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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Ah, Herr Direktor Tromholt! Willkommen auf Snarre! Und so früh? Was verschafft mir die Ehre, denn ich darf wohl annehmen, daß Sie mich besuchen wollen?“

Tromholt neigte zustimmend den Kopf. „Allerdings, Herr Graf, ich wollte mir die Erlaubniß nehmen, Ihnen aufzuwarten! Aber ich sehe, daß ich augenblicklich störe. Ich bitte, lassen Sie sich nicht aufhalten! Mit Ihrer Genehmigung reite ich aufs Gut und warte, bis Sie Zeit für mich haben.“

„Wohl, ganz recht!“ gab Graf Snarre zurück. „Aber nur insofern, als meine Rappen mit dem Ihrigen nicht Schritt halten können und der schon so heiß ist, daß es besser scheint, Sie bleiben im bisherigen Tempo! Ich folge Ihnen unmittelbar! Also, ich bitte, auf Wiedersehen in einer Viertelstunde!“

Nach diesen Worten winkte er ihm freundlich mit der Hand, und Tromholt setzte sein Pferd wieder in Trab.

Eine Stunde später saßen sich Graf Snarre und Richard gegenüber, und es war nur natürlich, daß der inzwischen bekannt gewordenen veränderten Verhältnisse der Ericiusschen Familie und des jungen Ehepaars in erster Linie gedacht ward.

„Ich hörte jüngst bei meiner Anwesenheit in Kiel von Ihrem tathkräftigen und erfolgreichen Eingreifen, lieber Direktor! Vom Himmel ist der Familie ein Mann wie Sie gekommen. Nun, und wie steht alles? Limforden wird nicht verkauft? Sie arbeiten weiter, und – die ganze Familie wird nach dem Gute ziehen?“

„Zunächst nur Graf Utzlar mit seiner Gemahlin, die schon eingetroffen sind,“ entgegnete Richard. „Später hat Frau Ericius die Absicht, zu folgen. Sie gedenkt den schönen Besitz in Kiel zu verkaufen, und es ist recht so!“

„Und sonst bleibt alles, wie’s war? Wie geht’s Herrn von Alten? Ich hörte, daß er sich mit Ihrer Frau Schwester verlobt hat, und sage Ihnen meinen besten Glückwunsch. Bleibt er auf Limforden?“

Richard zuckte die Achseln. „Eigentlich komme ich seinetwegen, aber ohne sein Wissen, Herr Graf. Ich sehe voraus, daß seines Aufenthalts dort nicht mehr lange sein wird unter den neuen Verhältnissen. Und kurz und gut: ich wollte mir die Anfrage erlauben, ob Sie nicht für Alten eine Stellung hätten.“

Graf Snarre dachte einen Augenblick nach, reckte den zierlichen Körper und drehte an dem blonden Schnurrbart. Dann, ohne eine unmittelbare Antwort zu ertheilen, sagte er:

„Man möchte viele Maulbeerbäume haben, um allen zum Pflücken zu verhelfen. – Wann würde Herr von Alten zur Verfügung stehen, und – denkt er schon an Heirathen?“

„Ja, sobald er eine gesicherte Stellung hat. Unter dem Grafen aus Limforden zu bleiben, – ich muß ihm beipflichten, – wird unmöglich sein. Alten ist einmal nicht lammfromm, sondern wie ein Rassepferd, das gelegentlich ausschlägt.“

„Ich hätte Limforden gekauft, wenn’s zu haben gewesen wäre,“ warf der Graf hin. „Dann hätte alles beim alten bleiben können.“

Hierauf erwiderte Tromholt nichts. Er redete nicht gern über Dinge, die nicht spruchreif waren.

Plötzlich fuhr der Graf fort: „Und Sie, lieber Direktor, wollen unter allen Umständen bleiben? Für Sie hätte ich jederzeit eine Verwendung.“

Tromholt blickte fast ein wenig überrascht empor. „Ich bleibe!“ entgegnete er kurz, fast etwas rauh und dadurch weitere Fragen abschneidend. Nun war’s an dem Grafen, Tromholt befremdet anzublicken, aber er forschte nicht weiter, ging auf ein anderes Thema über und sagte:

„Die junge Gräfin soll schön, sehr schön sein und mit liebenswürdiger Offenheit Eigenartigkeit verbinden. Ich bin sehr begierig, sie kennenzulernen.“

Tromholt zuckte unmerklich zusammen.

„Ja, – eine ungewöhnliche Frau!“ gab er kurz bestätigend zurück. „Uebrigens haben die Herrschaften die Absicht, Ihnen ehestens ihre Aufwartung zu machen. Auch meiste Schwester würde sehr glücklich sein, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, Herr Graf. Freilich wird sie zunächst auf den Vorzug verzichten müssen, da sie nach Hamburg zurückgekehrt ist.“

„In der That? Sehr liebenswürdig, sehr ehrend!“ rief Snarre mit weltmännischer Verbindlichkeit. „Da möchte ich mir einen Vorschlag erlauben: Kommen Sie übermorgen alle zu mir zum Essen! Ich bin ein Feind jeder überflüssigen Förmlichkeit und verzichte daher besonders gern auf jeden vorhergehenden feierlichen Besuch!“

„Ich werde nicht verfehlen, Ihre gütige Einladung zur Kenntniß der Herrschaften zu bringen, Herr Graf,“ erwiderte Tromholt. „Ich für meinen Theil nehme dankend an. Vielleicht überlegen Sie inzwischen mit Ihrer gewohnten Güte, ob für Herrn von Alten auf Ihren Besitzungen ein Posten frei oder zu schaffen ist. Ich kann aus meinen Erfahrungen bestätigen, daß es einen pflichttreueren Mann nicht giebt.“

Graf Snarre lächelte und sah Tromholt mit einem eigenen Ausdruck in den Mienen an. Dann sagte er mit großer Wärme:

„Nun, ich werde sehen! – Uebrigens ein erstaunlich selbstloser Mann sind Sie doch, Herr Tromholt; immer denken Sie nur an die andern, an sich selbst zuletzt. Ich möchte sagen, Sie kommen selbst kaum zum Bewußtsein, viel weniger zum Genuß Ihres Daseins.“

Richard Tromholt schüttelte den Kopf. „Doch Herr Graf! Ich finde, daß thätige Menschenliebe und Pflichterfüllung glücklich machen. Ich übe sie indessen aus innerer Nothwendigkeit, ein Verdienst ist nicht dabei.“

„Und ein Weiberfeind sind Sie zudem. Es ist das einzige, was ich nicht begreife!“ fiel Snarre ein. „Für mich ist die Welt ohne Frauen ein Land ohne Sonne, Luft und Wald. Haben Sie nicht schon ähnliches empfunden?“

Tromholt antwortete nicht; er machte nur eine ausweichende Bewegung. Wenige Minuten später trennten sich die Herren.




7.

„Du warst heute nicht ganz im Recht Herrn von Alten gegenüber, Leo,“ sagte die junge Frau Susanne einige Tage später zu ihrem Manne, als sie zusammen uns die Nachmittagsstunde den Kaffee einnahmen. „Ich wollte es Dir noch sagen.“

Sie sah in ihrer Jugend und schlanken Schönheit, angethan mit einem weißen Sommerkleid, ohne jeglichen Schmuck bezaubernd aus. „Such’s morgen gutzumachen, ich bitte Dich!“ fuhr sie mit liebenswürdiger Eindringlichkeit fort. „Wir sollen doch mit ihm leben und müssen Eintracht halten. Was meinst Du, wenn wir zum Herbst Frau von Gunar einlüden, dann kann sich das Brautpaar sehen. Ich gönn’s ihnen von Herzen.“

Dem Grafen Utzlar, der mit ausgestreckten Beinen in einem Schaukelstuhl mehr lag als saß, schien der Vorschlag nicht sehr genehm. „Wir sind selbst kaum recht warm hier, und Du denkst schon an Gäste; das ist nicht sehr schmeichelhaft für mich,“ erwiderte er, den Rauch seiner Cigarette kunstvoll zu zierlichen Ringen gestaltend. „Warum müssen es denn aber gerade die Verwandten unserer Untergebenen sein, die Braut dieses Alten, der mir überdies im höchsten Grad zuwider ist, fortwährend den Standesgenossen gegen mich herauskehrt und dabei vergißt, daß er nichts weiter ist als mein Gutsinspektor? Und Du nimmst noch Partei für ihn wie für den andern. Das ist so einer Deiner kleinbürgerlichen Züge, Sanne, die Du Dir abgewöhnen mußt. Wenn die Gräfin Utzlar Gäste empfängt, so wählt sie ihre Gesellschaft unter Standesgenossen. Graf Snarre zum Beispiel gefällt mir ausnehmend, ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle.“

„Und eben nur Edelleute hältst Du Dir gleichberechtigt?“ entgegnete Susanne, in ihrem Stolz verletzt; „Alten, trotz seines Adels, ist es Dir nicht, weil er eben arbeitet, arbeitet für uns, für Dich. Ich aber, weit entfernt, mich meiner bürgerlichen Abkunft zu schämen, fühle mich gehoben, einer Familie anzugehören, welche die Arbeit groß gemacht hat, und nur nach seinen Leistungen schätze ich den Mann.“

„Da komm’ ich Dir wohl sehr klein vor? Du bist ausnehmend artig heute, Sannchen.“

Susanne überhörte diese in spöttischem Ton hingeworfene Bemerkung. „Sieh Dir doch den Grafen Snarre an,“ fuhr sie, sich ereifernd, fort. „Er ist ein Edelmann, aber er arbeitet, für sich, für seine Interessen allerdings. Und keine geringeren Männer sind in meinen Augen Herr von Alten und Richard Tromtholt, die sich in unserem Dienst abmühen.“

„Und denen wir,“ warf der Graf spitzig ein, „das wenige verdanken, was von unserem großen Vermögen noch übrig gebliehen ist.“

„Leo!“

„Nun ja! Wer hätte gedacht, daß Euer Prokurist, der ja auch Euer vollstes Vertrauen besaß, der auch so eine Art Tugendspiegel war wie dieser Tromholt, Richard Tromholt, wie Du ihn vertraulich nennst, sich als gemeiner Dieb und Betrüger entlarven

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