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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

erkundigen!“ – erklärte er dem Diener, der sich verbeugte und davoneilte.

Graf Snarre mußte recht lange im Vorzimmer warten, bevor ihm ein Bescheid wurde. Die Herrschaften hatten sich ihre Wohngemächer in dem hinteren Bau eingerichtet, von dem man auf den Park und seitwärts nach dem Gutshof sah. Der Vorderbau mit der großen Treppe enthielt jetzt die Gesellschaftszimmer und wurde für gewöhnlich nicht bewohnt.

Als nach dem Fortgang des Dieners Ruhe eintrat, hörte Graf Snarre nebenan deutlich die von diesem abgestattete Meldung und des Dieners Entfernung durch die Thür nach dem Flur.

Er erwartete nun, daß Utzlar ihm sogleich selbst öffnen und entgegeneilen würde, aber alles blieb zunächst still. Zuletzt drang jedoch heftiges Sprechen an sein Ohr, und sogar einzelne Sätze wurden deutlich vernehmbar.

„Ich kann doch mit meinen verweinten Augen nicht erscheinen. Empfange Du den Grafen!“ –

„Ach, Albernheiten! Raffe Dich auf!“

Snarre hätte sich nach dieser Zeugenschaft bei einem ehelichen Zwiste nur zu gern entfernt, er schwankte auch, ob es nicht am richtigsten sein würde, wieder zu gehen. Aber während er noch überlegte, bald aufstand und dann doch wieder abwartend sich niederließ, öffnete Utzlar mit einem „Pardon, Pardon, hochverehrter Herr Graf!“ die Thür und erging sich in vielen Entschuldigungen.

„Nein, nein, ich habe Ihre Verzeihung einzuholen, daß ich störe“ – entgegnete Snarre artig. „Mich leitete aber aufrichtige Theilnahme für die gnädige Frau, die natürlich das unerfreuliche Ereigniß sehr erregt habe wird.“

Der Zufall wollte es, daß in diesem Augenblick der Diener erschien und den Herrn des Hauses im Auftrage des Herrn Tromholt bat, sich herabbemühen zu wollen. Seine Anwesenheit sei erforderlich.

Da Utzlars Eitelkeit dadurch geschmeichelt ward, fragte er den Gast mit einem Blick, ob er ihn entschuldigen wolle.

„Aber so ernste Dinge gehen doch vor!“ rief Snarre zuvorkommend und ehe Utzlar mit Worten anheben konnte. „Ich bitte Sie dringend, der Aufforderung Folge zu geben, und leiste, mit Ihrer Erlaubniß, der gnädigen Frau Gesellschaft, wenn sie mich empfangen will.“

„Meine Frau ist unpäßlich und hat sich zurückgezogen, Herr Graf. Indessen werde ich sehen, ob sie Sie dennoch empfangen kann. In jedem Fall bitte ich, daß Sie Platz nehmen! Gleich bin ich wieder zu Ihrer Verfügung.“

Nach diesen Worten verbeugte sich Graf Utzlar und eilte fort.

Kaum waren einige Minuten verflossen, als die Thür zum Nebengemach sich aufthat, und Susanne erschien. Ihre Augen trugen deutliche Thränenspuren. Sie trat rasch und trotz des hilflosen Ausdruckes, der ihr holdes Angesicht noch mitleiderregender erscheinen ließ, entschlossen auf Snarre zu und sagte zu seinem ungemessenen Erstaunen:

„Als ich jüngst bei Ihnen war, Herr Graf, zeigten Sie mir in den kurzen Stunden unseres Zusammenseins eine warme Antheilnahme und betheuerten, daß es Sie danach verlangte, dieselbe zu bethätigen. Nun, ich brauche einen Freund, der schweigen, rathen und für mich handeln kann. Wollen Sie dieser Freund sein und mit der That beginnen in diesem Augenblick?“ –

„Gnädige Frau! Frau Gräfin!“ rief Snarre mit deutlich ausgeprägter Ueberraschung. „Ja, gewiß!“ fuhr er fort, ergriff des schönen, tief erregten Weibes Hände und küßte sie ehrfurchtsvoll. „Ich bitte, sprechen Sie! Was es sei, Sie finden mich bereit, für Sie zu handeln.“

„Nun,“ kam es zitternd aus dem Munde der Frau, – „so hören Sie! Ich will mich von Utzlar trennen, unter allen Umständen wieder trennen. Ich ersticke unter den unnatürlichen Verhältnissen, ich sterbe, – sterbe, – ich kann nicht mehr –“

Mit immer höher gesteigerter Befremdung hörte Graf Snarre, was Susanne sprach. Aber er erging sich in keinen Fragen und Ausrufen, sondern gab ihr nur in ruhigem Tone Antwort.

„Ist Ihr Entschluß unumstößlich?“ fragte er. „Leitet Sie nicht nur eine heftige vorübergehende Erregung? Sie begreifen, daß ich um Ihretwillen frage, meine gnädige Frau. Es ist ein Schritt von so großer Tragweite, daß der Freund auch die Pflicht hat, seine Bedenken zu äußern.“

„Nein, nein, nein!“ rief Susanne stürmisch und hart. „Alles ist überlegt. Mein Entschluß ist unabänderlich!“

„Wohl! Was soll ich thun?“ fragte Snarre. „Soll ich Sie nach Kiel geleiten? Darf ich Ihnen einen Aufenthalt in meinem Schlosse anbieten? Meine Tante, die Gräfin Snarre, die gestern bei mir eingetroffen ist, wird sich eine besondere Freude daraus machen, Sie unter ihren Schutz zu nehmen. Entscheiden Sie!“

„Ja, nehmen Sie mich zunächst mit sich! Von dort werde ich sogleich meiner Mutter schreiben. Ich will Utzlar nicht wiedersehen! Ich will nicht! Alles ist aus zwischen uns! Er hat mich in unwürdiger Weise behandelt, er hätte mich geschlagen ohne Ihr Dazwischenkommen.“

Die Augen der Frau waren groß und weit und ihre Mienen verstört. Empörung, Zorn und Scham wirkten solchergestalt auf sie ein, daß ihr ganzer Körper bebte und die Arme sich nachträglich wie zu einer Abwehr erhoben.

Graf Snarre war sprachlos für Augenblicke, aber rasch sich wieder fassend sagte er:

„Wohl, so kommen Sie gleich, gnädige Frau! Mein Fuhrwerk steht noch angespannt. Ich biete Ihnen meinen Schutz, und niemand soll es wagen, Sie aufzuhalten. Dennoch aber wollen wir jedes Aufsehen zu vermeiden suchen. Ich geleite Sie hinab bis zum Park. Dann gehen Sie voraus; am Ausgang warten Sie. In zehn Minuten bin ich dort.“ –

Noch schwankte Susanne einen Augenblick. Blitzschnell zogen die Gedanken durch ihr Gehirn. Sie sah ihre Mutter vor sich, das Bild ihres Vaters stieg vor ihr auf, Kiel mit seinen Bewohnern, die reden und verdammen würden. Auch Utzlar, ihr Mann, Alten und – Tromholt – –

Tromholt! Wie würde er triumphieren, daß sie sich um ihr Glück betrogen! – Aber nein, nein, gerade er würde der mildeste, gerechteste, gütigste sein. Er war ja ein Mensch, ein wahrhaft edler, alles verzeihender Mensch!

Und so legte denn die Frau entschlossen ihren Arm in den des Grafen Esbern-Snarre und schritt über den Flur die Treppe hinab.

Vom Hofe herüber drang eben noch das Geräusch der thätigen Arbeiter, Brandgeruch erfüllte die Luft, und die Qual, welche das Innere der Frau erfüllte, ward erhöht durch die Gedanken an das, was drüben geschehen war. – – –


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Als Utzlar nach einer Abwesenheit von fast einer halben Stunde wieder ins Schloß trat, das Wohnzimmer öffnete und sich vergeblich nach seiner Frau und Snarre umsah, trat ihm der Diener entgegen.

„Meine Frau, die Gräfin – der Graf Snarre – wo sind sie?“ fragte er verwundert.

„Die gnädige Frau ist mit dem Herrn Grafen Snarre gegen den Park zu gegangen, und eben hörte ich von dem Aufseher Peter, daß – sie in dem Wagen des Herrn Grafen abgefahren seien. Er hat sie einsteigen sehen. Ich glaubte, der Herr Graf wüßten –“

„Bist Du toll?“ rief Utzlar erbleichend. „Meine Frau nach – Snarre –“

Aber er sprach nicht weiter, beherrschte sich und eilte in den Hof hinab. Seine mit Absicht vorsichtig angestellten Ermittelungen ergaben, daß der Graf beim Herrenstall gesehen worden sei und, da der Kutscher nicht anwesend war, sich selbst auf den Bock seines Wagens geschwungen habe. Er hätte zurückgelassen, sein Diener solle später mit den Knechten und den Spritzen nachfolgen.

Nun war also wohl kein Zweifel mehr! Susanne hatte sich mit Graf Snarre auf und davongemacht, und die Veranlassung war er, Utzlar, selbst gewesen! Einen solche Schritt hatte der Mann doch nicht für möglich gehalten! Ja, einen Augenblick glaubte er, es müsse sich alles wieder gutmachen lassen. Aber wenn er sich dann wieder erinnerte, was geschehen war, schwand jeder Zweifel. Sie hatte sich von ihm losgesagt für immer!

Was war nun zu thun? Utzlar mochte, wollte sich anfänglich die Folgen nicht ausdenken! Und dann redete doch seine berechnende Natur auf ihn ein und schuf Vorstellungen, die ihm die Dinge in einem veränderten Licht erscheinen ließen. Wenn Susanne wirklich gehen wollte, wohlan! Aber sie sollte ihn entschädigen. Er würde Abstandsgeld verlangen! Und sobald alles sich abgewickelt hätte, würde er eine andere und eine reichere Frau finden! War er hier nicht in seinen Voraussetzungen schmählich betrogen worden?

Aber wenn man sich weigerte, ihm Entschädigung zu zahlen, oder die Möglichkeit dafür nicht vorhanden war? Utzlar wußte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_522.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)