Seite:Die Gartenlaube (1890) 532.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ferner ein Schnürleib, ein „Pracht-, Prahl- und Patentzopf“ und ein großmächtiger Korporalstock verbrannt wurden. Dabei sangen die Burschen die Verse:

„Zuletzt nun rufet Pereat
Den schuft’gen Schmalzgesellen
Und drei Mal Pere-, Pereat,
So fahren sie zur Höllen!
Auf, auf, mein deutsches Vaterland,
Ihr Brüder, reichet Euch die Hand
Und schwört: So woll’n wir’s halten!“

Die ganze Scene hatte sich ohne Vorwissen des Festausschusses abgespielt. Sie war mehr die Eingebung jugendlicher Unbesonnenheit als ein Ausfluß revolutionärer Gesinnung. Mit dem großen Wartburgfeste, das in der Hauptsache vorüber war, hatte sie so gut wie nichts zu thun. Aber sie sollte für die Theilnehmer des Festes von verhängnißvoller Bedeutung werden, wenn auch die Folgen nicht unmittelbar zu Tage traten. Vor allem mußten sich die verhöhnten Verfasser der verbrannten Schriften beleidigt fühlen, und nur zu leicht gelang es, die dem patriotischen Streben der Jünglinge so wie so schon mißtrauisch gegenüberstehenden Regierungen davon zu überzeugen, daß, was das Werk weniger Unbesonnener gewesen war, kennzeichnend für das ganze Fest, für die ganze burschenschaftliche Bewegung sei. Der Grund oder vielmehr der Vorwand war gegeben, um diesen für ihr Vaterland mit überschäumender Begeisterung erfüllten Jünglingen aus ihrem patriotischen Bestreben den Vorwurf revolutionärer Gesinnung zu machen. Mit immer wachsendem Mißtrauen betrachtete namentlich Metternich das zunehmende Ansehen und die stetig fortschreitende Ausbreitung der Burschenschaft. Aber noch war es ihm nicht gelungen den preußischen Staat, der eben in der Zeit der Fremdherrschaft durch die großen inneren Reformen Steins und Hardenbergs den Grund zu einer neuen, freieren Entwicklung, auf der die Hoffnungen aller echten Vaterlandsfreunde beruhten, gelegt hatte, für seine rückschrittliche Politik und für seine feindseligen Absichten gegenüber der deutschen Burschenschaft zu gewinnen. Noch erhofften alle Vaterlandsfreunde von dem preußischen Staatskanzler, daß er für die Verwirklichung der von dem Könige seinem Volke verheißenen Verfassung kräftig Sorge tragen, dem nationalen Gedanken zum wenigsten nicht feindselig gegenübertreten werde. Die Verbindung der nationalen geistigen Bewegung mit den Machtmitteln des preußischen Staates schien sich in nächster Zeit vollziehen zu sollen.

Nach einem der „Arminia“ gehörigen Bilde.

Da wurde am 23. März 1819 der russische Staatsrat v. Kotzebue von dem unzweifelhaft mit der Burschenschaft in Verbindung stehenden Studenten Karl Ludwig Sand ermordet. Es war die verblendete, verhängnißvolle That eines einzelnen, eines von idealer Schwärmerei zu verirrtem Fanatismus gelangten Jünglings, der durch die Ermordung des verhaßten, als der russischen Spionage verdächtig angesehenen Vaterlandsfeindes eine heilige Pflicht gegen das Vaterland zu erfüllen meinte. Ohne alle Frage war die Mordtat, welche übrigens dem Ermordeten eine Bedeutung beilegte, die der nichtig oberflächliche Mann nie besessen hatte, ebenso unklug als sittlich verwerflich. Aber die Burschenschaft als solche hatte unzweifelhaft nicht das Mindeste damit zu thun. Nicht allein hatte Sand, ehe er die unselige That verübte, seinen Austritt aus der Burschenschaft erklärt, sondern die von ihm hinterlassenen Papiere lassen auch deutlich erkennen, daß er seinen Entschluß dem Freundeskreise nicht kundgegeben hatte. Nur etwa dem Führer einer radikalen Richtung innerhalb der Burschenschaft, der eine kleine Minderheit bildenden „Unbedingten“, dem Docenten Dr. Karl Follen, dessen Einfluß auf die Gesammtburschenschaft keineswegs ein hervorragender war, mag er andeutende Mittheilungen gemacht haben. Von einer weitverzweigten Mitwisserschaft oder gar Verschwörung kann jedenfalls keine Rede sein. Wohl aber wußte sich Metternich den Anschein zu geben, als glaube er an eine solche. Vielleicht ist er wirklich in seiner gespensterseherischen Furcht vor den „Umtrieben“ der Burschenschaft zu der jedenfalls verkehrten Ansicht von der Theilhaberschaft und Verantwortlichkeit der letzteren für die That gelangt. Sicher ist, daß er diese Gelegenheit benutzte, um die anderen deutschen Regierungen von der Gefährlichkeit der burschenschaftlichen Bestrebungen zu überzeugen.

Diesmal gelang es ihm zu seiner Freude auch bei Preußen. Friedrich Wilhelm III. befahl alsbald seinen Landeskindern, die Universität Jena zu verlassen, und ließ sich dann von Metternich durch die sogenannen Karlsbader Beschlüsse (August 1819) unseligen Angedenkens zu hervorragender Theilnahme an den verhängnisvollen Verfolgungen wegen „demagogischer Umtriebe“ verleiten, welche Jahre, ja Jahrzehnte lang das deutsche Volksleben vergifteten und zu Untersuchungen gegen die besten Männer des Volkes, einen Arndt und Jahn, führten. Die deutsche Burschenschaft aber wurde vier Jahre nach ihrer Gründung aufgehoben, die Theilnahme an burschenschaftlichen Bestrebungen mit schwerer Strafe, vor allem mit Ausschluß von jeder amtlichen Stellung in den deutschen Staaten bedroht. Es war der schwerste Schlag, der gegen den Bestand des nationalen Gedankens geführt werde konnte. Denn er vernichtete die Ansätze einer zweiten Annäherung zwischen der idealen Bewegung der Geister und dem Staate, auf dem die Zukunft des nationalen Gedankens beruhte. Aber voll erreicht wurde der Zweck der Maßregel doch nicht. Der nationale Gedanke ließ sich nicht mehr ertödten. Die Form der Burschenschaft wurde zerbrochen, aber mit Recht sangen die Burschen, als sie die gebotene Auflösung vollzogen, in ernster Wehmuth und doch in festem Vertrauen die Strophen des eben damals auftauchenden Binzerschen Liedes:

„Das Band ist zerschnitten,
War schwarz, roth und gold,
Und Gott hat es gelitten,
Wer weiß, was er gewollt.

Das Haus mag zerfallen,
Was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns allen,
Und unsre Burg ist Gott!“

Der Geist, der die Burschenschaft beseelt hatte, lebte in der That in ihren Mitgliedern fort, und auch als eigentliche Vereinigung that sich die Burschenschaft bald wieder, wenn auch im geheimen, auf.

Wir Nachlebende, die wir uns der Segnungen des geeinigten Vaterlandes erfreuen, können uns kaum noch in die Zeit zurückversetzen, da es wie in dem auf die Karlsbader Beschlüsse folgenden Jahrzehnt für Hochverrath galt, von einem einigen deutschen Vaterlande zu reden. Wie viele haben nicht gleich Fritz Reuter ihr nationales Streben mit jahrelanger Festungshaft oder mit Auswanderung in die Fremde büßen müssen, von den Benachtheiligungen in der amtlichen Laufbahn ganz zu schweigen! Um so mehr aber ziemt es uns Nachlebenden, jenen für ihr Ideal begeisterten Jünglinge und Männern ein ehrendes Andenken zu wahren, die auch in dieser trüben Zeit den nationalen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_532.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2023)