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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

fühlten sich diese zugleich ihres Eides der Verschwiegenheit entbunden, und ohne Rücksicht auf ihre früheren Arbeitgeber unternahmen sie in allen Ländern, wohin sie das Schicksal geworfen hatte, die Gründung von Buchdruckereien. So verbreitete sich die junge Kunst im Fluge durch ganz Europa. Bereits 1465 wurde sie in Italien eingeführt, 1648 in der Schweiz, 1470 in Frankreich, 1474 in den Niederlanden, 1475 in Spanien, 1477 in England, 1483 in Skandinavien, 1490 in Dänemark etc. Am Ende des Jahrhunderts gab es nicht weniger als 910 Buchdruckereien.

Die Druckwerke, welche von der Erfindung der Buchdruckerkunst bis zum Jahre 1500 hergestellt wurden, pflegt man „Inkunabeln“ oder „Wiegendrucke“ zu nennen. Die Zahl derselben ist größer, als man vielfach annimmt. Van d. Linde berechnet die noch vorhandenen Bücher und Flugschriften auf mehr als 30 000 selbständige Werke, wozu noch eine große Zahl kommt, die uns nicht erhalten geblieben sind. Rechnet man eine durchschnittliche Auflagehöhe von 500 Exemplaren, so kann man annehmen, daß bis zum Jahre 1500 mindestens insgesammt 15 Millionen Bücher mit Hilfe der neuerfundenen Buchdruckerkunst hergestellt und wohl auch verbreitet waren. Die antiquarisch werthvollsten derselben sind natürlich die von Gutenberg herrührenden, vor allem die 36- und die 42zeilige Bibel. Von ersterer sind bis jetzt 9, von letzterer etwa 30 mehr oder minder vollständige Exemplare bekannt, die in verschiedenen Bibliotheken aufbewahrt werden. So Exemplare der 36zeiligen Bibel in Wolfenbüttel, Jena, Leipzig, Stuttgart, Wien, Paris, Althorp (Lord Spencer), London, Antwerpen. Exemplare der 42zeiligen Bibel liegen in Aschaffenburg, Klein-Bautzen, Berlin. St. Blasien (Schwarzwald), Leipzig, Erfurt, Frankfurt a. M., Fulda, Mannheim, München, Rebdorf an der Altmühl, Trier, Wien, London, Althorp, Paris, Petersburg und Rom.

Die Preise, welche heute für Gutenbergbibeln gezahlt werden, schwanken je nach dem Schmuck der Anfangsbuchstaben und der Sauberkeit der Exemplare zwischen 50 000 bis 80 000 Mark. Das Pergamentexemplar der Klemmschen Sammlung - setzt Buchgewerbemuseumin Leipzig - kostete 66 000 Mark; ein Papierexemplar der heiligen Bibel wurde 1868 in London für 52960 Mark verkauft, ein Pergamentexemplar des Brauers Perkins in London 1873 für 78 000 Mark. Hätte Gutenberg vor 450 Jahren das Kapital zur Verfügung gehabt, welches jetzt die Bücherliebhaber für ein einziges seiner Druckwerke bezahlen, so hätte er seine Erfindung sorgenlos zur höchsten Vollkommenheit ausbauen können und wäre nicht gezwungen gewesen, um die Theilnahme engherziger Geldleute zu betteln und schließlich von den Almosen eines Bischofs zu leben.



Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
4. Deutsche Hinterwäldler.
a. Waldschnepfe. (Mit Abbildung Seite 485.)

Die Jagd ist eine gute Schule für die Beobachtung des Lebens der Thiere, und wir verdanken diesen Sport die Entdeckung vieler verborgenen Züge. Bon unseren braven Hühnerhunden war es die leichtfüßige, gewandt schleichende Bella. die uns gar oft vor die Werkkammer der Schnepfe, dieses Waldvogels mit dem versteckten Wesen und Wandel, brachte. Bella überraschte manchmal die Schnepfe so sehr, daß diese sich mit gesträubten Federn, aufgerichtetem Schwanze, hängenden Flügeln und mit aufgesperrtem Schnabel zischend wie eine erboste Ente dem Hunde entgegenstellte. Gewöhnlich aber schlich sich der Hund, von der Schnepfe unbemerkt, an den Lagerplatz. Wir, denen an der Beobachtung des Wandels der geheimnißvollen Waldschwester viel gelegen war, nahten uns, wenn der Hund vorstand, mit der größten Behutsamkeit und forschten bald den Gegenstand unseres Interesses aus.

Da lag nun oft die Entdeckte, im Gefieder täuschend ähnlich dem Waldbodenlaube, wie ein todtes Wesen an der Erde, den Schnabel seitwärts nach dem Boden gedrückt, mit schlaff herabhängendem Kopfe. Das war die Lage der Ruhe. Oder der Vogel war dem Ernährungsgeschäfte, dem sogen. Bohren, so emsig hingegeben, daß er nichts zu hören und zu sehen schien.

Den langen Tastschnabel bei jedem wackeligen Schritte auf den Boden vorstoßend, macht die Schnepfe mit gekrümmtem Rücken und losem Federkleide lebhaft den Eindruck eines am Stabe sich bewegenden alten Weibchens. Dabei stechen die großen dunklen Augen des viereckigen Kopfes, der halb nickend, halb vorstoßend sich bewegt, hervor. Plötzlich biegt sich die obere Kinnlade zangenartig und der Schnabel schickt sich an, Blätter und Geniste des Waldbodens emsig und behende umzuwenden. So thut die Schnepfe, wenn sie Kerfen in jeder Form und Gewürm über dem Boden sucht. Doch nun senkt sich auf einmal das rührige Tastwerk tiefer und tiefer in die Erde, um sodann mit den Sehnen des Oberkiefers ein ruckweises Zittern zu beginnen. Dies scheucht hier und dort einen Regenwurm aus den Gängen empor, der, blitzschnell von den leuchtenden, wachen Augen der Schnepfe entdeckt, mit der lebendigen Greifzange gepackt und verschlungen wird. Doch gleich darauf bereitet das Thier uns noch einen viel merkwürdigeren Anblick seiner Ernährungsart. Tief bis zur äußersten Ecke der Mundspalte ist wieder der Schnabel in den Boden gebohrt, und der Vogel arbeitet mit sichtlicher Anstrengung in der Erde. Mit einem Mal fährt er rückwärts und schnellt den Schnabel mit solcher Heftigkeit heraus, daß das Thier sich förmlich überschlägt und auf den Rücken fällt. In dem Schnabel unter dem Bohrknopfe der oberen überstehenden Kinnlade zappelt ein Regenwurm, die Beute des Erdbohrens, die sogleich verschlungen wird.

Die merkwürdige Einrichtung dieses Tast- und Greifschnabels erweckte zuerst unsere Aufmerksamkeit, als wir an einigen geschossenen Schnepfen wiederholt sahen, daß sich die obere Kinnlade beim Todeskrampfe in einem starken Bogen nach oben krümmte. Der Schnabel besteht aus vielen großen langgestreckten Knochenzellen; von der Mitte an bis zur Spitze kann der Oberkiefer mittels eines starken Muskelpaares nach oben und das knopfartig übergreifende Ende etwas nach unten gebogen werden, so daß der ganze Schnabel in der oben beschriebenen Form einer Greifzange erscheint. Die Kinnladen führen viele feine Nerven, welche sich in der Schnabelhaut verzweigen und hierdurch den Schnabel zum vorzüglichen Tastwerkzeuge gestalten. Mit diesem untersucht, wie beschrieben, das Thier den moderigen Waldboden nach den Gängen und Kammern der Würmer und Kerfe, findet dieselben kraft eines seinen Gefühls und ergreift den gefundenen Gegenstand, so daß er hinter den vergreisenden Bohrknopf der Spitze des Oberschnabels zu liegen kommt. Nachdem die Muskelvorrichtung diesen sodann gewaltsam in dem weichen Boden gehoben und dadurch den Bohrgang erweitert hat, schnellt der Vogel sich mit um so größerer Kraft rückwärts, je tiefer im Erdreich er die Beute gepackt hat.

Aber wenden wir weiter unsere Blicke der eigentümlichen Leibesbildung des Vogels zu! Zuerst fällt die Gestaltung seines Kopfes auf. Das Auge hat eine ungewöhnlich hohe Stellung weit zurück am Hinterkopfe. Dies rührt von der sonderbaren Verschiebung des Kopfknochengerüstes her, infolge deren die Stirn sehr hoch erscheint und auch die Ohren nicht wie bei den übrigen Vögeln hinter den Augen, sondern dicht unter denselben stehen. Auch auf die Stellung des Genicks wirkt diese Verschiebung, indem

  1. Vergl. „Gartenlaube“ 1890, Halbheft 8.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_499.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)