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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

nun wieder in den Sinn. Was konnte Snarre veranlaßt haben, was berechtigte ihn dazu, eine solche Summe an eine Aufgabe zu wenden, die nicht die seinige war? Des Grafen vornehme Gesinnung, seine bekannte Galanterie reichten nicht hin, Tromholt dieses Räthsel zu erklären. Es mußte etwas anderes sein, und nichts lag näher als die Annahme, daß der Graf selbst Absichten auf Susannens Hand habe.

Ob sie ihm wohl ein Recht dazu gegeben hatte? – Nein, das war nicht möglich, aber – er hatte ihr vom ersten Tag ihrer Bekanntschaft an große Aufmerksamkeit erwiesen, er hatte sich an jenem Tag, an welchem der Bruch mit Utzlar stattfand, man konnte wohl sagen, just zur rechten Zeit, als ob er gerufen wäre, in Limforden eingefunden. – Des Brandes wegen? Wohl möglich, aber thatsächlich war sie unter seinem Schutze entflohen, hatte unter seinem Dach eine Zuflucht gefunden, seine Gastfreundschaft genossen. Immer klarer wurde es Tromholt, der sich dieser Waffe gegen seine immer wiederkehrende Schwäche selbstquälerisch bediente, daß zwischen den beiden ein wenn auch noch unausgesprochenes Einvernehmen bestand, und daß er auch hier nur ein Werkzeug war, anderer Pläne zu fördern.

Ein großer Schmerz, eine blinde Eifersucht überkam ihn bei dem Gedanken. Auch Susannens Benehmen, ihre Erregung bei seinem Anblick, ihre scheinbare Zerknirschung und die Milde, die Demuth, mit der sie ihm begegnet war, schienen ihm jetzt eine Absicht zu verbergen – Haß gegen sie beide regte sich in seiner Brust.

Lange konnte indessen eine solche feindselige Stimmung bei Richard Tromholt nicht anhalten. Bald genug siegten die Vernunft und sein Edelsinn. Die Vernunft sagte ihm, daß eine Verbindung Snarres mit Susannen allerdings der beste und sicherste Ausweg aus allen Wirrnissen, ja daß sie das einzige Mittel sei, nach den schweren Schicksalsschlägen, welche die Familie Ericius betroffen hatten, deren Ansehen in jeder Beziehung wiederherzustellen und die letzte große Unternehmung des verstorbenen Ericius vor dem Untergang zu bewahren. Er konnte dem Charakter, der Thatkraft und der ritterlichen Gesinnung des Grafen Snarre seine Anerkennung nicht versagen. Snarre war zudem sehr reich und seit lange bemüht, seinen Besitz auf praktische Weise zu vergrößern. Wie, wenn der Graf Limforden kaufte? Dann war ja alles in der besten Ordnung, Utzlar abgefunden und er, Tromholt, frei! Alten kannte seine Stellung behalten und Bianca heimführen. Alle waren sie glücklich, und er, nun, er würde sein Glück in einer neuen selbständigen Thätigkeit finden, soviel als ihm eben vom Schicksal beschieden war, gleichviel wo!

(Fortsetzung folgt.)


Vollmondfest im Fetischgrund.

(Zu dem Bilde S. 520 u. 521.)

Nicht weit vom deutschen westafrikanischen Schutzgebiet Togo liegt Aschanti, jenes Negerreich, in welchem trotz der vielfachen Berührungen mit europäischen Händlern und christlichen Missionaren der Fetischglaube in voller Blüthe steht. Als wir vor kurzem die Bismarckburg im Adeliland schilderten, konnten wir schon darauf hinweisen, daß auch in Togo Fetischpriester und -priesterinnen das große Wort führen, daß auch dort berühmte heilige Orte wie z. B. Peren vorhanden sind, und daß man überall geheiligte Stätten, Fetischhaine etc. findet. Der Maler Franz Leuschner führt uns in seinem Bilde, das wir heute den Lesern der „Gartenlaube“ bieten, an einen solchen geheiligten Ort, an den Fetischgrund am Sióflusse in der Landschaft Gamé.

Was uns zunächst beim Anblick dieses Bildes fesselt, das ist die Natur, die eigenartige Landschaft, der üppige tropische Wald, gegen den das Häuflein Menschen am Flußufer völlig verschwindet. Nicht jeder von unsern Lesern wird diese Landschaft sich zu deuten verstehen, und darum möchten wir gleich einige erklärende Worte über Zeit und Ort vorausschicken:

Wir haben hier einen winterlichen Wald, eine afrikanische Winterlandschaft vor Augen. Die regenlose Trockenzeit herrscht gerade; auf den Ebenen und an den Berghängen, wo sich die Savannen (Grasebenen) ausdehnen, ist alles verdorrt unter den sengenden Strahlen der Sonne, die Pflanzenwelt schläft, bis sie der Regen wieder zu neuem Leben erweckt. An den Flußläufen aber, die zwar bedeutend zusammengeschrumpft sind, doch immerhin, von unterirdischen Quellen gespeist, spärlich zum Meere rinnen, ist der Boden feucht genug, um Bäumen und Sträuchern auch in der Trockenzeit die belebende Feuchtigkeit zuzuführen. Nur einige wenige Bäume haben ihr Laub abgeworfen und stehen mit kahlen Aesten da, weil auch sie in ihrem Lebenslauf einer Ruhepause bedürfen; die meisten aber grünen immerfort und gedeihen in der ewigen Wärme und der ewigen Feuchtigkeit üppig und schnell wie in einem Treibhause. Diese günstigen Wachsthumsbedingungen zaubern an den Flußläufen Streifen Urwaldes hervor, welche wie Galerien sich über die Wasserrinnen wölben. Mitten in einem solchen Walde ist unser Fetischgrund gelegen.

Man genießt hier noch einen verhältnißmäßig freien Ueberblick, denn der Grund ist eine Lichtung, auf welcher vor Jahren eine Negeransiedlung stand. Das Dorf wurde verlassen, die leichten Hütten wurden von den Insekten und Würmern zerfressen; sie vermoderten bald und der Wald nahm wieder die ihm entrissene Bodenstrecke für sich in Anspruch. Junges Unterholz sprießt überall empor, und bald wird auch dieser Grund ebenso ungangbar sein wie die benachbarte Wildniß.

Den Anfang derselben erblicken wir rechts auf unserm Bilde. Der um diese Zeit kaum ½ Fuß tiefe Sió kommt träge aus einem dunklen Tunnel geflossen. Dringen wir weiter in diesen Spalt hinein, so finden wir, daß der Fluß wohl eine Viertelmeile lang in einem wirklichen Tunnel sich den Weg bahnt. Hohe Ufer und mächtige Baumstämme bilden seine Wände und die feste Decke ist im Laufe der Zeiten aus den Trümmern des Waldes entstanden; Baumriesen fielen altersmorsch quer über den Fluß, dazwischen legten sich Aeste und Zweige, und so bildete sich eine Brücke, welche durch das Lianengewirr verstärkt wurde; darauf fielen welke Blätter und verwesten und vermoderten jahraus jahrein, bis der Fluß vom Walde überwölbt wurde und so zu sagen unterirdisch zu Thale rann.

Der Sió kommt von den Agomebergen, und nachdem er die Küstenebenen durchflossen hat, verliert er sich in den Küstensümpfen von Bagida; während der Regenzeit schwillt er mächtig an und überschwemmt die benachbarten Niederungen. Jetzt ist sein Ueberschwemmungsbett trocken und auf dem weichen Flußsande am Fuße eines Seidenwollbaumes hat sich am frisch angezündeten Feuer eine Negerschar niedergelassen.

Die Sonne ist bereits untergegangen und der Schein der in diesen Breiten nur wenige Minuten dauernden Dämmerung erleuchtet noch magisch die Wipfel der Bäume, während im Waldgrunde bereits die Nacht anbricht. Ueber dem Walde aber steigt der blasse Vollmond empor, und ihm gilt der festliche Tanz, zu dem sich die Neger rüsten.

Der schwarze Sohn Afrikas ist ein Heide, dem die Natur von Geistern belebt erscheint. Die Leute des Ewe-Stammes, um die es sich hier handelt, glauben zwar an ein höchstes Wesen, welches „Mawu“ heißt: dieser Hauptgott ist wie der Jan Kompune der nahen Aschanti der Schöpfer der Welt. Aber er steht so hoch über den Menschen, daß diese gar nicht wagen, zu ihm zu beten, ihn anzurufen; denn sie sagen sich, Mawu sei viel zu heilig und habe viel wichtigere Dinge zu thun, als daß er sich um so winzige Wesen wie die Menschen kümmern könnte. Auch ist er so liebenswürdig, nicht einmal Opfer von ihnen anzunehmen, da er ja doch viel reicher ist als alle Menschen zusammen. Es giebt aber außer Mawu noch eine ganze Anzahl untergeordneter Götter, Fetische, welche „Edrô“ heißen und gern die Vermittlerrolle zwischen Mawu und den Menschen spielen. Leider sind nicht alle diese Edrô, welche in besonderen Flüssen, Wäldern oder Bergen wohnen, gut; neben Engeln giebt es in der Glaubenslehre der Neger auch böse Dämonen, die habgieriger Natur sind und viele Opfer verlangen. In dem Kampf mit diesen bösen Geistern, in der Furcht vor Zauberern und Hexen bringt der Neger sein Leben dahin, ja diese Teufel stellen auch der Seele des Gestorbenen nach, wenn sie nach dem Verlassen des Körpers die weite Reise zu Gott unternimmt. Darum wird auch nach dem Tode vornehmer Leute in den Negerdörfern mehrere Tage lang ein fürchterlicher Lärm gemacht, um die Teufel zu vertreiben. Der Mond spielt in diesen Vorstellungen auch eine hervorragende Rolle, und die Veranstaltungen, durch welche die bösen Geister aus der Nähe der menschlichen Wohnungen fortgescheucht werden, sollen gerade an Voll- und Neumondtagen am wirkungsvollsten sein. An diesen Tagen halten darum die Priester feierliche Umzüge in den Dörfern, wobei die Einwohner sie durch einen wahren Höllenlärm unterstützen. Nun sind die Bösen vertrieben, die Luft ist rein und die Bevölkerung kann sich der ungetrübten Freude hingeben.

Singen, Tanzen und Trinken, das sind überall die Hauptvergnügen, die auf den Festprogrammen aller Völker stehen, und um dieses Programm auszuführen, zieht die Negerschar, sei es auf einen freien Platz vor dem Dorfe, sei es an einen Ort, der einem guten Fetisch geweiht ist. An berauschenden Getränken fehlt es nicht im dunklen Welttheil; im Westen liefert die Oelpalme den Palmwein, und die Lust zum Tanzen ist dem Afrikaner angeboren. Er ist darin unermüdlich, und selbst Karawanenträger tanzen oft die Nacht durch und begnügen sich mit zwei Stunden Schlaf.

Die Lieder, die bei solchen Festen vorgetragen werden, sind mehr als prosaisch, und viele Barden begnügen sich mit geistreichen Augenblicksdichtungen, wie „Der Mond scheint hell“ oder „Das Schaf ist groß“. Und die Musik, bei der die Trommel als das Hauptinstrument gilt – nun, sie ist eben afrikanisch.

Aber wirkungsvoll können die Negertänze werden, und die Scene, die sich, wenn die Geister reger werden, in unserem Fetischgrunde abspielen wird, können wir uns denken!

Düster ragt die schwarze Waldmauer, während der Mond die Wipfel der Bäume mit silbernem Licht übergießt, Myriaden von Glühwürmern durchziehen die Luft; stiller Friede herrscht in der Natur, im Fetischgrunde aber erreicht die Tanzlust den Höhepunkt; die Männer bilden einen äußeren, die Frauen einen inneren Ring, Fackeln werden geschwungen, die Pauke dröhnt und ein rasender Rundtanz beginnt, ein wahrer Hexensabbath, erleuchtet vom rothen Schein des Feuers und von dem weithin stiebenden Funkenschauer der Fackeln. So geht es fort, bis die Natur ihr Recht verlangt und die Tänzer müde heimwärts ziehen. Das Vollmondfest ist zu Ende; verlassen ist wieder der Fetischgrund, in dem jetzt die Nachtgeister schweben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_527.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)