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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Ja, bleibe hier stehen, rühre Dich nicht. Ich komme mit einer Laterne – gleich – und führe Dich.“

Nach diesen Worten trat Richard rasch zurück, und das bebende Mädchen schob sich in das Dunkel einer nahestehenden Kastanie.

Als Tromholt bald darauf aus dem Hause heraustrat, sah er Peter Jeppe, einen starken Menschen mit rothen Haaren, der sich bereits wiederholt durch seine Rohheiten bemerkbar gemacht hatte, an der Mauer entlang schleichen.

Mit raschen Schritten war Richard an seiner Seite, und im nächsten Augenblick saß seine nervige Hand dem Burschen im Nacken.

„Elender, bist Du schon wieder betrunken und stellst den Mädchen nach? Ich will Dich lehren, Ruhe halten. – Komm nur hervor, Grete, er soll Dir nichts anhaben.“

Damit stieß Tromholt den plötzlich Ernüchterten, der sich zähneknirschend unter seiner Faust duckte, vor sich her, bis sie eines der Arbeitshäuser erreicht hatten. Hier zog er die Glocke, und bald darauf erschien der Aufseher mit erschrockener Miene in der Thür.

„Hier! Sperren Sie den Menschen in sein Zimmer ein!“ befahl Tromholt. „Morgen früh um acht Uhr soll er ins Comptoir kommen, da werde ich das Weitere bestimmen.“

Der Mann nickte, und Peter Jeppe folgte, einen drohenden Blick auf Grete werfend, dem Aufseher ins Haus. Richard aber brachte das noch vor Furcht zitternde Geschöpf nach dem Frauengebäude. Nach Art dieser Leute nickte sie nur leicht, bog sich knicksend herab und verschwand, ohne ein Wort zu sagen.

Eben wollte auch Richard sein Lager wieder aufsuchen, als abermals ein lauter Lärm ihn nach dem jüngst verlassenen Arbeiterhaus zurückführte. Er sah schon von fern Peter Jeppe und den Aufseher in einem wilden Handgemenge. Der letztere wehrte sich wie verzweifelt, aber der rothe Däne war ihm über und bearbeitete ihn mit den Fäusten. Als jedoch Richard hinzusprang und ihn fassen wollte, ließ er sein Opfer plötzlich los und entfloh. Am Staket wandte er sich noch einmal um und schrie mit heiserer Stimme:

„Paßt auf! Wenn Euch der rothe Hahn auf dem Dache sitzt, wißt Ihr, wer’s gewesen ist!“

Inzwischen hatte sich der Aufseher, Clas Oelschläger, wieder erhoben und war hinkend und sich das Blut von der Stirne wischend, auf seinen Herrn zugetreten.

„Er überfiel mich im Flur,“ hub er, bevor noch Richard fragen konnte, an, „preßte mich gegen die Wand und drohte, mich zu tödten, wenn ich ihn einsperre. Als ich auf Ihren Befehl verwies, packte er mich um den Leib, warf mich auf die Erde und nahm dann Reißaus. Nun eilte ich ihm nach und faßte ihn an der Kehle. Er aber gewann die Oberhand, stieß mich vor die Brust und – –“

„Ja, ja, ich sah, Clas!“ unterbrach Richard des Keuchenden Rede und legte die Hand besänftigend auf seine Schultern. „Hoffentlich hat er Dir nichts zerschlagen. Leg Dich nieder! Morgen sprechen wir weiter. Wir werden überlegen, wie wir ihn unschädlich machen. Es soll gleich in der Frühe einer zum Hardesvogt nach Limforden, damit die Gendarmerie benachrichtigt wird.“ –

Als sich Richard und Bianca am folgenden Morgen beim Frühstück zusammenfanden, forschte Frau von Gunar ängstlich nach den Vorgängen der Nacht und gab, als ihr Bruder berichtete, ihrer Besorgniß Ausdruck. Tromholt aber schüttelte leichthin den Kopf.

„Ach, das ist nichts. Die da drohen, sind nicht zu fürchten,“ entgegnete er. „Auch wird ihm schon morgen die Landpolizei auf den Fersen sein. Für die Nacht werde ich Wächter ausstellen, auch die Hunde sollen losgemacht werden – – Aber was ist das?“ unterbrach er seine Rede, als sein Blick auf die Aufschrift eines Briefs fiel, den ihm der eintretende Diener überreichte. Der Inhalt des Schreibens lautete:

„Herrn Direktor Richard Tromholt,

Trollheide.

Ich beabsichtige, am fünften mit meiner ganzen Familie für die Dauer von vierzehn Tagen in Limforden einzutreffen, möchte Sie daher ersuchen, Ihre Inspektion in Trollheide zu unterbrechen und an diesem Tage zurück zu sein. In meiner Begleitung wird sich meine Frau, meine Tochter Susanne und Graf Utzlar, mein künftiger Schwiegersohn, befinden. Hauptsächtich wegen des letzteren habe ich mich zu der Reise entschlossen. Näheres darüber mündlich.

Hochachtend
John Ericius.“

Richard verharrte lange unbeweglich bevor er das Wort nahm. „Nun hatte ich mir ein so herrliches Zusammenleben mit Dir ausgemalt, Bianca,“ stieß er endlich heraus und erhob den Blick zu seiner ihn gespannt beobachtenden Schwester. „Jetzt ist auch diese Hoffnung zerstört!“

„Was ist denn? Was ist, mein lieber Richard?“ drängte Bianca.

„Hier! Lies!“ entgegnete der Mann und schob seiner Schwester das Schreiben hinüber. Ein Ausruf der Befremdung drang auch aus ihrem Munde: „Was hat das zu bedeuten, Richard? Wie rätselhaft ist der Schluß! Und – wie peinlich für Dich, mit – ihr – ihr zusammenzutreffen! Findest Du es zart, daß sie dieser Reise zugestimmt hat?“

„Viele Fragen auf einmal,“ murmelte Tromholt etwas schroff. Aber dann gleich wieder liebenswürdig einlenkend, fuhr er fort: „Ja, räthselhaft, und nichts konnte mir ungelegener kommen. Was Du aber von Susanne gesagt hast, – einmal müssen wir uns doch wieder gegenübertreten, früher oder später. Auch ist eine lange Zeit vergangen seit damals – fast drei Jahre, da verwischt sich manches – –.“

Tromholt sprach nicht weiter, er erhob sich, trat ans Fenster und schaute mit zerstreuten Blicken hinaus ins Freie.

Ein Stündchen später wanderte Richard durch das Gut, sah in die Arbeitshäuser, hörte die Berichte der Beamten und ritt nachher in Begleitung seiner Schwester auf die Torfmoore.

Hundertunddreißig Arbeiter waren hier beschäftigt. Maschinen stampften. Eben wurden riesige Flußkähne beladen, die stromabwärts bis ans Meer fuhren, wo ihr Inhalt von Dampfschiffen weiter befördert wurde.

Die Beinkeider hoch aufgestreift, standen die Leute meistens im Wasser und arbeiteten; an vielen Orten ließ sich die Schicht wie Lehm abgraben, und es war erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit die Geübteren mit den scharfen Spaten vorwärts kamen. Die Dampfmaschinen pumpten das Wasser da, wo es bei der Arbeit hinderte, aus den Tümpeln und Lachen, und in Oefen, die wie große Ziegelbrennereien aussahen, wurden die Torfstücke zu Hunderttausenden getrocknet. Heideland, – Torfmoor, soweit man zu sehen vermochte. Kein Strauch, kein Baum! Ein Todtenlager! Aber darauf thätige Menschen, die aus den erstarrten Gebilden doch wieder das Material zogen, um prasselnde Flammen zu wecken. Mit vielen Arbeitern sprach Richard Tromholt. Sein Gedächtniß war erstaunlich, seine Güte und Fürsorge für jeden dieselbe.

Bevor die Geschwister ihren Weg zurücknahmen, trat ein alter Mann mit einem langen, stark gekräuselten Bart und Haaren, die ihm unter der haubenartigen Mütze bis auf die Schultern herabfielen, auf Richard Tromholt zu und sagte. „Erlauben Sie, Herr Direktor, daß ich morgen mit dem Frachtboot nach Mückern fahre? Sie wissen, meine Tochter Ingeborg hält Hochzeit. Ich kehre übermorgen mit dem leeren Kahn, den Jonas Pries führt, zurück.“

Richard besann sich einen Augenblick, dann entgegnete er:

„Ja, natürlich, Peter Elbe! Und wenn’s Euch recht ist, wollen wir zusammen fahren. Ich möchte das Fest mitfeiern.“

„Wie? Sie wollen? Welche Ehre, Herr Direktor!“

„Ja, und auch meine Schwester wird, wenn Ihr’s erlaubt, sich anschließen,“ ergänzte Tromholt, den Dank abwehrend, und nickte dem Alten freundlich zu. „Sorgt, daß alles hübsch glatt ist, wenn wir einsteigen. Punkt neun Uhr fahren wir ab. Nicht wahr, dann geht das Boot?“

„Jawohl, jawohl, Herr Direktor!“ rief der Alte, dessen Gesicht strahlte, den sich entfernenden Geschwistern nach.

Als sie zurückritten, sagte Richard zu Bianca: „Es ist Dir doch recht, daß wir den kleinen Ausflug machen? Du wirst Freude an der schönen Stromfahrt haben. Drei kleine Stunden sind wir unterwegs, Mückern liegt an einer tief in das Land einschneidenden Bucht der Nordsee. Es ist ein reizendes, keines Städtchen, und die Familie des Bräutigams und die Freunde des Alten, der mein bester und zuverlässigster Beamter ist, werden Dir gefallen. Der Schwiegersohn ist Seemann, er fährt auf seinem eigenen Schiff. Die Tochter von Peter ist ein ungewöhnlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_459.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)