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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und die ausgehungerten Sansibariten trennten sich zunächst von ihrem persönlichen Besitz, von ihren Hemden, Turbanen, Ueberkleidern, Westen, Messern und Gürteln; dann opferten sie für ein paar Maiskolben ihre Munitionstaschen, Lädestöcke, Haumesser und endlich die Remingtongewehre. „Wir waren also,“ ruft Stanley aus, „nachdem wir den schrecklichen Leiden des Hungertodes und dem Schaden, den die vielen wilden Stämme uns hätten zufügen können, entgangen waren, in drohender Gefahr, die Sklaven der arabischen Skaven zu werden.“

Um das Schlimmste zu verhüten, griff Stanley zu abschreckenden Mitteln; ein Sansibarite, der überführt worden war, daß er ein Gewehr entwendet und verkauft hatte, wurde aufgeknüpft. Diese Maßregel stellte die Disciplin wieder her, und die Entschlossenheit machte auch auf die Manjema den gewünschten Eindruck. Aber erst am 26. Oktober konnte der Offizier Mounteney Jephson mit 40 Sansibariten und 30 Manjemasklaven, die genügende Lebensmittel trugen, den Marsch zum Entsatz Nelsons antreten. Auf bereits gebahntem Wege, der von Leichen und Gerippen der verhungerten Karawanenmitglieder bezeichnet war, ging er rasch zurück.

Die Station Kilonga Longas.

„Sobald es am 29. Oktober Tag wurde,“ heißt es in seinem Berichte an Stanley, „brach ich auf, da ich entschlossen war, Nelson an diesem Tage zu erreichen und die Frage zu entscheiden, ob er noch am Leben sei. In Begleitung von nur einem Mann befand ich mich bald meinen übrigen Leuten weit voraus. Als ich mich dem Lager Nelsons näherte, überkam mich eine fieberhafte Ungeduld, sein Schicksal zu erfahren, und ich drang rasch vor, durch Fluß und Bach, über Ufer und Sumpf, über welche sich unsere verhungernden Leute mit den Abtheilungen des Bootes langsam und mühsam weiter gearbeitet hatten.

Als ich von dem Hügel in Nelsons Lager hinabkam, hörte ich keinen weiteren Laut als das Aechzen zweier Sterbenden in einer nahen Hütte; der ganze Platz hatte das Aussehen des Verlassenseins und der Trauer. Ich ging leise um das Zelt herum und fand Nelson dort sitzen; wir schüttelten uns die Hand, dann wandte der arme Bursche sich ab und seufzte und murmelte etwas über seine sehr große Schwäche. Das Aussehen Nelsons hatte sich sehr verändert; er sah matt und hager aus und hatte tiefe Ringe um die Augen und Linien am Mund. Er erzählte mir von seiner Sorge, als ein Tag nach dem andern verstrich und keine Hilfe kam; endlich war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß uns etwas passirt sei und wir gezwungen gewesen seien, ihn zu verlassen. Er hatte hauptsächlich von Früchten und Schwämmen gelebt, die seine beiden Jungen ihm täglich brachten. Von den 56 Mann, die Sie bei ihm gelassen haben, waren nur 5 übrig, und von diesen lagen 2 im Sterben. Alle übrigen waren desertirt oder umgekommen.“

Bonny (einer der weißen Offiziere Stanleys) brachte die Geretteten in die Niederlassung der Manjema nach Ipoto, wo Kapitän Nelson sich allmählich erholte, so daß er später alle weiteren Strapazen des Zuges theilen konnte.

Rettung des Kapitäns Nelson und der Ueberlebenden im Hungerlager.

Nachdem Stanley die Kranken unter Obhut Dr. Parkes und das Boot bei Kilonga Longa zurückgelassen hatte, trat er mit der geschmälerten Mannschaft den Weitermarsch an. Er gelangte jetzt in das Land der Balesse, das sich durch eine eigenthümliche Bauart der Dörfer auszeichnet. Auf den ersten Anblick scheinen diese Dörfer ein langes mit schrägem Dach versehenes Gebäude zu sein, welches genau dem First des Daches entlang in der Mitte durchgeschnitten ist, und es sieht aus, als ob beide Hälften des Hauses 6 bis 9 Meter zurückgeschoben und dann an den inneren Seiten mit Brettern bekleidet und mit niedrigen Thüren versehen worden seien, welche die Eingänge in die verschiedenen Gemächer bilden. Der Marsch durch den Wald der Balesse bot neue Schwierigkeiten. Die nachfolgende Schilderung möge uns darüber belehren:

„Eine weitere Eigenthümlichkeit des Balesselandes ist der Zustand seiner Waldlichtungen, die zum Theil sehr ausgedehnt sind, einen Durchmesser bis zu 2½ km haben und sämmtlich überall mit den Ueberresten, Trümmern und Stämmen des Urwaldes bedeckt sind. In der That läßt sich eine Lichtung der Balesse mit nichts besser vergleichen, als mit einem das Hauptdorf umgebenden mächtigen Verhau, über welchen der Reisende sich einen Weg zu suchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_432.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)