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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Unsagbar arme Menschen sind die Wanderhirten, welche hier ihre Zelte aufschlagen, so lange ihre schwachen Ziegenherden Nahrung finden; ihr „Kampf ums Dasein“ ist nichts anderes als eine einzige Kette von Mühsal, Entbehrung und Noth. Ein langes, dunkles Tuch aus Ziegenwolle, in seiner Mitte über ein einfaches Gerüst gelegt, mit seinen beiden Enden an den Boden gepflockt, hinten durch ein Stück aus demselben Zeuge, vorn durch eine Matte aus Palmenblättern geschlossen, bildet ihr Zelt, die Brautgabe der Frau, an welcher sie vom achten bis zum sechzehnten Jahre sammelte, spann und wob; aus einigen Matten, welche als Lagerstätten dienen, einer Granitplatte und dazu gehörigen Reibsteinen zum Zerkleinern des eingetauschten Getreides, einer flachen Thonplatte zum Rösten der Fladen, zwei bauchigen Töpfen, einigen Ledersäcken und -schläuchen, einer Axt und mehreren Lanzen besteht der ganze Hausrath; eine Herde von zwanzig Ziegen gilt als reicher Besitz der Familie. Aber diese Leute sind ebenso brav als arm, ebenso liebenswürdig als wohlgestaltet, ebenso gutmüthig als schön, ebenso freigebig als anspruchslos, ebenso gastfrei als ehrlich, ebenso sittenrein als gläubig.

Beim Eintreffen einer Karawane versammelt sich die ganze Bewohnerschaft solcher zeitweiligen Siedelung. Der Aelteste tritt hervor aus ihrer Mitte und spendet den Gruß des Friedens; alle übrigen heißen die Fremdlinge willkommen. Dann bietet man das köstlichste, welches diese begehren: frisches Wasser, bietet alles, was man besitzt, und bietet es mit würdevoller Freundlichkeit, die Gabe weder aufdrängend noch unwillig gewährend. Gierig schlürfen die Reisenden in langen Zügen das erquickende Naß: ungestüm drängen sich auch die Kamele zu der Tränkstelle, obwohl sie aus Erfahrung wissen könnten, daß sie erst entlastet, gefesselt und auf die Weide gesandt zu werden pflegen, bevor man ihnen gestattet, nach vier- bis sechstägiger Entsagung wiederum einmal ihren Durst zu löschen. Man spendet auch am Brunnen keinen überflüssigen Tropfen, giebt ihnen daher zunächst das etwa noch vorhandene Schlauchwasser zum besten und tränkt sie erst, nachdem man alle Schläuche wieder gefüllt hat, mit mehr Rücksicht auf den vorhandenen Wasservorrath als ihr Bedürfniß. Nur an reichlich wasserhaltigen Brunnen füllt man ihr maßlos scheinendes Verlangen und sieht dann, nicht ohne Heiterkeit, wie sie schlürfen, ohne einmal dabei aufzusehen, und dann mit absonderlichen, unschönen, durch ihre Fesseln bedingten Sätzen der nicht minder ersehnten Weide zueilen, um ihrem augenblicklich wie eine halbvolle Tonne polternden Magen auch Speise zuzuführen.

Für Reisende und Lagerbewohner aber bricht ein wahrer Festtag an. Erstere finden frisches Wasser, vielleicht sogar Milch und Fleisch zur Würzung der ersehnten Rast und Ruhe; letztere heißen jede Unterbrechung ihres in guten Tagen gleichmäßig sich abspinnenden Lebens willkommen. Einer der Kamelführer hat im nächsten Zelte das beliebteste Tonwerkzeug der Wüstenbewohner, die Tambura oder fünfsaitige Zither, aufgefunden und versteht es meisterhaft, seinen einfachen Gesang zu begleiten. Der Klang lockt die Töchter des Lagers herbei, und schlanke, schöne Frauen und Mädchen drängen sich fragend um die fremden Männer, heften ihre dunklen Augen auf sie und ihre Habseligkeiten, erkundigen sich ungeziert nach diesem und jenem. Wappne Dein Herz, Fremder: diese Augen möchten es sonst in Brand setzen! Sie sind schöner noch als die der Gazelle; aber auch die Lippen unter ihnen beschämen die Korallen, die blendenden Zähne dazwischen die Perlen, welche Du diesen braunen Töchtern der Wüste etwa reichen könntest! Und nunmehr will alles zu Klang und Dichtung werden. Um den Zitherspieler ordnen sich Gruppen zum Tanze, weiche Hände begleiten taktschlagend Zithertöne, Liedesworte und den ebenmäßig wogenden Tanz.

Das Weber-Denkmal in Eutin. Von Paul Peterich.
Nach einer Photographie von Alb. Giesler in Eutin.

Solche Rast labt Leib und Seele. Gestärkt, und ermuntert setzt die Karawane ihre Reise fort; und wenn die Tage nichts Schlimmeres bringen als Sonnenbrand und Gluth, Durst und Ermattung, erreicht sie ungeschwächt auch den zweiten, dritten Brunnen und endlich das Ziel der Reise, die erste Ortschaft jenseit der Wüste. – Doch leicht veränderlich, gleichwie die erdumgürtende Fluth, ist auch das Meer des Sandes. Auch in ihm toben Stürme, welche seine Schiffe brechen und verderbenbringende Wellen dahinrollen. In der Zeit, in welcher der monatelang wehende Nordwind mit südlichen Luftströmungen im Kampfe liegt oder diesen die Herrschaft gänzlich abgetreten hat, sieht der Reisende urplötzlich den Sand lebendig werden, zu mächtigen, ebenso hohen als dicken Säulen sich aufthürmen und diese nun bald langsamer, bald schneller über die Ebene wirbeln. Die Sonnenstrahlen verleihen ihnen zeitweilig den blutigen Schimmer von Feuerflammen, wogegen sie bald wieder farblos, bald schauerlich dunkel erscheinen; der bewegende Sturmwind schwächt und verstärkt sie, trennt sie und vereinigt zwei oder mehrere von ihnen zu einer einzigen, bis zu den Wolken ragenden Sandhose. Wohl möchte der Abendländer Bewunderung des großartigen Schauspiels laut werden lassen; die ängstlichen Blicke und Worte seiner Begleiter aber lähmen ihm die Zunge. Wehe der Karawane, welche von solchem rasenden Wirbelsturme erreicht wird! Sie darf froh sein, wenn das Leben der Menschen und Thiere erhalten bleibt! Und wenn die Sandmassen, ohne Schaden zu bringen, an dem Reisezuge vorüberrasen: ungefährdet ist letzterer doch nicht, denn jenen Sandhosen folgt in der Regel der „Samum“ oder „Giftsturm“ nach.

Keineswegs steigert sich dieser in der Wüste unter allen Umständen gefürchtete Wind immer zum Sturme; nicht selten vielmehr weht er kaum bemerklich, und dennoch macht er manches Mannesherz erzittern. Wohl hat man fast schrankenlos über ihn gefabelt, so viel aber entspricht der Wahrheit, daß dieser Wind unter Umständen jeder Karawane in hohem Grade gefährlich werden kann.

Zuweilen beginnt der Wind, den der Eingeborene mindestens einen, oft mehrere Tage vorher ahnt und weissagt, um Mitternacht seine Schwingen zu regen, gewöhnlicher um die Mittagszeit. Ohne Uhr vermag niemand diese Zeit zu bestimmen; denn der Nebel ist inzwischen so dicht geworden, daß er die Sonne vollständig verschleiert und trübe Dämmerung über die Wüste bringt, in welcher alle Gegenstände bereits in kurzer Entfernung verschwimmen. Leise, kaum fühlbar regt sich endlich die Luft. Es ist kein Wehen, nur ein Hauchen, welches man wahrnimmt. Aber dieser Lufthauch ist glühend heiß, dringt durch Mark und Bein, verursacht dumpfen Kopfschmerz, erschlafft und beängstigt. Dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_513.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2022)