den Glauben an die Nothwendigkeit ernster Arbeit nicht in ihm aufkommen. Das weiche Kissen, auf das er seine Füße setzt, der bequeme Stuhl, in den er sich zurücklehnt, sie sind ein Sinnbild seines Daseins – also wozu sich noch anstrengen? Er kennt den Ernst des Lebens noch nicht und will ihn nicht kennen; es ist ja so lustig auf der Welt! Freilich, stellen wir uns vor, daß der Ernst doch einmal an ihn herantreten werde, da wird er ihm gerade so hilflos gegenüberstehen wie den logischen Entwickelungen seines Lehrmeisters, aber das vergnügliche Lächeln wird verschwunden sein von den weichlichen Lippen! =     

Häusliche Gesundheitsregeln. Die Gesundheitspflege im Hause umfaßt ein weites Gebiet, das leider noch zum großen Theil einen unbestellten wilden Acker bildet, auf dem recht viel Unkraut üppig gedeiht. In der öffentlichen Gesundheitspflege, für welche der Staat und die Gemeinde sorgen, vollzieht sich der Fortschritt ungemein rasch; hier feiert die medicinische Wissenschaft die schönsten Siege, und die geringer gewordenen Sterblichkeitsziffern so vieler Städte beweisen zur Genüge, daß die oft mit vielen Kosten verknüpften neuen Einrichtungen wirklich Nutzen gestiftet haben und gesundheitliche Ungeheuerlichkeiten immer seltener werden.

Der alte Zopf hängt aber noch der häuslichen Gesundheitspflege vielfach an; dorthin hat sich die alte Schäfer- und Ammenweisheit geflüchtet. Der Unterschied läßt sich leicht an Beispielen zeigen. Wer auf der Straße verunglückt, der erhält, wenn auch im ersten Augenblick kein Arzt zur Stelle ist, von dem durch einen Samariterverein ausgebildeten Schutzmann eine vernünftige Hilfe – in den meisten Häusern wird noch das verkehrteste Mittel angewandt und die Familie steht rathlos einem Blutenden gegenüber. Bei ansteckenden Krankheiten sieht es oft noch schlimmer aus. Durch Unwissenheit wird viel Schaden gestiftet, werden die Familienmitglieder und die nächste Umgebung Gefahren ausgesetzt. Der Staat erläßt weise Gesetze, beaufsichtigt die Schulen und Fabriken sowie den Verkehr, die Gemeinde ordnet das Abfuhrwesen, läßt kanalisiren etc.; alles dies bleibt aber nur eine halbe Arbeit, wenn der Bürger nicht auch das Seinige zur Eindämmung der Krankheiten beiträgt.

Die häusliche Gesundheitspflege läßt sich leider nicht so schnell und glatt ordnen wie die öffentliche. „Mein Haus ist meine Burg, und in ihm will ich leben, wie es mir gefällt.“ Die häusliche Gesundheitspflege kann nur durch die unermüdliche Verbreitung zweckmäßiger Kenntnisse gehoben werden. Wenn das, was die Wissenschaft errungen hat, auch zum Gemeingut des Volkes geworden ist, dann wird sich vieles bessern, woran wir jetzt von der Wiege bis zur Bahre schwer zu tragen haben. In diesem Sinne ist die Verbreitung von Gesundheitsregeln dringend wünschenswerth, und neben ausführlichen Büchern, die nicht jedermann liest, sind auch kurze Zusammenstellungen, die sich leicht dem Gedächtniß einprägen, am Platze. Diesen Weg hat der Verein für häusliche Gesundheitspflege in Berlin eingeschlagen, indem er zunächst unter dem Titel „Häusliche Gesundheitsregeln“ drei Tafeln herausgab (Verlag von Julius Springer in Berlin), welche die „Pflege des Kindes im ersten Lebensalter“, die „erste Hilfe bei Unglücksfällen“ und „Verhaltungsregeln bei ansteckenden Krankheiten“ behandeln. Mögen dieselben in reichlichem Maße den erhofften Nutzen stiften. *     

Erste Lorbeeren. (Zu dem Bilde S. 385.) Der Künstler führt uns in die „Ciociaria“ – so heißt im Volksmund das Grenzgebiet zwischen dem Römischen und Neapolitanischen – und läßt uns in das Innere einer Ciociarenwohnung blicken, wo Menschen und Federvieh vertraulich wie in Noahs Arche beisammen hausen. Ein Korb mit Stroh dient den piepsenden Hausgenossen zum nächtlichen Unterschlupf, und es gehört gewiß zu den Obliegenheiten unseres kleinen Hausmütterchens, die Küchlein jeden Abend sorglich in ihre Streu zu betten. Auch der geweihte Oelzweig, der, am Palmsonntag gebrochen und vom Pfarrer eingesegnet, das ganze Jahr über vor Krankheit, Wetter und Hagelschlag Schutz verleiht, darf an der Wand nicht fehlen.

Das fleißige Kind lehnt an der geschnitzten Lade und lauscht wohlgefällig dem Spiel des kleinen Freundes, während die geschickten Finger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_386.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)