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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

John Ericius war der reichste Mann in Kiel, wohl einer der reichsten im ganzen Norden. Sein Vermögen konnte sich mit dem der Millionäre messen, die in Hamburg ihre Privatpaläste an der Alster und Elbe besaßen. Er war auch Mitglied des Magistrats, Vorsitzender einer großen Anzahl von Vereinen und machte ein großes und vielbeneidetes Haus.

Aber so liebenswürdig er als Wirth sein konnte, so kurz und bündig zeigte er sich im Geschäftsverkehr.

„Ich will das und das von Dir, dafür bezahle ich Dich. Thust Du dagegen Deine Pflicht, so giebt’s zwar keine artigen Mienen und kein Lob, aber Du hast die Anwartschaft, bei mir vorwärts zu kommen. Bist Du aber eine taube Nuß, so werfe ich Dich einfach weg!“ So lauteten seine Grundsätze.

„Hier, Ratlef!“ rief an dem heutigen Tage Herr Ericius, erhob das starrköpfige Haupt mit den strengen Zügen, schob die durchgesehenen Briefe in die Mappe und hielt sie dem eilfertig sich nähernden jungen Mann hin. „Wenn Herr Richard Tromholt heut vormittag ins Comptoir kommt, lasse ich ihn bitten, sich sofort hierher zu begeben. Es war verabredet, daß ich um elf Uhr im Bureau am Hafen sein sollte, und daß wir uns dort sprechen wollten. Ich wünsche ihn aber hier zu empfangen. Verstanden?“

Der Gehilfe entfernte sich, und John Ericius vertiefte sich wieder in seine Geschäfte, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen schienen.

Er hatte sich vor nunmehr zwanzig Jahren mit einer Dame aus altem Adelsgeschlecht verheirathet, die ihn, den älteren Mann, nicht nur um seines schon damals bedeutenden Vermögens willen, sondern aus wirklicher Neigung den vielen andern Bewerbern, die ihre eigenartige Schönheit anlockte, vorgezogen hatte, und noch heute in ihrem vierzigsten Jahr war Frau Susanne Ericius, geborene Gräfin von Tolk, eine Erscheinung, deren Anblick Männerherzen in eine unruhige Bewegung zu versetzen imstande war.

Von den beiden Töchtern, die dieser Ehe entsproßten, war die ältere, Susanne, äußerlich das verjüngte Ebenbild der Mutter, die jüngere, Dina, noch ein halbes Kind, in dem sich Schönheit und Anmuth knospend zu regen begannen.

Der vielbeschäftigte Kaufmann hatte für die Erziehung seiner Kinder wenig Zeit übrig, ja er, der kurz und gemessen in seinen Geschäftsräumen schaltete, vor dessen Strenge die Angestellten zitterten, war im häuslichen Verkehr von einer gewissen Schwäche gegen die Wünsche und Launen seiner Kinder, deren Erziehung im übrigen von der Mutter musterhaft geleitet wurde, nicht ganz freizusprechen. Insbesondere kam diese Nachgiebigkeit Susannen gegenüber in einer für die Entwickelung dieses außerordentlich selbständig angelegten Charakters nicht vortheilhaften Weise zur Geltung. Aber eben die Eigenschaften, die sie von ihm selbst geerbt hatte, und denen er so große Erfolge verdankte, machten sie zu seinem Liebling, den zu verwöhnen ihm eine förmliche Erholung war. Es gab keinen Wunsch, den er ihr nicht erfüllte, keine Absonderlichkeit, die er an ihr nicht entschuldigte, sogar gut fand, und die männliche Entschiedenheit ihres Wesens, weder durch bittere Erfahrungen noch durch die reifere Ueberlegung des Alters gelenkt und gebändigt, neigte nur zu sehr zum Außergewöhnlichen; ein Ueberschuß von Kraftgefühl, dem der enge Kreis von anregender Geselligkeit und häuslicher Beschäftigung lange nicht genügte, machte sich in allerlei Vergnügungen nach Männerart, in Reiten, Fahren, Segeln und Jagen Luft. Besonders den letzteren Sport betrieb Susanne mit Leidenschaft.

Ein Stündchen nach Ratlefs Entfernung meldete der Diener den Ingenieur Herrn Richard Tromholt.

„Ah, Sie! Schon da? Ganz gut! Bitte!“ stieß John Ericius ohne besondere Höflichkeitsbezeigungen kurz heraus und wies, fast ein wenig herablassend den Kopf neigend, auf einen Stuhl. Aber ehe noch Richard Tromholt, ein junger Mann von vornehmer Haltung und ernsten, gescheiten Gesichtszügen, seiner artigen, wenn auch etwas steifen Verbeugung irgend was hinzufügen konnte, fuhr John Ericius fort:

„Ich bat Sie, hierher zu kommen, Herr Tromholt, da ich wegen einer unerwarteten geschäftlichen Veranlassung in einer Stunde verreisen muß und mir die Zeit durch das Hin und Her zu sehr verkürzen würde. Ich bleibe mehrere Tage, vielleicht eine Woche fort, möchte aber nicht, daß Sie Ihre Abreise verschieben. Ich denke, wir sind ja auch mit allem so weit in Ordnung. Es würden nur noch zwei Punkte zu erörtern sein: die Länge der Zeit, zu der wir uns gegenseitig verpflichten wollen, und die Gewinnbetheiligung, die Ihnen nach Ihrem Schreiben“ – hier suchte John Ericius etwas hastig in den Papieren herum, die auf dem Tische lagen, und überflog das bald gefundene Schriftstück – „nicht hoch genug erscheint. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen, – oder halt – lesen wir noch einmal den Anstellungsvertrag durch! – Also Paragraph eins –“

Bei der geschäftlichen Verhandlung, die nun zwischen den beiden begann, handelte es sich um einen weitläufigen Gutsbesitz, den Herr Ericius seit längerer Zeit an den Grenzen Nordschleswigs erworben hatte, und dessen Leitung zum Zweck einer großartigeren Ausbeutung er dem ihm von den verschiedensten Seiten empfohlenen Mann anzuvertrauen gesonnen war.

Zu dem Besitz, der den Gesammtnamen „Limforden“ führte, gehörten außer dem gleichnamigen Hauptgute das von großen Torfmooren umgebene Vorwerk „Trollheide“, ferner verschiedene Seen und ein ausgedehntes Waldgebiet. Auf Trollheide war die Torfstecherei fabrikmäßig in größtem Stil geplant. Die Seen sollten nach einem neuen System trocken gelegt und in den Forsten Holzschneidereien eingerichtet werden, alles nach den Vorschlägen des Herrn Richard Tromholt und den von ihm ausgearbeiteten Plänen. Auch sollte dieser mit dem Titel eines Direktors die Oberleitung der ganzen unter dem Namen „Ericiussche Werke in Limforden“ ins Handelsregister eingetragenen Anlage übernehmen.

Das alles war längst besprochen und führte zu keinen weiteren Erörterungen. Anders war es mit den Gehaltsbedingungen und dem Gewinnantheil des neuen Direktors, worüber sich, da die beiden Herren doch etwas verschiedene Standpunkte vertraten, eine längere und von seiten des Herrn Ericius etwas schroff und heftig geführte Verhandlung entspann. Die Ruhe und Festigkeit, mit welcher der junge Ingenieur seine Sache vertrat, ohne sich durch die oft beinahe verletzende Schroffheit des Kaufmanns im geringsten beirren zu lassen, machten nicht weniger Eindruck auf Ericius als die umfassenden geschäftlichen Kenntnisse, die er bei der Begründung seiner Ansprüche an den Tag legte.

„Das ist mein Mann,“ dachte Ericius vergnügt bei sich, allein es war nicht seine Art, so rasch nachzugeben und seine Zufriedenheit merken zu lassen. Immer wieder suchte er die Gründe Tromholts zu bekämpfen und zu erschüttern, endlich jedoch mußte er sich überzeugen, daß er in ihm seinen Mann gefunden habe. Man stand eben im Begriff, eine vollständige Einigung zu erzielen, als die Verhandlungen plötzlich unterbrochen wurden.

Die Thür zu dem Geschäftszimmer wurde stürmisch geöffnet, und auf die herrische Frage des Kaufmanns: „Wer stört uns? Ich bin für niemand zu sprechen!“ antwortete eine fröhlich unbefangene Stimme: „Ich, Papa, ich!“ und ins Zimmer trat hastigen Schrittes, und ohne sich um das Verbot zu kümmern, Fräulein Susanne Ericius. Eine Jagdflinte in der Hand, das Haar in Unordnung, die Wangen geröthet und die Augen blitzend, war sie eine packende Erscheinung und weckte in Richard Tromholt ein unruhig heißes, ihm bisher unbekanntes Gefühl von Interesse und Bewunderung. Eine leichte Röthe überflog auch Susannens schönes Gesicht bei dem Anblick des Fremden, aber in demselben Augenblick – war es Verlegenheit oder Achtlosigkeit – entglitt die Flinte ihrer Hand. Rasch sprang Tromholt hinzu, um die Waffe mit den Händen aufzufangen – jedoch im Nu entlud sich durch einen nicht aufgeklärten Zufall der noch im Lauf steckende Schuß und traf Tromholt, der sich unter einem schier wahnsinnigen Schmerzensschrei nach den Augen griff, ins Angesicht. Markerschütternde Töne drangen durch das Haus und vermischten sich mit den Lauten des Schreckens aus dem Munde Susannens und ihres entsetzt emporschnellenden Vaters.




2.

Die Abendsonne durchglühte die Heide, über die zwei Personen, ein Mann und eine Frau, langsam dahinschritten. Der Horizont brannte in einem düster rothen Licht, das von der gegen den Abendschatten kämpfenden Helle des früh am Himmel aufgestiegenen Mondes in seltsam ergreifender Schönheit abstach. Mit seinem metallischen Glanze durchleuchtete er die Gegend, soweit das Auge reichte: die Felder, Moore, Wiesen und endlos langen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_454.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)