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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

gewesen war, nicht gekannt, und die Begegnung hatte ihn so in Schrecken versetzt, daß ihm die mühsam verhaltene Aufregung seines Herrn vollständig entging. Aber er blieb bei seinem Kopfschütteln – wunderlich war die Geschichte doch!

Als der Fürst sich allein sah, begann er stürmisch im Zimmer auf und nieder zu schreiten. Also war es doch erzwungen worden, was er dem einstigen Freunde versagt hatte! Joseph Tanner! Er erinnerte sich noch deutlich des Namens, der ihm damals in Ostwalden genannt worden war, und er wußte jetzt, welche Hand Hartmut die Reihen der Armee geöffnet hatte, die sich einem Rojanow verschlossen. Was vollbringt die Liebe einer Frau nicht, die den Geliebten um jeden Preis entsühnt sehen will! Sie hatte ihn selbst hinausgesandt in die Todesgefahr, um ihn dem Leben und sich zu retten.

Die Eifersucht stieg heiß und wild auf in dem Herzen Egons bei diesem Gedanken, und damit hob auch jener furchtbare, noch immer nicht überwundene Argwohn wieder drohend sein Haupt empor. Wollte Hartmut wirklich nur sühnen in diesem Kampfe? War seine Anwesenheit bei den Vorposten nicht eine Gefahr, für die man die Verantwortung trug, wenn man sie verschwieg?

Da tauchte vor dem jungen Fürsten das bleiche, düstere Antlitz des Freundes auf, der ihm über alles theuer gewesen war und der bei dieser Begegnung eine Folterqual ausgestanden haben mußte, wie man sie sich peinigender nicht denken kann. Er kannte am besten Hartmuts unbändigen Stolz, und dieser Stolz beugte sich jetzt Tag für Tag in den Staub, in einer tief untergeordneten Stellung. Er hatte es gehört: da draußen am Kapellenberge arbeiteten sie oft, daß ihnen trotz der Eiseskälte der Schweiß in Strömen von der Stirne rann und die Hände bluteten. Das that der verwöhnte, gefeierte Rojanow, dem vor einem Jahre um diese Zeit eine ganze Stadt ihre Bewunderung zu Füßen gelegt, den das Fürstenhaus mit Auszeichnungen überschüttet hatte, that es freiwillig, während der Sieg seines Dichtwerkes ihm die reichsten Mittel zu Gebote stellte – und er war doch der Sohn des Generals Falkenried!

Egons Brust hob sich unter einem tiefen, aber befreienden Athemzuge. Das gab ihm endlich langsam den verlorenen Glauben zurück, davor entflohen die quälenden Zweifel. Die alte Knabenschuld Hartmuts wurde jetzt gesühnt, und das andere, Schrecklichere war die Schuld der Mutter allein, nicht die seine.




Es war gegen neunn Uhr abends, als Fürst Adelsberg sein Quartier verließ, um sich zu dem kommandirenden General zu begeben. Er folgte dabei keinem dienstlichen Befehl, sondern einer Einladung, denn der General war mit seinem verstorbenen Vater eng befreundet gewesen und hatte für den Sohn während des ganzen Feldzuges eine väterliche Fürsorge gezeigt. Wohl hätte Egon viel darum gegeben, heut abend allein bleiben zu dürfen, denn die Begegnung mit Hartmut hatte ihn im tiefsten Inneren erschüttert, aber die Einladung des Vorgesetzten ließ sich nicht ausschlagen, und im Kriege durfte man seinen Stimmungen keine Rechnung tragen.

Als der junge Fürst in das Haus trat, begegnete ihm auf der Treppe einer der Adjutanten, der es sehr eilig hatte und nur von schlimmen Nachrichten fallen ließ, die Fürst Adelsberg wohl von dem Kommandirenden selbst hören würde. Kopfschüttelnd stieg Egon die Treppe hinauf.

Der General war allein, er schritt im Zimmer auf und nieder, in sichtbarer Aufregung mit einer Miene, die in der That nichts Gutes verhieß.

„Da sind Sie ja, Fürst Adelsberg!“ sagte er, beim Eintritt des jungen Offiziers stehen bleibend. „Ich kann Ihnen leider keinen guten Abend versprechen, wir haben Meldungen erhalten, die uns wohl allen die Lust zum Beisammensein gründlich verderben.“

„Ich hörte soeben eine Andeutung davon,“ versetzte Egon. „Was ist denn vorgefallen, Excellenz? Die Depeschen von heut mittag lauteten ja durchweg günstig.“

„Ich besitze die Nachrichten auch erst seit einer Stunde. Sie haben ja selbst den Verdächtigen, den unsere Posten aufgriffen, im Hauptquartier abgeliefert. Wissen Sie, was er bei sich trug?“

„Allerdings, Hauptmann Salfeld sandte es mir zugleich mit dem Gefangenen, und ich war auch der Meinung, daß dieser die schriftlichen Mittheilungen, die sehr vorsichtig gehalten waren, mündlich ergänzen sollte; man hatte offenbar mit der Möglichkeit gerechnet, daß sie in unsere Hände fallen könnten. Der Mann wollte freilich nichts gestehen, er sollte hier aber sofort ernstlich verhört werden.“

„Das ist auch geschehen. Der Mensch war feig, und als er sah, daß ihm die Kugel drohte, rettete er sich mit einer Enthüllung, an deren Wahrheit leider nicht zu zweifeln ist. Sie erinnern sich, daß in einem der Schriftstücke davon die Rede war, man könnte im äußersten Falle das heldenmüthige Beispiel des Kommandanten von R. nachahmen.“

„Ja, unbegreiflicherweise, denn die Festung steht doch unmittelbar vor der Uebergabe! General Falkenried hat ja gemeldet, daß er morgen schon einzuziehen hofft.“

„Und ich fürchte, er wird Wort halten!“ rief der General heftig. Egon sah ihn betroffen an.

„Sie fürchten, Excellenz?“

„Ja, denn es handelt sich um ein Bubenstück, einen Verrath ohnegleichen. Man will die Festung übergeben und dann, wenn die Besatzung abgezogen ist und die Unsrigen eingerückt sind, die Citadelle in die Luft sprengen.“

„Um Gotteswillen!“ fuhr der junge Fürst entsetzt auf. „Kann General Falkenried benachrichtigt werden?“

„Das ist es eben, ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Ich habe sofort Warnungen abgesandt, auf zwei verschiedenen Wegen. aber unsere gerade Verbindung mit R. ist abgeschnitten, der Feind hält die Bergpässe besetzt, die Nachrichten müssen weite Umwege machen und können nicht rechtzeitig zur Stelle sein.“

Egon schwieg in äußerster Bestürzung. Die Pässe waren in der That gesperrt durch feindliche Streitkräfte. Eschenhagens Regiment sollte den Weg ja erst frei machen, und das konnte Tage dauern.

„Wir haben alle Möglichkeiten erwogen,“ hob der General von neuem an, „aber es bleibt kein Ausweg nichts als die schwache Hoffnung, daß die Uebergabe sich auf irgend eine Weise verzögern könnte. Doch Falkenried ist nicht der Mann, sich hinhalten zu lassen, er wird den Abschluß erzwingen und dann ist er verloren, und Hunderte, vielleicht Tausende mit ihm!“

Er nahm wieder seinen Gang durch das Zimmer auf, man sah es, wie nahe dem sonst so eisernen Manne das Schicksal der Bedrohten ging. Auch der junge Fürst stand rathlos da; auf einmal aber durchzuckte ihn wie ein Blitzstrahl ein Gedanke, er richtete sich empor.

„Excellenz!“

„Nun?“

„Wenn es möglich wäre, trotzalledem eine Depesche über die Bergpässe zu senden – ein tüchtiger Reiter könnte im Nothfall bis morgen vormittag in R. sein, er müßte freilich auf Tod und Leben jagen.“

„Und mitten durch die Feinde hindurch! Thorheit! Sie sind doch auch Soldat und müssen sich sagen. daß das nicht denkbar ist; nicht eine halbe Meile käme der Tollkühne vorwärts, er würde rettungslos niedergeschossen.“

„Und wenn sich nun ein Mann fände, der dennoch den Versuch machte? Ich kenne einen solchen Mann, Excellenz.“

Der General zog unwillig die Brauen zusammen.

„Soll das etwa heißen, daß Sie selbst Lust haben zu diesem nutzlosen Opfertode? Das müßte ich Ihnen verbieten, Fürst Adelsberg. Die Tapferkeit meiner Offiziere weiß ich zu schätzen, aber zu solchen unmöglichen Unternehmungen gebe ich sie nicht her.“

„Ich spreche nicht von mir,“ erklärte Egon ernst. „Der Mann, den ich meine, steht beim siebenten Regiment und ist augenblicklich auf Vorposten am Kapellenberge. Er war es, der mir den Gefangenen anmeldete.“

Der General war nachdenklich geworden, aber er schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ich sage Ihnen, daß es unmöglich ist, indessen – wie heißt der Mann?“

„Joseph Tanner.“

„Gemeiner?“

„Ja, aber freiwillig eingetreten.“

„Sie kennen ihn also näher?“

„Ja, Excellenz, er ist vielleicht der beste Reiter in der ganzen Armee, unerschrocken bis zur Tollkühnheit und fähig genug, in solchem Falle mit der Umsicht eines Offiziers zu handeln. Wenn die Sache überhaupt zu erzwingen ist, so erzwingt er sie.“

„Und Sie glauben – befehlen läßt sich ja so etwas nicht, es ist im Grunde nur eine Verzweiflungsthat – Sie glauben, daß der Mann freiwillig diesen Auftrag übernehmen würde?“

„Ich bürge dafür.“

„Dann allerdings kann und darf ich nicht Nein sagen, wo so viel auf dem Spiele steht. Ich werde Tanner sofort herbeordern.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_411.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)