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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Alpenkönig und der Menschenfeind“, „Ein’ Aschen! Ein’ Aschen“ und „Brüderlein fein, Brüderlein fein“ aus „Der Bauer als Millionär“, endlich in dem Hobel-Couplet aus dem „Verschwender“. Wenn Raimund unablässig mit übernatürlichen Mitteln arbeitet und seine Leute nicht selbst ihres Glückes Schmiede sein läßt, sondern Feen und ähnliche Gestalten zu gütigen oder bösartigen Lenkern ihrer Geschicke macht, so ist er in solchem Zusammenhange mit kindlichen Vorstellungen nicht er selbst, und er ist es auch nicht, wo er die hochtrabenden, in fast unfreiwilligen Jamben sich bewegenden Reden der zauberisch begabten Förderer und Feinde des Menschen mit geradezu läppischen Lokalscherzen vermengt. Er hat sich dagegen offenbar auf sich besonnen, wenn er die weiche, im Halbdunkel waltende Entsagungsstimmung, das schmerzliche Sichabfinden mit den Schattenseiten des Lebens zum Gegenstande von Gesängen macht, die man nicht so leicht vergißt, wenn man sie einmal gehört hat. Valentin, des „Verschwenders“ Flottwell ehemaliger Diener, der den verarmten Gebieter gutwillig bei sich aufnimmt, begleitet das Hantiren in seiner Tischlerwerkstätte mit einem solchen Liede, das für Raimund bezeichnender ist als die Handlung seiner Stücke oder der Charakter seiner Figuren:

„Da streiten sich die Leut’ herum
Oft um den Werth des Glücks,
Der eine heißt den andern dumm,
Am End’ weiß keiner nix.
Das ist der allerärmste Mann,
Der andre viel zu reich,
Das Schicksal setzt den Hobel an
Und hobelt s’ beide gleich.

Die Jugend will halt stets mit G’walt
In allem glücklich sein,
Doch wird man nur ein bissel alt,
Da find’t man sich schon d’rein.
Oft zankt mein Weib mit mir, o Graus!
Das bringt mich nicht in Wuth,
Da klopf’ ich meinen Hobel aus
Und denk’, Du brummst mir gut.

Zeigt sich der Tob einst mit Verlaub
Und zupft mich: Brüderl kumm,
Da stell’ ich mich im Anfang taub
Und schau’ mich gar nicht um.
Doch sagt er: Lieber Valentin,
Mach’ kein Umständ’, geh’!
Da leg’ ich meinen Hobel hin
Und sag’ der Welt Adje!“ [1]

Ferdinand Raimund.

In den Liedern Raimunds wohnen rührende Einfachheit und Schlichtheit, gesundes Empfinden, eine für den täglichen Gebrauch zurechtgelegte Philosophie, welche den Hörer mit echt poetischer Kraft gefangen nehmen. Durch eine Wolkenschicht von hergebrachtem Märchen-Firlefanz und Vorstadt-Scherz bricht sich mit hehrer Gewalt die mächtige dichterische Empfindung Bahn. Braucht man doch nur daran zu erinnern, wie in „Der Bauer als Millionär“ die „Jugend“ von dem Bauer Wurzel sich verabschiedet und das „Hohe Alter“ ihn für sich in Beschlag nimmt, wie jene verschwindet, dieses aber es sich heimisch macht und Wurzel sichtbar zum Greise wird – die Weltlitteratur hat nur wenige dramatische Scenen aufzuweisen. die sich an packendem Eindrucke damit messen können.

Wenn Wien nunmehr den ersten Schritt gethan hat, Ferdinand Raimund ein Denkmal zu setzen, so erfüllt es eine Pflicht. Mag unser Gaumen für die Kost, welche Raimund bietet, verdorben sein, mag sie uns nur noch ausnahmsweise munden – wir müssen doch zugestehen, daß derjenige, der uns Stücke gab wie „Der Bauer als Millionär“, „Der Verschwender“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, einer der drei großen Dramatiker war, welche Oesterreich bisher besessen hat. Die beiden anderen heißen Franz Grillparzer und Ludwig Anzengruber. Ferd. Groß.     



  1. Dies ist die Fassung des vielgesungenen Liedes nach Raimunds eigener Niederschrift, welche Raimunds sämmtlichen Werken, herausgegeben von Glossy und Sauer (Wien, Verlag von Carl Konegen) zu Grunde liegt. In derselben Ausgabe findet sich auch das Bildniß Raimunds in Radierung nach einem Gemälde Lampis, welchem unser Holzschnitt nachgebildet ist.




Madonna im Rosenhag.

Roman von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)


Ein glücklicher Zufall fügte es, daß Wolfgang nicht beschäftigt war, als ihm der Besuch Mariens durch seinen Diener gemeldet wurde. In der herzlichen Art seiner Begrüßung verrieth sich nicht die leiseste Empfindlichkeit darüber, daß sie seit dem halb unfreiwilligen Besuche in Cillys Begleitung seine Wohnung nicht wieder betreten hatte. Mit einem munteren Scherzwort führte er sie in sein Arbeitszimmer, und mit einer zärtlichen Bewegung strich er über ihr weiches, goldblondes Haar, als sich Marie dort wortlos und stürmisch in seine Arme warf.

„Steht es so, mein armer Liebling?“ fragte er voll inniger Theilnahme, wenn auch ohne jeden Anflug von Ueberraschung, „hat man Dir da draußen ein Leid angethan?“

Als hätte der weiche Klang seiner Stimme sie schmerzlich getroffen, richtete Marie sich auf und versuchte, sich zu fassen.

„Nein. Wolfgang, ich verdiene nicht, daß Du mir so liebevoll und brüderlich entgegenkommst,“ sagte sie. „Du sollst mich schelten und sollst mir bittere Vorwürfe machen! Um Dich habe ich ja zehnfach alles verdient, was mir widerfahren ist!“

Er legte seinen Arm um ihre bebende Gestalt und geleitete sie zu dem Sofa, auf welchem er sich an ihrer Seite niederließ.

„Es soll Dir im voraus von Herzen verziehen sein, meine liebe Marie! Wollte der Himmel, daß nie eine größere Sünde auf Erden begangen würde als die, deren Du Dich gegen mich schuldig gemacht haben magst!“

„Du kannst eben nicht ahnen, wie lieblos und wie feig, wie erbärmlich feig ich gehandelt habe. Ich habe Dich verleugnet und verrathen, ich habe schweigend geduldet, daß man Deine Ehre antastete – ja, ich war schlecht genug, Deinem Freunde hindernd in den Weg zu treten, als er die Verleumder zur Rechenschaft ziehen wollte!“

Es war, als ob sie von einem leidenschaftlichen Verlangen erfaßt wäre, sich selbst anzuklagen, als ob sie sich nicht genug thun könnte in dem Bestreben, ihm das Verdammenswerthe ihres Thuns im grellsten Lichte zu zeigen. Aber Wolfgang ließ sich durch die Rücksichtslosigkeit dieser Selbstbezichtigung nicht beirren. Etwas ernster zwar, doch noch immer mit jener milden Freundlichkeit, die seinem mannhaften Antlitz so wohl anstand, beugte er sich zu ihr herab und sagte, indem er ihre Hand ergriff:

„Wie übel muß man Dir mitgespielt haben, mein Schwesterchen, wenn Du darüber so hart und ungerecht werden kannst gegen Dich selbst! Sieh, es würde mir gar nicht schwer fallen, Dir zu antworten: was Du auch immer an mir gefehlt haben magst, es ist freudig vergeben, auch ohne daß Du mir’s beichtest! Aber ich weiß, daß ich Dir damit keinen Dienst erweisen würde. Nicht so sehr auf meine Vergebung kommt es ja an als darauf, daß Du Dir selbst verzeihst, und dazu ist ein offenes Bekenntniß sicherlich der beste Weg. Nur daß ich Dir dabei ein wenig zu Hilfe komme, wirst Du mir erlauben. Vielleicht errathe ich viel mehr, als Du vermuthest.“

Betroffen und wie von einer schmerzlichen Befürchtung erfaßt, sah sie zu ihm auf.

„Man hat Dir also erzählt –? Lothar hat mich zu seiner eigenen Rechtfertigung bei Dir verklagt?“

Verneinend schüttelte Wolfgang den Kopf.

„Niemals hat Lothar anders als mit dem Ausdrucke der Achtung und Freundschaft von Dir gesprochen. Aber der Wortlaut Deiner Anklage macht es mir leicht, auf die Natur des Vergehens zu schließen. Man hat in deiner Gegenwart von mir geredet, ohne zu ahnen, daß Du meine Schwester seist – man hat mich ein wenig verlästert, mich vielleicht einen Schwindler oder dergleichen genannt, und Du hast dazu geschwiegen – das ist alles, nicht wahr?“

„Nein, es ist nicht alles, Wolfgang, obwohl es auch so schon schlimm genug wäre! Aber ich habe mehr gethan als das! Ich habe Lothar zurückgehalten, als er seiner Freundespflicht Genüge thun wollte – mit dem Aufgebot aller Mittel, ja, fast gewaltsam habe ich ihn daran gehindert.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_472.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)