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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

war es keineswegs ganz dunkel, obschon der Gefangene weder Himmel noch Erde sehen konnte.

Wieder begann er seine Fluchtversuche und arbeitete an einem unterirdischen Gang, welcher ihn in eine benachbarte Kasematte führen sollte, deren Thür stets offen stand. Der König erfuhr, daß Trenck mit einigen Soldaten im Einverständniß stehe, ließ einen derselben hängen, den andern gassenlaufen, und für Trenck sollte ein eignes Gefängniß hergerichtet werden. Dieser fuhr zunächst mit seinen unterirdischen Minirarbeiten fort, da dieselben nicht verrathen worden waren; doch als er eben dem Ziel nahe war, wurde er in das neue Gefängniß gebracht, wo er jene erdrückende Kettenlast tragen mußte. Die neue Zelle war feucht; das Wasser tropfte von der Decke, er stand ungefähr sechs Monate mitten im Wasser – und doch litt seine Gesundheit nicht darunter. Er machte fortwährend neue Fluchtversuche, doch ohne Erfolg – nur fand er später ein Mittel, sich von seinen Ketten zu befreien, die er rasch wieder aufnahm, wenn die Wächter kamen. Man trieb die Grausamkeit soweit, ihn nicht schlafen zu lassen: alle Viertelstunden wurde er durch die Schildwachen aufgeweckt. Das ging so vier Jahre hindurch.

Einen seltsamen Gefängnißsport hatte Trenck sich zurechtgemacht: ähnlich wie Silvio Pellico in seinem Gefängniß eine Spinne, so hatte Trenck sich eine Maus abgerichtet; aber auch das Thierchen wurde ihm nicht gelassen. Der Inspekeur des Gefängnisses, welcher Kunde erhalten hatte von diesem lebendigen Spielzeug, ließ es ihm fortnehmen.

Ab und zu, wenn es ihm gelungen war, die wachhabenden Offiziere zu gewinnen, fehlte es ihm nicht an Schreibmaterial und Licht, ja sogar Bücher wurden ihm zugesteckt. Aber auch ohne diese Hilfsmittel entwarf er ganze Reden, Fabeln, Gedichte und Satiren, trug sie mit lauter Stimme vor und prägte sie seinem Gedächtnisse ein, so daß er nach seiner Freilassung imstande war, gegen zwei Bände solcher Arbeiten aus dem Kopfe niederzuschreiben. Auch gelang es ihm, in die zinnernen Trinkbecher Verse und Zeichnungen mit Hilfe eines gewöhnlichen Nagels einzugraben. Prinzessin Amalie hatte ihren Freund nicht vergessen; sie schickte ihm große Summen zu, womit er die Offiziere der Garnison bestach, und wieder war ein Fluchtplan der Ausführung nahe, als der Gefangene selbst sie durch thörichte Ruhmredigkeit vereitelte. So wurde er von jetzt ab nur strenger bewacht als früher. Erst am 24. Dezember 1763 erschloß sich ihm die Pforte seines Kerkers, in welchem er 9 Jahre, 5 Monate und einige Tage gesessen hatte. Maria Theresia, welche einen jener Becher zu Gesicht bekommen hatte, in welchen er einen Weinberg eingravirt, der an die Geschichte des Naboth erinnerte, nahm lebhaften Antheil an dem Gefangenen. Möglich, daß nach Abschluß des Hubertusburger Friedens sich diese Verwendung wirksamer erwies als früher. Die unglückliche Prinzessin Amalie hatte keine Kosten gescheut, um die österreichischen Minister zu gewinnen; in Thränen und Trauer hatte sie die elf letzten Jahre zugebracht.

Nach diesem großen Märtyrerthum seines Lebens hatte Trenck noch genug kleinere Leiden zu erdulden. In Wien war er eine Zeit lang Gefangener durch die Intriguen derjenigen, welche über die Verwaltung der Erbschaft seines Vetters nicht Rechenschaft geben wollten. Er wurde für halb wahnsinnig erklärt und erst als Kaiser Franz I. selbst den Gefangenen besucht hatte, um sich von seinem Geisteszustand zu überzeugen, wieder freigelassen. Zum Major ernannt, begab er sich nach Aachen, wo er 1765 die Tochter des Bürgermeisters heirathete. Hier beschäftigte er sich eifrig mit publicistischen Arbeiten, wechselte selbst Briefe mit Kaiser Josef II., dem er mancherlei Vorschläge für seine Reformen machte, schrieb ein Epos „Der macedonische Held“, gab eine Zeitschrift „Der Menschenfreund“ heraus, die in Oesterreich verboten wurde. Er ließ sie dann eingehen, um seine Gönnerin Maria Theresia nicht zu erzürnen. In den Jahren 1774 bis 1777 machte er große Reisen in Frankreich und England; er wurde mit Franklin befreundet, der ihm in Amerika eine glänzende Laufbahn verschaffen wollte. Doch aus Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern ging er auf diese Vorschläge nicht ein. Er hatte inzwischen ein einträgliches Geschäft mit ungarischen Weinen betrieben; aber durch eine Betrügerei englischer Kaufleute und Beamten verlor er wieder den ganzen Gewinn, hatte auch sonst viele Verdrießlichkeiten mit Fürsten und Fürstendienern, so daß er, nach 16jährigem Aufenthalt in Aachen, sich zurück nach Oesterreich wandte.

Um so mehr gab er sich wieder seiner schriftstellerischen Thätigkeit hin, die unter dem Schutz der Kaiserin Maria Theresia stand. Diese zeigte sich fortwährend als seine Wohlthäterin und setzte auch seiner Frau ein Jahrgehalt aus. Auch zu mehreren vertraulichen diplomatischen Sendungen wurde er verwendet. Da starb Maria Theresia, und damit sanken auch die Hoffnungen auf eine glänzende Stellung, die Trenck an die Gunst und Gnade der Kaiserin geknüpft hatte, ins Grab.

Er zog sich dann auf sein Gut Zwerbach bei Mölk zurück, mit dessen Bewirthschaftung er sich ohne sonderlichen Erfolg beschäftigte. Dagegen gab er seine Prosawerke und seine Gedichte heraus, die ihm einen bedeutenden Ertrag abwarfen. Im Jahre 1787 wurde er von König Friedrich Wilhelm II. in Berlin und vom ganzen preußischen Hofe in so liebenswürdiger Weise empfangen, daß er in seinen Aufzeichnungen nicht Worte genug finden kann, um seine Freude darüber auszudrücken. Das Bild, das er von dem neuen König entwirft, ist jedenfalls das schmeichelhafteste, das je von diesem Monarchen gezeichnet worden ist. Auch Prinzessin Amalie sah er wieder, die Geliebte seiner Jugend, deren Liebe seines Lebens Unglück geworden war. Sie versprach, für seine Kinder zu sorgen; aber bald darauf starb sie, als ob sie nach diesem Wiedersehen in der Welt nichts mehr zu suchen gehabt hätte.

Seine in deutscher Sprache erschienene Lebensbeschreibung machte Trenck zu einem berühmten Manne, sie wurde fast in alle Sprachen übersetzt. Ueberall sah man Trencks Bildniß. Im Wachsfigurenkabinette des Palais-Royal zu Paris sah man ihn in Wachs im Gefangenenkittel mit allen seinen Ketten. Auf dem Théâtre d’Audinot wurde ein Stück gegeben, dessen Held er war und das den Titel führte: „Der Baron von Trenck oder der preußische Gefangene“.

Einen unruhigen Kopf, einen Märtyrer fürstlicher Gewaltherrschaft, wie er es war, mußte die revolutionäre Bewegung alsbald in ihre Kreise ziehen. Er schrieb Betrachtungen über die französische Revolution 1791, obschon er in Oesterreich sein Wort gegeben hatte, nichts mehr zu schreiben. Als Gefangener wurde er nach Wien gebracht, zwar nach siebzehn Tagen wieder freigelassen, aber mit dem Verluste seiner Pension bestraft. Gegen Ende desselben Jahres kehrte er nach Frankreich zurück in der Hoffnung, die damaligen Machthaber würden ihn mit offenen Armen empfangen, doch er täuschte sich; man kümmerte sich anfangs wenig um ihn; er lebte in einem Zustand des Mangels und der Entbehrung. Und die Revolution, die wie Saturn ihre eigenen Kinder verschlang, hatte auch keine Gnade für diejenigen, die in andern Ländern als Apostel der Freiheit aufgetreten waren. Und so begab sich das Unglaubliche, daß Trenck, zeitlebens ein Opfer fürstlicher Willkür, sein Leben auf dem Schaffot enden mußte, das die Männer der Freiheit errichtet hatten.

Trenck war ein Ausländer und deshalb verdächtig; man hielt ihn für einen Sendling des Königs von Preußen, und so lernte er nach den preußischen und österreichischen Gefängnissen auch noch ein französisches kennen: in St. Lazare sperrten ihn die Schreckensmänner ein. Es war die Blüthezeit des Schreckens, kurz vor Robespierres Sturz. Bestimmte Anklagepunkte konnte man gegen Trenck nicht vorbringen; er wurde in die Gefängnißverschwörungen verwickelt und auf das Blutgerüst geschickt wie hundert andere, unter dem Vorwande, eine Verschwörung zu seiner Befreiung und zum Sturze der Republik angezettelt zu haben. An demselben Tage wie André Chenier, der gefeierte königlich gesinnte Dichter, wurde er hingerichtet, am 25. Juli 1794; er zeigte sich so standhaft wie seine Schicksalsgenossen. Zur Hinrichtung schreitend, sagte er zu der Menge, die ihn neugierig umstand: „Was wundert Ihr Euch? Das ist nur eine Komödie à, la Robespierre!“ Drei Tage darauf folgte ihm dieser aufs Schaffot. Trencks Unstern wollte, daß er als eines der letzten Opfer des blutigen Regiments fiel.

So endete das Leben eines Mannes, dessen Schicksale so merkwürdig sind, daß kaum die Phantasie eines Romandichters sie wunderbarer hätte erfinden können. Er war ein Mann von Geist und Muth, aber vaterlandslos, den Lockungen des Vortheils und der Leidenschaft zugänglich – und das mag einigermaßen aussöhnen mit der seltenen Grausamkeit, mit der das Schicksal ihn behandelt hat. Er trug das Gepräge des Abenteurers – abenteuerlich war sein Leben und sein Tod.

Rudolf v. Gottschall. 


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_483.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2023)