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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

bei uns zugeht? Ja, man macht sich das Leben leicht, wenn man jeden Tag darauf gefaßt sein muß, es zu verlieren.“

Der Alte stand vor seinem jungen Herrn und blickte ihm scharf in die Augen, dann sagte er halblaut:

„Ja, lustig waren die Herren schon, und Durchlaucht sind der lustigste von allen, aber – froh sind Sie doch nicht!“

„Ich? Was fällt Dir ein! Warum soll ich denn nicht froh sein?“

„Ich weiß nicht, aber merken thue ich es doch,“ beharrte Stadinger. „Sonst, wenn Durchlaucht von Fürstenstein kamen oder in Rodeck mit dem Herrn Rojanow alles mögliche anstellten, da sahen Sie ganz anders aus und lachten ganz anders, und eben, als Sie in das Feuer blickten, da war es, als ob Durchlaucht etwas recht Schweres auf dem Herzen hätten.“

„Bleib’ mir vom Leibe mit Deinen Beabachtungen!“ rief Egon ärgerlich, dem sein alter „Waldgeist“ wieder einmal sehr unbequem wurde. „Denkst Du vielleicht, daß wir immer so ausgelassen sind? Wenn man fortwährend das blutige Kriegsspiel vor Augen hat, kommen doch auch ernste Gedanken, sollt’ ich meinen!“

Dagegen ließ sich nichts einwenden und Stadinger schwieg auch, aber täuschen ließ er sich nicht. Er wußte ganz genau, daß bei seiner jungen Durchlaucht etwas nicht in Ordnung war und daß sich hinter diesem so zur Schau getragenen Uebermuth etwas anderes verbarg. Da trat Lieutenant Walldorf wieder ein, ließ aber die Thür hinter sich offen.

„Nur hier herein!“ rief er dem Draußenstehenden zu. „Da ist eine Ordonnanz vom siebenten Regiment mit einer Meldung. Nun, hören Sie denn nicht, Ordonnanz? Sie sollen eintreten!“

Die Wiederholung des Befehls klang sehr ungeduldig. Der Soldat, der bereits auf der Schwelle stand, hatte dort gezögert und sogar eine jäh zurückweichende Bewegung gemacht, als wollte er wieder in das Dunkel zurücktreten. Jetzt gehorchte er; aber er hielt sich dicht an der Thür, so daß sein Gesicht im Schatten blieb.

„Sie kommen von den Vorposten drüben am Kapellenberge?“ fragte Walldorf.

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

Egon, der sich gleichgültig umgewendet hatte, zuckte zusammen beim Klange dieser Stimme. Er that hastig einen Schritt vorwärts und blieb dann, wie sich plötzlich besinnend, stehen, aber sein Blick heftete sich mit einem beinahe entsetzten Ausdruck auf den Sprechenden. Es war, soweit man im Halbdunkel unterscheiden konnte, ein noch junger, hochgewachsener Soldat, im groben Mantel des Gemeinen, den Helm auf dem kurz geschnittenen schwarzen Haar. Er stand stramm und unbeweglich da und erstattete vorschriftsmäßig seine Meldung. Nur seine Stimme hatte einen eigenthümlich dumpfen, halb erstickten Ton.

„Vom Herrn Hauptmann Salfeld!“ meldete er. „Wir haben einen Verdächtigen aufgegriffen, als Bauer verkleidet, aber wahrscheinlich von der Entsatzarmee, der sich in die Festung schleichen wollte. Was er Schriftliches bei sich hatte –“

„Kommen Sie doch näher,“ befahl Walldorf ärgerlich. „Man hört ja nicht ordentlich!“

Der Soldat gehorchte und trat zu den Offizieren. Das Licht fiel jetzt grell und scharf auf seine Züge, aber dies Gesicht zeigte eine fahle unheimliche Blässe, die Zähne waren zusammengebissen und der Blick hob sich nicht vom Boden.

Egons Hand umklammerte krampfhaft den Griff seines Säbels, er zwang gewaltsam den stürmischen Ausruf zurück, der sich auf seine Lippen drängen wollte, während Stadinger mit weitaufgerissenen Augen den Mann anstarrte, der jetzt fortfuhr:

„Was er Schriftliches bei sich hatte, war nicht von Belang, enthielt aber Andeutungen, die er wohl mündlich ergänzen sollte. Der Herr Hauptmann meint, wenn er streng verhört würde, wäre es vielleicht herauszubekommen, und fragt an, ob er den Gefangenen hier abliefern kann oder ihn nach dem Hauptquartier schicken muß.“

Die Meldung war weder auffallend noch ungewöhnlich. Es kam öfter vor, daß man Verdächtige aufgriff, die Entsatzarmee versuchte immer wieder von neuem, Verkehr mit der Festung anzuknüpfen, unterhielt ihn vielleicht auch wirklich, trotz aller Wachsamkeit der Belagerer, aber Fürst Adelsberg schien erst nach Athem ringen zu müssen, ehe er die Antwart gab:

„Ich lasse den Herrn Hauptmann bitten, den Gefangenen hierherzuschicken. Wir werden in zwei Stunden abgelöst und marschiren geradeswegs nach dem Hauptquartier. Ich werde das Weitere übernehmen.“

„Hoffentlich ist der Kerl zum Sprechen zu bringen, wenn man ihm ernstlich zu Leibe geht,“ meinte Walldorf. „Er wäre nicht der erste, dem das Herz in die Schuhe fällt, wenn man ihm das Standrecht klar macht. Nun, wir werden ja sehen!“

Der Soldat stand da und wartete auf seine Entlassung; keine Muskel zuckte in seinem Gesicht, aber er hob das Auge noch immer nicht vom Boden. Egon hatte sich jetzt gefaßt, er bewahrte auch seinerseits die fremde Haltung, aber er fragte in dem kurzen Tone des Vorgesetzten:

„Sie sind beim siebenten Regiment?“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

„Ihr Name?“

„Joseph Tanner.“

„Einberufen?“

„Nein, Freiwilliger.“

„Seit wann?“

„Seit dem dreißigsten Juli.“

„Sie haben also den ganzen Feldzug mitgemacht?“

„Zu Befehl!“

„Es ist gut, bringen Sie dem Herrn Hauptmann die Meldung.“

Der Soldat machte vorschriftsmäßig kehrt und entfernte sich. Walldorf, der sich wohl ein wenig über dies Examen gewundert, aber kein Gewicht darauf gelegt hatte, blickte ihm nach und sagte achselzuckend: „Die da draußen am Kapellenberge haben es am allerschlimmsten. Tag und Nacht keine Ruhe, angestrengt bis aufs äußerste, und dabei werden sie noch oft genug zur Hilfeleistung bei den Pionieren kommandirt. Da arbeiten die armen Burschen in dem hartgefrorenen Boden, daß ihnen der Schweiß in Strömen von der Stirn rinnt und die Hände bluten. Da sind unsere Leute doch besser dran!“

Er trat in den anstoßenden Raum, um einen Gefreiten für die Bewachung des zu erwartenden Gefangenen zu bestimmen und ihm die nöthigen Anweisungen zu geben. Egon aber riß das Fenster auf und lehnte sich hinaus, – ihm war, als müßte er ersticken. Da vernahm er hinter sich die Stimme Stadingers in gedämpftem Tone, der aber gleichwohl den größten Schrecken verrieth.

„Durchlaucht!“

„Was giebt es?“ fragte er, ohne sich umzuwenden.

„Aber haben Durchlaucht denn nicht gesehen –?“

„Was denn?“

„Die Ordonnanz, die eben hier war – das war ja der Herr Rojanow, wie er leibt und lebt!“

Egon sah, daß hier Geistesgegenwart noth that; er wendete sich um und sagte kalt: „Ich glaube, Du siehst Gespenster!“

„Aber, Durchlaucht –“

„Unsinn! Es ist allerdings eine flüchtige Aehnlichkeit vorhanden, die auch mir auffiel, deshalb wollte ich den Namen des Mannes wissen. Du hörst ja, daß er Tanner heißt.“

„Aber es war doch der leibhaftige Herr Rojanow,“ rief der unerschütterliche Stadinger, dessen scharfe Augen sich nicht täuschen ließen. „Nur die schwarzen Locken fehlen und die stolze, herrische Art – auch seine Stimme war es!“

„Bleib’ mir vom Leibe mit diesem Unsinn!“ fuhr Egon heftig auf. „Du weißt es doch, daß Herr Rojanow in Sicilien ist, und nun willst Du ihn hier in einer Ordonnanz vom siebenten Regiment wiederfinden! Das ist doch mehr als lächerlich!“

Stadinger schwieg. Es war allerdings lächerlich und unmöglich, was er da vorbrachte, und darum war der junge Fürst auch so ungnädig; er nahm es übel, daß man einen gemeinen Soldaten mit seinem Freunde verwechselte. Freilich, der herrische Rojanow, der das Befehlen so aus dem Grunde verstand und in Rodeck oft die ganze Dienerschaft durcheinander gejagt hatte, und die Ordonnanz, die von dem Lieutenant Walldorf angefahren wurde, weil sie nicht laut genug sprach, das waren zwei himmelweit verschiedene Dinge. Wenn nur nicht die Stimme gewesen wäre!

„Also, Durchlaucht meinen –?“ fragte der Alte, der jetzt doch schwankend geworden war.

„Ich meine, daß Du ein alter Geisterseher bist!“ sagte Egon milder. „Geh in Dein Quartier und schlafe die Reise aus, sonst findest Du noch überall Aehnlichkeiten – gute Nacht!“

Stadinger gehorchte und verabschiedete sich. Er hatte zum Glück Joseph Tanner, der überhaupt nur wenige Wochen in Ostwalden

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