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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Eine Weile blieb drüben alles still, dann klang es von neuem an das Ohr des athemlos Horchenden:

„Nicht im flücht’gen Echospiele
Thut sich wahre Liebe kund,
Kühnen Flugs stürmt sie zum Ziele,
Keinen Mittler braucht ihr Mund.“

„Wirklich?“ rief Alten stürmisch, und selige Freude blitzte aus seinen Zügen. Am liebsten wäre er gleich aufgesprungen und zu ihr hinübergestürmt, allein er bezwang sich. Halb Kleinmuth, bald der Wunsch, das anmuthige Spiel noch eine Weile fortzusetzen, trieb ihn, die folgenden Worte wieder an die Wand zu richten:

„Lieb’, die sich mit Kühnheit brüstet,
Kam zu Fall oft dicht am Ziel –“

aber da stockte er, die Reime waren ihm ausgegangen. Schlagfertig antwortete die Stimme drüben:

„Wen’s nach ihrem Glück gelüstet,
Fragt nach der Gefahr nicht viel.“

Jetzt vermochte sich Alten nicht länger zu beherrschen. Aufspringend wandte er sich um.

Da stand Bianca von Gunar am entgegensetzten Ende des Saales, und auch sie hatte ihr schönes, glückstrahlendes, von tiefer Röthe übergossenes Antlitz ihm zugewandt, ihr Athem ging heiß, ihr Körper zitterte vor verhaltener Erregung; und durch den einsamen Saal fluthete das Abendlicht und wob eine Glorie um ihre Gestalt.

Mit wenigen Schritten war er bei ihr, er wollte sich vor ihr niederlassen, aber sie zog ihn zu sich empor. „Ich liebe Dich,“ klang es fast gleichzeitig von seinen und von ihren Lippen, und mit einem Glücksschrei zog er sie in seine Arme.




6.

Reichlich vierzehn Tage nach dem Vorerzählten kehrte Richard Tromholt nach Limforden zurück. Nur ein Brief war währenddessen zwischen ihm und den Zurückgebliebenen gewechselt worden. Bianca hatte Richard ihre Verlobung angezeigt, und der letztere in der Entgegnung seiner unverhohlenen Freude Ausdruck verliehen.

„Was ich alles Unerfreuliches erlebt habe, werde ich Euch mündlich mittheilen,“ hatte er hinzugefügt, „Ihr werdet bei meinem Bericht glauben, daß ich Euch den Inhalt eines Romans erzähle.“

Diese Mittheilungen hatten die Verlobten in die größte Spannung versetzt und machten es begreiflich, daß sie es kaum erwarten konnten, den mündlichen Bericht Richards zu hören, der jetzt seiner Schwester und Alten gegenübersaß.

„Wie ich Euch schon andeutete,“ begann er, „hatten sich kurz vor Ericius’ Tode starke Geschäftsverluste eingestellt, die auch wohl nicht zum wenigsten dazu beigetragen haben, des Kranken Zustand zu verschlimmern. Frau Ericius wußte davon nichts und erfuhr erst die Thatsachen aus meinem Munde bei Gelegenheit meiner ersten Anwesenheit in Kiel.

Aber damit ist nur über einen kleinen Theil des Geschehenen berichtet. Es war mir bei meinen Besprechungen mit Acht, einem anscheinend ruhigen und ehrbaren Manne, schon sehr verdächtig, daß er die von mir verlangte Nachzählung der Barmittel in Geld und Papieren zu verzögern suchte. Einmal hatte er die Schlüssel nicht zur Hand, und am folgenden Tage, als wir den von ihm angefertigten Abschluß nochmals durchgingen und ich hinwarf, ich könnte den Abschluß nur unterzeichnen, wenn ich selbst in die Barbestände Einsicht genommen hätte, suchte er abermals Ausflüchte.

Endlich gab er, sichtlich schwankend, nach und öffnete den Eisenwandschrank. Ich begab mich nun an die Durchsicht, fand auch alles, wie es verzeichnet war, und wollte ihm schon meinen Argwohn abbitten, sein eigenthümliches Wesen auf seinen körperlichen Zustand oder auf eine bedeutungslose Sonderbarkeit schieben, als ich endlich an die überschriebenen Packete kam, in denen sich die Bestände an Werthpapieren befinden sollten.

Acht holte diese Bündel hervor und warf leicht hin, ich wolle wohl nicht jedes einzelne durchzählen. Der Bestand sei genau auf den Umschlägen verzeichnet.

Einen Augenblick besann ich mich, weil ich ihm kein Mißtrauen zeigen wollte, dann aber, mich meiner Verantwortlichkeit erinnernd, bestand ich auf einer genauen Prüfung.

Während ich eins der Packete aufschnürte, entfernte sich Acht mit den Worten: ‚Verzeihen Sie, bitte, einen Augenblick, ich bin gleich zurück!‘

Ich nickte zerstreut und mit einem ‚Bitte, lassen Sie sich durchaus nicht stören!‘ begab ich mich an die Untersuchung.“

Tromholt machte eine Pause und lehnte sich in seinen Stuhl zurück, und dann hörten die in athemloser Spannung ihm Zuhörenden die folgenden dumpf hervorgestoßenen Sätze:

„Man hat Acht seitdem nicht wiedergesehen. Man meint, daß er sich das Leben genommen hat. In den Packeten aber fand ich nichts weiter als werthloses Papier, und Frau Ericius besitzt heute außer der Herrschaft Limforden – wohl soviel wie nichts!“

„Mensch, Sie scherzen!“ – „Richard, um Gotteswillen!“ drang es zu gleicher Zeit aus dem Munde Altens und Biancas.

„Ja, ja!“ bestätigte Richard Tromholt. „Die Firma muß liquidirt werden, und nur wenn wir besonderes Glück haben, kann jeder zu dem Seinen kommen! Aber für Limforden fehlt das Betriebskapital, und da die begonnenen Unternehmungen eben erst Erträge abzuwerfen beginnen, so ist Frau Ericius jedenfalls in einer bedenklichen Lage und wird möglicherweise nur unter großen Einschränkungen leben können.“

Tromholt hielt inne, und eine längere Pause trat ein, während der jedes seinen Gedanken nachhing.

Alten und Bianca dachten auch an das von ihnen unter so gehobenen Erwartungen eingegangene und nun vielleicht aussichtslos sich gestaltende Bündniß ihrer Herzen. Altens gegenwärtige Lebensstellung war möglicherweise in Frage gestellt, denn es blieb zweifelhaft, ob Limforden nicht verkauft werden mußte.

Endlich nahm Alten das Wort und sagte mit schwerer Stimme: „Was meinen Sie, was nun werden soll, Tromholt?“

„Ja, lieber Freund,“ entgegnete Tromholt, erhob sich und ließ die beim Nachsinnen unwillkürlich emporgezogenen Schultern herabfallen, als ob sie durch einen Druck von oben herabgepreßt würden, „ich weiß es zur Stunde selbst nicht. Sie können sich ja denken, wie viele Gedanken auf mich einstürmen und wie schwer es ist, das Für und Wider abzuwägen. Wir haben es mit vier verwöhnten und erwerbsunfähigen Personen zu thun, der Witwe, den zwei Kindern und dem Grafen Utzlar, der unglücklicherweise schon seinen Abschied genommen hat und den starke Einbildungen bezüglich Limfordens beherrschen. Wenn hier die Werke nicht wären, würde ich vielleicht versuchen, das Kieler Geschäft für die Familie fortzusetzen. Aber ohne Acht, der, bis er zum Spekulanten und Diebe ward, ein ausgezeichneter Kaufmann war, traue ich mich doch nicht, allein eine mir so fern liegende Sache zu übernehmen. Ich müßte auch Geld und Kredit anschaffen, und diese brauchen wir für Limforden dringend.

Geht alles gut, so können die Werke eine neue Silberader für die Ericiussche Familie werden, aber viele, viele Jahre sind nöthig, zumal da eigene Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen. Limforden mit allem, was drum und dran hängt, zu verkaufen, ist ein dritter Plan, aber vielleicht fast der schlechteste im jetzigen Augenblicke. Ich weiß es nicht!

Dabei liegen die Dinge so, daß gegenwärtig nicht einmal das Nothwendigste vorhanden ist. Die Familie hat Ansprüche, das Schloß soll hergerichtet werden, da Utzlar in vier Monaten heirathen will –“

Hier unterbrach Alten Tromholts Rede. „Schloß einrichten? Heirathen? Sind die Leute wahnsinnig?“ rief er, stockte jedoch plötzlich, seines eigenen Liebesglückes gedenkend.

Tromholt aber sagte nichts und ließ sich in einer dunkleren Ecke des Gemaches nieder.

„Mein armer, lieber Bruder!“ stieß Bianca in tiefem Mitgefühl heraus und trat Richard näher. Ihre Hand legte sich auf seine Schulter und blieb darauf ruhen.

Richard wehrte ihr mit sanfter Bewegung und trat wieder an den Tisch zurück. „Ich habe Euch noch nicht von Hamburg berichtet,“ sagte er, sich aufraffend. „Nicht minder traurig ist, was ich dort erlebte. Ich erzwang mir den Eintritt in das Innere des Hotels, in dem der Schurke, der Larsen, Ingeborg Elbe buchstäblich gefangen hielt. Unter dem Vorgeben, er liege im Sterben und wolle sie nur noch einmal sehen, hatte er sie dorthin gelockt, ihr dann aber gleich erklärt, er werde sie mit aufs Schiff nach Batavia nehmen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_491.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)