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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ein Unwohlsein, der heutigen Verhandlung persönlich beizuwohnen. So konnte Richard der Witwe zunächst nur seine Wünsche und Hoffnungen, sowie sein redliches Bestreben ausdrücken, alles, was in seiner Kraft stehe, zu deren Erfüllung beizutragen.

Sie dankte ihm dafür in bewegter Weise, und da hiermit der geschäftliche Theil des Gesprächs für heute erledigt war und er auch seinem persönlichen Mitgefühl bereits Ausdruck verliehen hatte, stand Richard im Begriff, sich zu verabschieden, als Frau Ericius in bittender, vertraulicher Art ihre Hand auf seinen Arm legte. „Noch eins, Herr Tromholt,“ sagte sie, und man sah ihr an, daß es ihr nicht leicht wurde, den Gegenstand, auf den jetzt die Rede kommen sollte, zu berühren. „Etwas, das mein verstorbener Mann bei der Niederschreibung seines letzten Willens nicht mehr zu berücksichtigen vermochte, obwohl es ihn im Geist viel beschäftigt hat und auch der Grund unserer beabsichtigten Reise nach Limforden war – es betrifft den Bräutigam meiner Tochter Susanne, meinen künftigen Schwiegersohn, den Grafen Utzlar.“ – Bei der Nennung dieses Namens zuckte Tromholt unwillkürlich zusammen, aber wieder legte sich die Hand der Witwe besänftigend auf seinen Arm, als ob sie ihm durch diese Bewegung Abbitte leisten wollte für den Schmerz, den ihre Worte ihm bereiten mußten.

„Graf Utzlar hatte die Absicht und hat sie noch, von der Marine auszuscheiden, seinen Wohnsitz in Limforden zu nehmen und sich an der wirthschaftlichen Leitung des Guts zu betheiligen. Wie denken Sie darüber, Herr Tromholt? Es ist die Mutter, die Sie fragt.“

Tromholt schwieg eine Weile. Trotz der letzten Worte weckte das Mitgefühl mit Blitzesschnelle eine Reihe so trüber und bitterer Vorstellungen in ihm, daß er nicht gleich darauf antworten konnte. Es lag nicht in seiner Art, zuerst an sich selbst zu denken. Er sah zunächst die Stellung Altens, seines Mitarbeiters und Freundes, aufs schwerste bedroht, wenn der Graf sich in die Gutsverwaltung mischte, und dann – dann erst dachte er an die Qual, die es ihm selbst bereiten würde, so in ihrer, in Susannens Nähe leben, sie täglich sehen, Zeuge ihres Glückes und des Glückes jenes Mannes sein zu müssen, den sie ihm vorgezogen hatte. Es ging schier über seine Kraft, und doch kämpfte er gegen diese Schwäche, schämte er sich eines Gefühls der Eifersucht, das in ihm aufgestiegen war.

Es konnte Frau Ericius, die angstvoll seiner Antwort harrte, nicht verborgen bleiben, wie sich seine Stirne bei diesen Gedanken verfinsterte. „Er liebt sie noch,“ sagte sie sich, „aber er wird sich beherrschen.“

Und wie schwer es ihm ward, verrieth der Ton seiner Stimme. Sie hatte einen fremden, heiseren Klang, als er erwiderte: „Es ist mir ja unmöglich, gnädige Frau, ein Urtheil darüber abzugeben, ob Ihr künftiger Herr Schwiegersohn die für eine solche Thätigkeit erforderlichen Eigenschaften besitzt. Ohne mir an seinen Fähigkeiten den geringsten Zweifel zu erlauben, glaube ich doch bemerken zu müssen, daß die Bewirthschaftung eines so ausgedehnten Landbesitzes wie Limforden einen Mann erfordert, der vor keiner Anstrengung zurückscheut und mit der nöthigen Entschiedenheit des Charakters eine Kenntniß der Geschäfte verbindet, wie sie sich eben nur durch längeres theoretisches und praktisches Vorstudium erwerben läßt. Einen solchen Mann besitzen wir in Herrn von Alten. Daß dieser sich einer Einmischung, deren innere Berechtigung nicht klar am Tag liegt, willig fügen werde, muß ich, wie ich ihn kenne, bezweifeln. Andrerseits ist er aber ein so treuer, eifriger und zielbewußter Beamter, daß ich seinen Verlust, noch dazu im gegenwärtigen Augenblick, schwer beklagen würde.“

„Ich weiß, ich weiß,“ fiel hier Frau Ericius ein, „und mein seliger Gatte wußte es. Deshalb standen ihm Altens Verdienste höher als gewisse Zuträgereien von anderer Seite, und es würde weder seinen, noch meinen Ansichten entsprechen, wenn man Alten aus seiner Stellung verdrängen wollte. Auch mir wäre es lieber gewesen, mein künftiger Schwiegersohn wäre in seiner Stellung verblieben, allein der Dienst zur See ist mit Reisen oft von Jahresdauer verbunden, und ich kann es weder ihm, noch Susannen verdenken, wenn ihnen solche Aussicht für die Ehe wenig erfreulich scheint.“ Sichtbar lastete eine schwere Sorge auf dem Gemüth der Sprecherin, wieder berührte sie Tromholts Arm, als sie in weichem, fast bittendem Ton fortfuhr:

„Herr Tromholt, da wir, wie ich hoffe, nunmehr Verbündete fürs Leben sein werden, gewähren Sie mir eine Bitte, wie ich sie nur allein an Sie zu stellen wage, und die Ihnen zugleich beweisen möge, wie weit mein Vertrauen, meine Hochschätzung für Sie geht. Ich glaube nicht, daß Graf Utzlar die Eigenschaften, von denen Sie sprachen, besitzt, eine trübe Ahnung sagt mir das Gegentheil. Wachen Sie über ihm, Herr Tromholt, verhüten Sie, daß er, wenn er dort ist, was ich nicht hindern kann, seinen Vorsatz durchführt und einen Einfluß zu gewinnen strebt, der schädlich sein kann. Beugen Sie Zerwürfnissen vor, lassen Sie sich selbst nicht in Ihren Entschlüssen beirren und denken Sie, was Sie thun, daß Sie es für mich – für meine Kinder thun. – Wollen Sie? – Dank! Dank! – Leben Sie wohl!“

Sie entfernte sich rasch, ohne Weiteres abzuwarten; bestätigte ihr doch sein Händedruck die Erfüllung ihrer Bitte. Richard Tromholt aber stand in tiefster Bewegung da. Es war die schwerste Aufgabe, die ihm je zugemuthet worden. War sie nicht zu schwer, selbst für seine Mannesschultern? – Doch nicht daran dachte er jetzt, als er sich von der ersten Bestürzung einigermaßen erholt hatte. Ein Gefühl schmerzlicher Enttäuschung kam über ihn, daß ihn Susanne verschmäht hatte um eines Mannes willen, dem ihre Mutter jetzt schon mißtraute, und eine dumpfe Ahnung, daß sie ihn verschmäht haben könnte um einen, der ihrer nicht werth war, der das Herrliche, das ihm das Glück in den Schoß warf, nicht einmal zu schätzen wußte! –

Das erzählte Gespräch fand am Tage nach der Beerdigung des Herrn John Ericius statt, bei der Tromholt den Grafen nur flüchtig gesehen und von ihm den Eindruck eines Kavaliers empfangen hatte.

Ein Wiedersehen von tiefster Bedeutung stand ihm am folgenden Tag bevor, dasjenige mit Susanne. Drei Jahre waren vergangen, seit sie sich zuletzt gegenübergestanden hatten, drei Jahre aufreibender Arbeit, eine lange Zeit, und doch nicht lang genug, um zu vergessen.

Mit seiner ganzen Willenskraft hatte sich Tromholt gerüstet, als er den Gang nach der Villa am Schwanenweg, wo er heute mit den übrigen Trauergästen speisen sollte, antrat; mit Gewalt hatte er alle Erinnerungen, die sich ihm aufdrängten, zurückgewiesen, und als er nun in den Salon trat und Susanne, sich von ihrem Bräutigam trennend, lebhaft auf ihn zuschritt und seine Hand ergriff, da wich alles Blut aus seinen Wangen und strömte beklemmend nach dem Herzen. Sie war noch schöner geworden, aber auch ernster, gemessener fand er sie, als sie nun auf ihn zutrat, die Hand ausstreckte und mit einem gleichsam Verzeihung suchenden Blick und fast demüthig die ersten Sätze an ihn richtete.

Starke Befangenheit zitterte durch ihre Begrüßungsworte: „Eine schmerzliche Veranlassung ist es, die uns zusammenführt. Ich weiß, was Sie meinem Vater waren, wie er Sie schätzte und wie Sie sein Vertrauen verdienten. Ich danke Ihnen in unser aller Namen für die treuen Dienste, die Sie ihm geleistet haben und seinen Hinterbliebenen noch leisten wollen. Er war ein Mann der Pflicht wie Sie. Darf ich hoffen, daß Sie in der Erfüllung dieser Pflicht dieselbe Befriedigung gefunden haben wie er? Darf ich hoffen, daß es Ihnen stets wohl ergangen ist, daß Sie – –“

Sie stockte, das Wort „glücklich“ wollte nicht über ihre Lippen. Nein, er war nicht glücklich, sie sah es. Auch Richard schwieg, und die Pause wäre für beide Theile zu peinlich geworden, wenn nicht in diesem Augenblick Susannens Schwester Dina und Graf Utzlar hinzugetreten wären, um auch ihrerseits den Gast zu begrüßen. Mit anmuthigem Eifer wandte sich Susanne an ihren Bräutigam, um ihm Herrn Tromholt vorzustellen, aber der Graf unterbrach sie mit der Bemerkung, daß er die Bekanntschaft des Herrn Direktors – er betonte das Wort – schon gemacht habe. Dann sprach er mit diesem einige Worte in dem höflichen, aber kühlen Ton, in dem große Herren mit ihren Untergebenen zu verkehren pflegen.

Da sich jetzt auch weitere Gäste hinzudrängten und der Diener gleichzeitig meldete, daß das Essen aufgetragen sei, nahm Susanne den Arm ihres Bräutigams, und Tromholt suchte die Herrin des Hauses auf, an deren Seite er Platz zu nehmen hatte. Herrn von Alten fiel Dina zu, er hatte nicht mehr Zeit gefunden, mit Tromholt ein Wort zu wechseln.

Das Mahl verlief mit jenem Ernst, den die Veranlassung bedingte. Richard, obwohl er sich lebhaft mit der Hausfrau unterhielt, beobachtete heimlich das Brautpaar. Der Graf war von zuvorkommendster Liebenswürdigkeit Susannen gegenüber, und sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_486.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)