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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Karawanen und Wüstenreisen.[1]
Von Dr. A. E. Brehm.

Am Saume der Wüste, unter einer dichten Palmengruppe, steht ein kleines Zelt. Ringsum dasselbe liegen in bunter Reihe, wallartig geordnet, Kisten und Ballen. Im Innern des Zeltes befinden sich Reisende, welche mittels einer Nilbarke hierher gelangt sind und beabsichtigen, einen weiten Bogen des von nun an klippen- und stromschnellenreichen Nils abzuschneiden, also die von letzterem theilweise umschlossene Wüste zu durchziehen.

Es ist um die Mittagszeit. Die Sonne steht fast senkrecht über dem Zelte an dem wolkenlosen, tiefblauen Himmel und ihre sengenden Strahlen werden durch die sperrigen Wedel der Palmen kaum gehindert, drückende Gluth liegt auf der Ebene zwischen Strom und Wüste und die Luftschichten über dem erhitzten Boden wogen und flimmern, daß jedes Bild sich verzerrt und verschleiert.

Ein Reiterzug, von der Wüste her kommend, taucht am Rande des Gesichtskreises auf und wendet sich, ohne nach dem landeinwärts liegenden Dorfe einzulenken, geradeswegs dem Zelte zu. Dunkelbraune, ärmlich gekleidete, in lange und weite, eher graue als weiße Burnusse gehüllte Männer steigen, unter den Palmen angelangt, von ihren mageren, jedoch nicht unedlen Pferden. Einer von ihnen nähert sich dem Zelte und tritt mit der Würde eines Königs in dasselbe. Es ist das Oberhaupt der Kameltreiber (Scheich el Djemali), welchem wir, die Reisenden, Botschaft gesandt haben, um uns durch seine Hilfe mit den erforderlichen Führern, Treibern und Kamelen zu versehen.

„Heil mit Euch!“ sagt er beim Eintreten und legt grüßend seine Hand auf Mund, Stirn und Herz.

„Mit Dir, o Scheich, Heil, die Gnade Gottes und sein Segen!“ ist unsere Antwort.

„Groß war mein Sehnen, Euch zu sehen, o Fremdlinge, und Eure Wünsche zu vernehmen,“ versichert er, nachdem er auf dem Polster neben uns und zwar zu unserer Rechten, auf dem Ehrenplatze, sich niedergelassen hat.

„Möge Gott, der Erhabene, Dein Sehnen vergelten, o Scheich, und Dich segnen!“ erwidern wir seine Rede und befehlen unseren Dienern, ihm, früher noch als uns selbst, eine frisch angezündete Pfeife und Kaffee zu reichen.

Halbgeschlossenen Auges labt er seinen sterblichen Leib durch den Kaffee, seine unsterbliche Seele durch die Pfeife; in dichte Wolken hüllt er sein ausdrucksvolles Haupt. Fast lautlose Stille herrscht im Zelte, welches der Wohlgeruch des köstlichen Djebelitabaks durchduftet und leichter, unbeschwerlicher Rauch durchzieht, bis wir endlich glauben, die beabsichtigten Verhandlungen beginnen zu dürfen, ohne uns der Unhöflichkeit schuldig zu machen.

„Wie ist Dein Befinden, o Scheich?“

„Der Spender alles Guten sei gepriesen!– wohl, Dir zu dienen. Und wie steht es um Dein Wohlsein?“.

„Dem Herrn der Welt sei Ruhm und Ehre; ich befinde mich ganz wohl!“

Und so geht es noch eine Weile fort. Neue, fast endlose Höflichkeitsbezeigungen werden gegenseitig ausgetauscht; dann endlich gestattet die allseitig bindende Gebräuchlichkeit, geschäftliche Angelegenheiten zu behandeln.

„O Scheich, ich will mit des Allerbarmenden Hilfe diese Wüstenstrecke durchreisen.“

„Möge Allah Dir Geleit geben!“

„Bist Du im Besitze von Trabern und Lastkamelen?“

„Ich bin’s! Befindest Du Dich wohl, mein Bruder?“

„Der Erhabene sei gelobt! es ist so. Wie viel Kamele kannst Du mir stellen?“

Anstatt einer Antwort auf diese Frage entquellen nur zahllose Rauchwolken dem Munde des Scheich, und erst nach Wiederholung unserer Worte legt der Mann für einige Augenblicke die Pfeife zur Seite und spricht würdevoll:

„Herr, die Anzahl der Kamele der Beni Said kennt nur Allah; ein Sohn Adams hat sie noch nie gezählt!“

„Nun wohl, so sende mir fünfundzwanzig Thiere, darunter sechs Traber. Außerdem bedarf ich zehn großer Schläuche.“

Der Scheich raucht von neuem, ohne zu reden.

„Wirst Du sie mir senden, die gewünschten Thiere?“ wiederholen wir dringlicher.

„Ich werde es thun, um Dir zu dienen; allein ihre Besitzer stellen hohe Preise!“

„Und welche?“

Mindestens das Vierfache der üblichen Löhne und Miethen wird gefordert.

„Aber Scheich, erschließe Dich Allah, dem Erhabenen! Das sind Forderungen, welche Dir niemand bewilligen wird!“

„Gott, der Allerhaltende, sei gepriesen und sein Gesandter gesegnet! Du irrst, mein Freund: der Kaufmann, welcher dort oben lagert, hat mir das Doppelte geboten von dem, was ich verlange; nur meine Freundschaft zu Dir ließ mich so geringe Forderung stellen!“

Vergeblich scheint alles Feilschen, vergeblich jede weitere Verhandlung. Frische Pfeifen werden gebracht und geraucht, neue Höflichkeitsbezeigungen ausgetauscht, der Name Allahs auf beiden Seiten gemißbraucht, Wohl und Befinden gegenseitig aufs genaueste festgestellt, bis endlich die erlernte Sitte der angeborenen weicht und der abendländische Reisende die Geduld verliert.

„So wisse, Scheich, daß ich im Besitze eines Geleitsbriefes des Khedive und ebenso eines des Scheich Soliman bin; hier sind beide: was forderst Du jetzt noch?“

„Aber Herr, wenn Du einen Geleitsbrief seiner hohen Herrlichkeit besitzest: warum forderst Du nicht das Haupt Deines Sklaven? Es steht Dir zu Diensten, ihm zu Befehl. Deine Wünsche nehme ich auf meine Augen, auf mein Haupt. Du befiehlst, Dein Sklave wird gehorchen. Die Preise der Regierung kennst Du ja. Das Heil Allahs über Dich; morgen früh sende ich Dir Männer, Thiere und Schläuche.“

Aber nicht am andern Morgen, wie versprochen, erschienen die gemietheten Treiber und Thiere, sondern erst in den Nachmittagsstunden fanden sie sich allmählich ein, und nicht am nächsten Morgen, sondern frühestens um die Zeit des Nachmittagsgebetes des folgenden Tages konnte an den Aufbruch gedacht werden. „Bukra inshallah“ – morgen, so Gott will – ist die Losung, und sie widersteht jedem Machtgebote. In der That giebt es noch viel zu thun, vieles zu regeln, vieles zu ordnen, manches instand zu setzen, bevor die Reise angetreten werden kann.

Um das Zelt entwickelt sich ein buntes, lebendiges Bild. Zwischen den Gepäckstücken bewegt sich die Schar der ausgedorrten Söhne der Wüste. Wenig fördernde Geschäftigkeit, aber unglaubliches Geschrei und Gelärm bezeichnen ihr Thun und Treiben. Die wallartig geordneten Gepäckstücke werden auseinandergezerrt, einzeln aufgehoben, gewogen, hinsichtlich des Gewichtes wie rücksichtlich ihres Umfanges geprüft, mit anderen verglichen, auserwählt und verworfen, zusammengeschleppt und wieder getrennt. Jeder Treiber sucht den anderen zu überlisten, jeder für seine Thiere die leichteste Ladung zu gewinnen; alle lärmen und toben, schreien und schelten, schwören und fluchen, bitten und verwünschen; und wenn man sich endlich wegen der Ladung zur Genüge oder zum Ueberdrusse gezankt und gestritten hat, ist erst das Vorspiel zu Ende.

Nach Friedensschluß beginnt man, mitgebrachte Dattelbastfasern zu Stricken und Seilen zu drehen; hierauf umschnürt man in sinnreicher Weise Kisten und Ballen, bildet Oesen und Oehre, um je zwei Gepäckstücke auf dem Sattel des Thieres ebenso rasch verbinden als lösen zu können, bessert noch eiligst bereits fertig mitgebrachte Tragnetze, die bestimmt sind, die kleineren Päcke in sich aufzunehmen, nothdürftig aus und wendet sich sodann einer genauen Prüfung der verschiedenen großen und kleinen Schläuche zu, um auch an ihnen noch zu arbeiten und zu flicken und endlich sie mit stinkendem, aus Koloquinthensamen bereitetem Theere äußerlich einzuschmieren. Schließlich unterzieht man an der Sonne getrocknetes Fleisch einer nochmaligen Besichtigung, füllt einige Bastsäcke mit Kafferhirse oder Durra, andere mit Holzkohlen, spült die Schläuche oberflächlich aus, versieht auch sie mit frisch dem Strome entnommenem Wasser und beschließt die langwierige Arbeit mit einem allseitig wiederholten, aus tiefster Brust hervorgestoßenen „El hamdu lillahi“ – Gott sei Dank!

  1. Aus dem im Verlage der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart soeben in Lieferungen erscheinenden Buche „Vom Nordpol zum Aequator. Populäre Vorträge von Dr. A. E. Brehm.“ Mir Illustrationen von R. Friese, G. Mützel, Fr. Specht u. a.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_416.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)