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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

vielmehr durch Sie Neues von der Gräfin zu hören, die wohl zweifellos Nachrichten von ihrer Mutter erhalten hat. Bei uns stehen die Dinge wie vordem. Graf Utzlar besteht auf seiner Forderung, die, wie die Verhältnisse liegen, unerfüllbar ist. Frau Ericius hat mich zwar mit unbeschränkter Vollmacht, die Verhandlungen zu führen, ausgerüstet, allein – –“

Tromholt stockte in einiger Verlegenheit.

„Könnten Sie denn im Nothfall die Summe sofort anschaffen?“ fragte der Graf, für den Tromholt nach Susannens Bekenntnissen ein Gegenstand ganz besonderen Interesses war.

„Nein! Wir haben sie nicht,“ entgegnete Tromholt kurz.

„Und was ist nun Ihre persönliche Ansicht in der Sache?“

„Wenn die Gräfin will, muß das Opfer gebracht werden –“

„Recht so!“ entgegnete Snarre, „und wenn – wenn –“

Er unterbrach sich, zog an seinem Schnurrbart und sah Tromholt an, als ob er ihm weiterhelfen solle.

„Sie meinen, Herr Graf?“

Snarre hätte gern gesagt: ‚Verfügen Sie über meine Kasse!‘ Aber das Gespräch mit Susanne hatte ihm seine frühere Unbefangenheit geraubt, und sein Zartgefühl sträubte sich gegen einen Vorschlag, der hätte mißdeutet werden können.

Um so angenehmer war er überrascht, als Tromholt, nunmehr das Schweigen brechend, anhob: „Erlauben Sie mir einmal ein offenes Wort, Herr Graf! Würden Sie gegebenenfalls helfen, Frau Susanne von dem Burschen zu befreien, der drüben in Limforden noch immer den Herrn spielt und seine Laune in Ermangelung eines besseren Gegenstandes an den Parkbüschen ausläßt, die er mit seinem Spazierstock bearbeitet?“

„Ja!“ rief Graf Snarre lebhaft, indem er aufsprang und dicht vor Richard hintrat. „Befreien will ich sie so bald wie möglich. Aber eines, Tromholt, versprechen Sie mir: die Gräfin darf nie etwas davon erfahren, daß ich es war, der die Summe vorstreckte, niemals, verstehen Sie? Unter dieser Bedingung steht Ihnen das Geld heute noch zur Verfügung, und ich verzichte ein für allemal auf Kapital und Zinsen.“

Tromholt war über die rückhaltlose Gewährung seiner kaum angedeuteten Wünsche ebenso überrascht wie erfreut, aber das Geld als Schenkung für Susanne entgegenzunehmen, dagegen sträubte sich sein Inneres doch.

Er setzte dies auch dem Grafen mit ruhigem Ernst auseinander, behielt sich bezüglich eines Anlehens seine Entschlüsse vor und bat schließlich, der Graf möchte ihn bei Susannen anmelden lassen, mit der er vor ihrer Abreise nach Kiel, die, wie der Graf ihm mitgetheilt, schon am nächsten Tag stattfinden sollte, Rücksprache nehmen müßte.

Snarre beeilte sich, seine Bitte zu erfüllen, und da der abgeschickte Diener mit der Nachricht zurückkehrte, die Frau Gräfin befände sich im Park, so ging er selbst, sie von Tromholts Anwesenheit zu benachrichtigen.

Richard blieb indessen in des Grafen Zimmer, betrachtete die Bilder an den Wänden ohne tieferes Interesse und war so ganz seinen Gedanken hingegeben, daß er Susannens Eintreten überhörte.

Nun wandte er sich um.

Wie schön sie war! ‚Sei mein Weib!‘ hätte er ihr auch jetzt wieder zurufen mögen, ‚sei mein, und ich will alles vergessen, denn mein Leben hat kein anderes Ziel, als dich!‘ Aber er bemeisterte sich, ihre Antwort von damals kam ihm wieder in den Sinn, und je heftiger die Bewegung war, ist die ihn ihr Anblick versetzte, desto kälter und förmlicher war die Verbeugung, mit der er sie nun begrüßte.

Susannen entging Tromtholts tiefe innere Bewegung nicht.

„Sie wollten mich sprechen, Herr Tromholt,“ begann sie mit bebender Stimme, „und Sie erfüllen damit nur meinen eigenen Wunsch, ein Bedürfniß, das ich lange schon empfand und dem ich vielleicht früher hätte Ausdruck verleihen sollen.“

Tromholt verbeugte sich abermals, diesmal fast noch gemessener.

„Tadeln Sie, was ich gethan habe? Begreifen Sie meine Handlungsweise?“

„Nein, ich tadle sie nicht, Frau Gräfin. Ich begreife alles vollkommen.“

Tromholts Mienen veränderten sich nicht, als er dies sagte, nichts rührte sich in seinem Gesicht.

„Es sind geschäftliche Angelegenheiten, derentwegen Sie mich zu sprechen wünschten, wie mir Graf Snarre sagte. Vor allem aber drängt es mich, Ihnen zu danken mit tief bewegtem Herzen, daß Sie, mein unvergleichlicher Freund, sich abermals meiner annehmen. O, ich bitte – sehen Sie mich nicht so ernst, so strafend an! Ich weiß alles, was Sie sagen wollen, und habe auf alles ein Wort, das Sie besänftigen, das Sie versöhnen muß.“

Tromholt wurde es schwer, sich dem Eindruck dieser rührenden Sprache zu entziehen, aber er hatte sich vorgenommen, der Frau, die ihn nicht lieben konnte, auch nicht durch eine Miene zu verrathen, daß noch etwas von den alten Gefühlen in seiner Brust lebte.

„Sie sind so gütig, wie Sie stets waren, Frau Gräfin. Ich danke Ihnen für Ihre Worte. – Erlauben Sie, daß ich jetzt das Geschäftliche berühre! – Graf Utzlar besteht trotz mehrfacher Verhandlungen auf der geforderten Summe. Das Geld werde ich beschaffen. Ich fand jemand, der es darlehnsweise hergeben will. Es fragt sich jetzt nur, und das ist der Hauptzweck meines Kommens, ob Sie, ob Ihre Frau Mutter damit einverstanden sind.“

Susanne war in einen Stuhl gesunken. Ein Heer widerstrebender Gefühle bewegte ihre Brust. Sie hörte kaum, was er sagte, und als er geendet hatte, brachen die Thränen fluthend aus ihren Augen.

„Gnädige Frau, Frau Gräfin!“ rief Tromholt, von seiner Bewegung gegen seinen Willen fortgerissen.

„Es ist nichts,“ erwiderte sie sanft, seine Hand erfassend, „denken Sie nicht böse von mir, Tromholt, ich bitte Sie darum, ich kann alles ertragen, nur den Verlust Ihrer Achtung nicht!“

Sie sah ihm mit einem so flehenden Blick in die Augen, daß es ihm bis ist die Seele drang.

Einen Augenblick kämpfte Tromholt, dann sagte er weich, aber in demselben Ton der bisherigen Zurückhaltung: „Glauben Sie, Frau Gräfin, in dieser für uns beide ernsten Stunde: ich bin derselbe, der ich war, seitdem ich Ihnen zum ersten Male gegenübertrat, und werde es bleiben. An meiner Achtung, meiner Freundschaft zweifeln Sie nie! Alles andere aber ist ausgelöscht ein für allemal, und obgleich es unzart erscheinen mag, dies zu berühren, ich sage es, weil ich will, daß unsere Freundschaft frei von falscher Sentimentalität sei. Was Sie auch thun und beschließen, ich achte Ihre Gründe wie Ihre Handlungen, und mein aufrichtigster Wunsch ist, daß sie zu Ihrem Glück dienen. Was in meiner Kraft steht, will ich thun, Sie glücklich zu machen. Sie schulden mir keinen Dank dafür, denn daß ich es thun darf, das – das eben ist mein Glück, auf jedes andere habe ich verzichtet.

Wundern Sie sich nicht darüber, auch ich habe ein Herz, und leicht ist mir der Verzicht nicht geworden.

Aber mein Wille ist stark, stärker als das schwache Herz, und er hat es bezwungen. Und nun, Frau Gräfin, nach diesem Bekenntniß lassen Sie uns scheiden, ohne Unmuth, ohne Groll in ruhiger, wunschloser Uebereinstimmung. Meine Sorge soll sein, daß Sie Ihre volle Freiheit so schnell wie möglich wieder erlangen, und dann, dann hoffe ich, werden für Sie wieder glückliche, heitere Tage zurückkehren. Niemand kann es aufrichtiger wünschen als ich.“

Seine Stimme bebte bei den Worten, er verneigte sich tief, drückte noch einmal die Lippen auf ihre Hand und entfernte sich rasch, während Susanne wie vernichtet zusammenbrach.


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Tromholt hatte den Grafen Snarre nicht mehr gesprochen, er war sofort nach der Unterredung mit Susannen nach Limforden zurückgekehrt. Er befand sich in einer ungeheuren inneren Erregung. Die Scene hatte ihn mehr angegriffen, als er sich gestehen wollte; der übernatürliche Zwang, den er seinen Gefühlen auferlegt hatte, rächte sich an ihm, und all seine Willenskraft konnte ihn nicht vor der Erkenntniß schützen, daß er Susannen liebe, mehr denn je, und daß alle seine Bemühungen, diese Liebe zu bekämpfen, vergeblich sein würden, wenn er nicht eine Trennung herbeiführte. Aber sein Entschluß, jedes fernere Zusammentreffen mit ihr zu vermeiden, war nicht durchführbar, so lang er in ihrem Dienst stand. Darum wollte er der Qual ein Ende machen und, sobald das letzte Geschäft besorgt, sobald sie frei war, Limforden für immer verlassen, sich fern von ihr, in fremdem Land eine neue Stellung gründen.

Wie diese Angelegenheit am schnellsten zu ordnen sei, darüber sann er jetzt nach, und er mußte sich gestehen, daß die einfachste Lösung eben in der Annahme des Geldes liege, das Snarre in so großmüthiger Weise angeboten hatte. Allein diese einfachste Lösung war ihm gerade die peinlichste. Des Grafen erregtes Wesen, als er ihm das Angebot gemacht hatte, kam Tromholt

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