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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Vom X. deutschen Bundesschießen in Berlin.

Tausende fleißiger Hände regten sich in Berlin während der ersten Juliwoche, um die Stadt in ein Festgewand zu kleiden, Fahnen und Banner in allen möglichen Farben und Zusammensetzungen wehten lustig flatternd von Dächern und Giebeln, von Fenstern und Balkonen herab, vielfach waren die Vorderseiten der Häuser mit Guirlanden aus frischem Grün und Tannenreisig geschmückt, und von Wappenschildern und Transparenten grüßte manch wohlmeinend und kernig Sprüchlein die fremden Schützen, die zum X. deutschen Bundesschießen in Berlin eingetroffen waren. Zum ersten Male war es, daß des neugeeinten Deutschen Reiches Hauptstadt ein derartiges Fest in seinem Weichbilde feiern sah, andere Städte, zuletzt noch Frankfurt a. M., waren bisher bevorzugt worden, an anderen Orten hatten in friedlichem Wettkampfe fröhlich die Büchsen geknallt und hatte die prunkvolle deutsche Bundesfahne nicht nur die Schützen aus allen Gauen des deutschen Vaterlandes, sondern auch viele fremde Gäste um sich vereint; diesmal nun war der lockende Ruf von Berlin ergangen, und wohl an zehntausend Schützen, die Mehrzahl mit ihren Angehörigen, waren ihm gefolgt und hatten den gastlichen Boden der Kaiserstadt an der Spree betreten.

Und herzlich war das Willkommen, welches ihnen allerseits entgegenscholl, aus den Bahnhöfen wie aus den Straßen, an öffentlichen Stätten und bei privaten Vereinigungen: aus ehrlichem Herzen drang der Jubel, der die fernen Gäste, besonders die aus Amerika, bei ihrem feierlichen Einzuge durch Berlins Sieges- und Ruhmesthor begrüßte, der sich fortpflanzte die via triumphalis entlang bis hin zum massigen Bau des Rathhauses, wo des Festes Ehrenpräsident und der Stadtvertreter mit klangreichen Worten die Freude ausdrückte, daß Berlin so viele liebe und werthe Söhne der engeren und weiteren Heimath sowie uns befreundeter Staaten in seinen Mauern beherbergen dürfe. Und diese Freude, sie zeigte sich fortreißend und ergreifend gelegentlich des Festzuges, der am Sonntag, dem 6. Juli, das Fest eröffnete und der durch ein Spalier von Hunderttausenden dahinzog, auftauchend um Mittag aus den grünen Schatten des Thiergartens zu Füßen der goldstrahlenden Siegesgöttin und fast die ganze Stadt durchmessend bis hin zum ferngelegenen Festplatze bei Pankow.

Empfang der Schützen auf dem Bahnhof Friedrichstraße.

Endlos lang dehnte sich dieser Festzug aus, welcher in drei Abtheilungen zerfiel, in die der nichtdeutschen Schützen, in den historischen Zug und in die Abtheilung der zahlreichen deutschen Schützenvereine. Eröffnet wurde er durch einen Reichsherold, auf dem gelbseidenen Ueberwurf der schwarze Reichsadler, das von hellem Stoff umwallte Roß geführt von zwei Pagen mit dem Berliner Wappen auf der Brust, andeutend, daß Berlin die Schützen zu gastlicher Einkehr geladen. Hoch zu Pferde folgten mehrere Berliner Schützen, deren einer das alte sturm- und kampfzerfetzte Schützenbanner der Berliner Gilde trug und diesem Wahr- und Feldzeichen schlossen sich zu Fuß die Mitglieder der Gilde an, stramm nach den Klängen der Musik marschirend, als wär’s auf dem Paradefelde.

Die Festhalle.

Jetzt ertönte hell und schmetternd der „Yankee Dudle“ und im Winde flatterten die Sternenbanner der großen Republik jenseit des Oceans, in vielen umkränzten Wagen sitzend nahten zuerst die Independentschützen aus New-York, ihnen folgten die übrigen deutsch-amerikanischen Schützen, darauf die anderen Fernhergekommenen, die Italiener und Belgier, die Schweizer und Norweger, die Ungarn und Schweden, die Holländer und Russen. – Nun erschien die Spitze des vom Architekten Karl Hoffacker entworfenen und vom Bildhauer J. Kasssack künstlerisch kräftig geförderten Festzuges, der die Entwicklung des Schützenwesens vom 15. bis 19. Jahrhundert darstellte und der durch die Fülle seiner historisch treuen Gestalten, durch die heitere Farbenpracht der Kostüme und die Abwechslung in der Verwendung der Vorwürfe immer von neuem überraschte und zur Bewunderung hinriß. Zwanzig in altdeutsche Tracht gekleidete Trompeter hoch zu Roß ließen schmetternde Fanfaren erklingen, dann zogen Armbrust- und Bogenschützen einher, in ledernem Wamms und mit kleiner federgeschmückter Kappe, von Stadtknechten mit gewaltigen hölzernen Schilden und schweren Lanzen begleitet, im Troß Zeiger und Scheibenträger, Knaben mit Preisfahnen und Narren mit Pritsche und Schellenkappe, schließlich ein von Marodeuren umzingelter Planwagen. In das Zeitalter der Landsknechte versetzte uns die nächste Gruppe, unter Trommel- und Pfeifenklang erschienen sie, die Freund wie Feind oft gleich gefährlichen trutzigen Kämpen, und im Gegensatz zu ihrem verwegenen Aussehen standen die ehrsamen Rathsherren und mit Rosenkränzen geschmückten zarten Knaben, in ihrer Mitte die Hauptpreisfahne und hinter ihnen marschirend die Armbrustschützen, in die sich schon eine Anzahl Büchsenschützen mischte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_508.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)