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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Zähne hier in glänzendem Email aus dem Jurastein starrten, die Riesenhirsche, die Auerochsen, die Höhlenbären und -löwen und wie all die Ungethüme hießen, deren Ueberreste kreuz und quer, verschlafen und zerspalten im steingewordenen Lehm lagen, den neuzeitlichen Schwaben zur Auffindung des Zaubergangs verhelfen, der sich von da bis jetzt 200 m weit ins Gebirge hineinzieht!

Die Wolfsschlucht.

Schon die dritte Grotte, die "Gothische Halle" zu welcher man auf einer Treppe hinaufsteigt, ist in der That zauberhaft. "Eis!" ruft der Besucher unwillkürlich , wenn er zu den Gebilden aufschaut, die in schimmernder Weiße von den Wänden der kapellenartigen Halle herabhängen. Aber die Wärme (vergangenen Winter immer 15 Grad) und wohl auch das überlegene Lächeln des Führers, der solchen Mißverständnisses gewohnt ist, belehren ihn sogleich eines Besseren. Da drängt es sich fluthartig aus der hohen Felsnische hervor; dort in der Höhe droben baut sich die zierlichste, stilvollste Kanzel heraus; rückwärts, wo die weißen Bildungen mit gelblichen vermischt sind, steigt's kammartig empor zu einer Oberkammer, die sich aber nur vermittels einer Leiter und auch so nur unbequem erreichen läßt.

Auf dem Boden, der aus Lehm, mit Kies gemischt, besteht, erheben sich die wunderlichsten Zapfen und Zinken große und kleine, schlanke und gedrungene, zumeist ebenfalls in Formen des Eises aufs täuschendste nachahmend. Emsig geht der weitere Aufbau dieser Stalagmiten vor sich;

Eingang in die Klamm.

das alte Sprichwort „gutta cavat lapidem non vi, sed saepe cadendo“ (=nicht durch Gewalt, aber durch unaufhörliches Fallen höhlt der Tropfen den Stein) hat hier seine Geltung verloren: der aus der Höhe fallende Tropfen höhlt den Stein nicht, sondern baut ihn auf, und wenn's auch Jahrhunderte währen mag, bis ein solcher Krystallzapfen fertig ist, die Natur wird nicht müde, und Tropfen um Tropfen setzt die fürs bloße Auge nicht sichtbaren Kalkkörperchen ab, die sich im Ringe gelagert in glitzerndem Krystall um die leerbleibende Mittelöffnung ansammeln. Bruchstücke solcher Gebilde zeigen beim Schliff die sich wie rohe Seide aneinander fügenden und in einander schlingenden „Jahresringe“, wenn man diesen Ausdruck auf die todten und doch stetig wachsenden Steine anwenden darf. Uebrigens geht jene geheimnißvolle Arbeit eher im Winter vor sich, wenn das Schneewasser in den Boden einsickert; im Sommer ist die Höhle fast durchweg trocken und sauber. - Wir verlassen die „Gothische Halle“, die in der That einigermaßen an gothische Bauart erinnert, durch ein Thor, das durch Hinwegräumen eines im Weg liegenden gewaltigen Felsklotzes erst künstlich hergestellt werden mußte - vorher war nur ein ganz enger, fast unpassierbarer Durchschlupf vorhanden - und sehen gleich nach den ersten Schritten links die getreueste, verkleinerte Nachbildung eines Gletschers, bis aufs schimmernde Eisthor alle Einzelheilen eines, solchen treffend, im Verhältniß zum andern nur eine kleine Gruppe, aber zum Schönsten und Ueberraschendsten gehörig.

In der Klamm.

Ein lang sich hinziehender Gang, überall an Decke und Seitenwänden mit den wundersamsten Bildungen behängt, führt in die „Maurische Halle“. Ein steinernes Märchen! Links stürzt sich hoch herab aus undurchdringlicher Finsterniß der „Wasserfall“; aber zu stummen Stein erstarrt sind die schneeweißen, schäumenden Wogen und die breite Fluth, in die der prachtvolle Sturz wallend ausläuft. Rechts sind an der schneeigen Wand die wundersamsten Figuren aufgebaut, ein unerschöpflicher Reichthum an Formen, vom massiven Stalaktiten bis zum feinsten Glasröhrchen, die meisterhafteste Filigranarbeit, die der Bezeichnung der Grotte als der „maurischen“ volle Berechtigung verleiht. Auch hier ist der Boden mit Tropfsteinen bedeckt, nur in zusammenhängender, wie zusammengebackener Form. Wahrscheinlich ist die merkwürdige Masse, die den Boden gänzlich überdeckt, abgesehen von der starken Säule, an welcher das Geländer angebracht ist, als eine Verstürzung von oben herab anzusehen; es läßt sich ja denken, wenn die Stalaktiten Jahr um Jahr neue Schichten ansetzen und nach unten in die Breite wachsen, daß dann infolge der Gewichtszunahme schließlich eine Ablösung von der Felsdecke erfolgen muß. So ist denn auch in verschiedenen Theilen der Höhle bei Gelegenheit der Wegbahnung eine ganze Anzahl von Tropfsteingebilden zum Vorschein gekommen, die sicherlich einst von der Decke herabhingen, bevor sie durch ihr eigenes Gewicht losgerissen in die Tiefe stürzten. Von diesen sind ja die eigentlichen Stalagmiten, die vom Boden aufwachsen, leicht zu unterscheiden. - Ueber eine Treppe, am „Zwergpalast“ vorbei, einer überaus zierlichen Gruppe jener unglaublich zarten Glasröhrchen, geht's in die fünfte Halle, wo sich der Weg nach links in einen weiteren Gang verliert, dessen Ende noch nicht ausgegraben ist, und nach rechts hinab zur sechsten Halle, an der Spindelpartie (feine, glasige Tropfsteine in Spindelform)

und an einem aus dem Gebirgsinnern heraus vernehmbaren, noch nie von eines Menschen Auge geschauten Wassersturz vorüber. Von da an steigen die Felsen riesenhaft empor, und ungleich öffnet sich wie der Eingang zur Unterwelt in enger Tiefe die „Klamm“, ein ungeheurer Felsenspalt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_414.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)