Seite:Die Gartenlaube (1890) 404.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


das Straßenpflaster nehmen würde. Das waren die Gründe, weshalb wiederholt ärztliche Hilfe aufgesucht wurde, aber ohne jeglichen Erfolg, weil man anfangs der merkwürdigen Verschiedenheit der Ursachen nicht auf die Spur kam. Erst die von Binz verordnete genauere Selbstbeobachtung der Patienten in Betreff der Ursachen der Anfälle stellte fest, daß diese in folgendem bestanden: 1. Aufnahme gewisser Speisen (namentlich Kartoffeln und Käse) am Abend, oder 2. in angestrengtem geistigen Arbeiten während der späten Abendstunden, oder 3. in einem weiten Marsch zur selben Zeit.

Sämmtliche krankhaften Zustände hörten von dem Tage an auf, wo dem Leidenden die Ursachen seines Uebels klar wurden und er dieselben sorgfältig vermied. So hat der Mann nach der jüngsten Veröffentlichung von Binz 20 Jahre in voller Gesundheit verlebt. Eine Tochter des Geheilten hat dagegen den Hang zum Schlafwandeln geerbt.

Der Schlafwandel steht auf der obersten Stufe jener Störungen des Schlafes, die sich in leichten Formen als Reden, Lachen und Weinen im Schlaf darstellen, die sich zum Alpdrücken und endlich zum Umhergehen im Schlaf steigern können.

C. Falkenhorst.




Flammenzeichen.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Ich bitte Sie, Durchlaucht,“ begann Adelheid wieder „mir die Wahrheit, die volle Wahrheit zu sagen. Sie erwähnten, daß Rojanow zurückgekehrt sei, um in unser Heer einzutreten. Ich habe das geahnt, erwartet, denn es ist das einzige, womit er die alte Schuld sühnen kann. Steht er bereits unter den Fahnen?“

„Soweit ist es zum Glück nicht gekommen, und das hat mir eine schwere Verantwortung erspart,“ sagte Egon mit einer grenzenlosen Bitterkeit. „Er meldete sich bei verschiedenen Regimentern, wurde aber überall zurückgewiesen.“

„Zurückgewiesen? Weshalb?“

„Weil er sich nicht als Deutscher bekennen durfte, und weil dem Fremden, dem Rumänen, ein sehr berechtigter Argwohn entgegenstand. Man muß in jetziger Zeit vorsichtig sein, damit sich in die Reihen unserer Armee keine – Spione eindrängen.“

„Um Gotteswillen, was meinen Sie damit?“ rief Adelheid, die jetzt zu ahnen begann, um was es sich handelte. Egon sprang in furchtbarer Erregung auf und trat an ihre Seite.

„Wenn Sie es denn doch erfahren wollen, gnädige Frau, so hören Sie! Hartmut kam zu mir und verlangte, ich solle meinen Einfluß geltend machen, um ihm den Eintritt in eines unserer Regimenter zu verschaffen. Ich weigerte mich anfangs, aber er wußte mein Versprechen zu erzwingen mit einer Drohung, die schwerlich ernst gemeint war. Ich hielt Wort und verwandte mich bei einem der höheren Offiziere, dessen Bruder Sekretär bei unserer Gesandtschaft in Paris und eben mit derselben zurückgekommen ist. Dieser Herr war zugegen bei meinem Besuch, er stutzte bei dem Namen Rojanow, erkundigte sich näher nach dem Betreffenden und machte uns darauf Enthüllungen – ich kann das nicht aussprechen! Ich habe Hartmut geliebt wie nichts auf der Welt, habe ihn fast vergöttert, ich ließ mich von dem Fluge seines Genius mit emportragen, und nun erfahre ich, daß der Freund, der mir alles war, ein Elender ist, daß er und seine Mutter in Paris Spionendienste geleistet haben – vielleicht wollte er das auch in den Reihen unserer Armee!“

Er legte die Hand über die Augen, und es war etwas Erschütterndes in dem Schmerze des jungen Mannes, dem sein Freundschaftsideal so erbarmungslos zertrümmert war. Auch Adelheid hatte sich erhoben, und ihre Hand, mit der sie sich auf die Lehne des Sessels stützte, zitterte, während sie fragte:

„Und was haben Sie, was hat er darauf geantwortet?“

„Rojanow, meinen Sie? Ich habe ihn nicht wiedergesehen und werde es auch nicht, ich will mir und ihm das ersparen. Er ist augenblicklich in der Rodecker Försterei und erwartet dort meine Antwort; ich habe ihm in drei Zeilen mitgetheilt, was ich erfuhr, ohne eine Bemerkung oder sonst ein Wort hinzuzufügen. Er hat den Brief vermuthlich schon erhalten und wird ihn hinreichend verstehen.“

„Allmächtiger Gott, das treibt ihn in den Tod!“ fuhr Adelheid auf. „Wie konnten Sie das thun? Wie konnten Sie den Unglücklichen ungehört verdammen?“

„Den Unglücklichen?“ wiederholte der Fürst schneidend. „Halten Sie ihn wirklich dafür?“

„Ja, denn ich höre die entsetzliche Beschuldigung nicht zum ersten Male. Auch sein Vater hat sie ihm bei jener Zusammenkunft ins Antlitz geschleudert.“

„Nun also, wenn der eigene Vater ihn anklagt –“

„Der tiefbeleidigte, tiefverbitterte Mann! Er kann kein freies Urtheil haben; aber Sie, der Freund Hartmuts, der ihm so nahe stand, Sie mußten für ihn eintreten und ihn vertheidigen!“

Egon blickte halb fragend, halb erstaunt auf die erregte Frau.

„Das scheinen Sie thun zu wollen, Excellenz,“ sagte er langsam. „Ich kann es nicht, denn es ist zu vieles in Hartmuts Leben, was den Verdacht bestätigt, er erklärt mir alles, was mir bisher räthselhaft schien, und es sind ganz bestimmte Vorgänge, auf die sich die Anklage stützt –“

„Gegen seine Mutter! Sie ist von jeher das Verhängniß, das Verderben ihres Sohnes gewesen; aber er kannte das schmachvolle Gewerbe nicht, zu dem sie herabgesunken war, er lebte ahnungslos an ihrer Seite. Ich sah es, wie er zusammenbrach, als der Vater das furchtbare Wort aussprach, wie er sich aufbäumte dagegen in Todesangst. Das war Wahrheit, das war die Verzweiflung eines Mannes, der schwerer gestraft wird, als er je gefehlt hat. Jene Flucht, jener unselige Wortbruch rauben ihm jetzt den Glauben derer, die ihm am nächsten stehen; aber wenn der Vater und der Freund ihn verdammen, ich glaube an ihn. Es ist nicht wahr, er ist nicht schuldig!“

Die junge Frau hatte sich in ihrer stürmischen Erregung hoch aufgerichtet, ihre Wangen glühten, ihre Augen flammten, und Ton und Worte hatten jene hinreißende Leidenschaft, die nur die Liebe kennt, wenn sie das Geliebte vertheidigt. Egon stand unbeweglich und sah sie an. Da war es, das Erwachen, von dem er so oft geträumt hatte, jetzt strahlte Gluth und Leben auf, und aus dem Eismeer stieg eine blühende Welt empor – aber es war ein anderer, der sie geweckt hatte.

„Ich wage nicht zu entscheiden, ob Sie recht haben, gnädige Frau,“ sagte der Fürst nach einer sekundenlangen Pause tonlos. „Ich weiß nur eins, mag Hartmut schuldig oder unschuldig sein, er ist beneidenswert selbst in dieser Stunde!“

Adelheid zuckte zusammen, sie verstand die Hindeutung, und wortlos senkte sie das Haupt vor diesem schmerzlich vorwurfsvollen Blick.

„Ich kam, um Abschied zu nehmen,“ hob Egon wieder an. „Ich wollte freilich eine Frage, eine Bitte an diesen Abschied knüpfen – das ist jetzt vorbei! Ich habe Ihnen nur noch Lebewohl zu sagen.“

Adelheid hob die Augen, in denen jetzt heiße Thränen standen, wieder zu ihm empor und reichte ihm die Hand.

„Leben Sie wohl! Der Himmel nehme Sie in seinen Schutz bei dem Kampfe!“

Aber der Fürst schüttelte nur stumm das Haupt. „Was soll ich damit, jetzt noch?“ stieß er endlich mit aufquellender Bitterkeit hervor. „Ich möchte am liebsten – nein, sehen Sie mich nicht so bittend an, ich weiß es ja jetzt, daß ich mich in einem verhängnißvollen Irrthum befand, und ich werde Sie nicht quälen mit einem Geständniß; aber, Adelheid, ich wäre gern gefallen, hätte ich mir damit den Blick und Ton erkaufen können, den Sie vorhin für einen anderen hatten – leben Sie wohl!“

Damit drückte er noch einmal ihre Hand an seine Lippen und eilte fort. –

Der Sturm war im Laufe des Nachmittags heftiger geworden, er wühlte in den Wäldern, tobte um die freien Höhen und jagte die Wolkenzüge am Himmel immer wilder dahin. Auch auf jener Waldhöhe, die im letzten Herbste eine so inhaltsschwere Begegnung zweier Menschen gesehen hatte, stürmte es mit voller Gewalt, aber der Mann, der dort so einsam an dem Stamme eines Baumes lehnte, schien das nicht zu fühlen, denn er stand unbeweglich mitten in diesem Toben.

Hartmuts Antlitz war todtenbleich, aber es lag eine starre, unheimliche Ruhe darin, und das lodernde Feuer der dunklen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_404.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)