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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Seit dieser Zeit haben die Ströbecker das Recht, jedem neuen Landesherrn, der ihren Ort berührt, auf freiem Felde auf einem Tische eine Partie Schach anbieten zu dürfen, was sie bisher auch immer gethan haben. Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst fand bei seiner Durchreise ein Vergnügen daran, die ländlichen Schachkünstler zu prüfen, und er fand mehr als er suchte, weshalb er dem Dorfe das noch jetzt als kostbarer Schatz im Gemeindehause aufbewahrte, mit Elfenbein ausgelegte Schachbrett verehrte. Auf der einen Seite dieses Schachbrettes sind die 64 Felder des Schachspiels, auf der andern die des Kurierspiels, welches, eine Art komplizierten Schaches, 32 Felder und für jeden Spieler 8 Steine mehr enthält. Auf dem Rande des Schachbrettes sieht man Ströbeck in erhabener Arbeit mit der Umschrift:

„Daß Sereniss. Churfürstliche Durchlaucht von Brandenburg und Fürst von Halberstadt, Herr Friedrich Wilhelm u. s. w. dieses Schach- und Courierspiel am 13. Mai 1651 dem Flecken Ströbeck aus sondern Gnaden verehret und bei ihrer alten Freiheit zu schützen zugesaget, solches ist zum ewigen Gedächtniß hier aufgezeichnet.

Paul Langenstraß. B. Valentin Rieche, Richter. Andreas Bartels, Baur. Meist. Hans Ilsens. B. Valentin Langenstraß, Richter. Hans Hartmann, Baur. Meist. Renovatum Anno 1744. M. Heinrich Wilke me fecit.“

Die dazu gehörigen Figuren waren sehr werthvoll, und zwar der eine Theil von Silber, der andere von Silber mit Vergoldung; leider sind sie aber nicht mehr vorhanden, da sie durch Verleihen an das Domstift zu Halberstadt verloren gegangen sein sollen.

Auch ein anderer Fürst, Herzog Ludwig Rudolf von Braunschweig, der im vorigen Jahrhundert regierte, spielte gern mit den Ströbeckern eine Partie Schach, so bei Gelegenheit der Vorstellung einer Bauernhochzeit auf dem Schloß zu Blankenburg a. H., wo er mit dem Schulzen Söllig von Ströbeck spielte, hinter dem sein achtjähriger Sohn stand und das herkömmliche „Vadder mit Rat!“ bei einem bedenklichen Zuge rief. Der Herzog wurde infolgedessen auf den jungen Söllig aufmerksam, ließ ihn unter seiner Aufsicht erziehen und zu einem tüchtigen Geistlichen ausbilden.

So hat im Laufe der Jahre das Schachspiel in Ströbeck sich eingebürgert und bei dem regen Interesse, das man ihm entgegenbrachte, den Vorrang unter den übrigen Spielen behauptet. Die Ströbecker sind auch in der Theorie bewandert und haben sich die moderne, internationale Spielweise angeeignet, ein für die Betheiligung an auswärtigen Turnieren nicht zu unterschätzender Vortheil.[1] So möge denn das edle Spiel in dem einzigen „Schachdorfe“ fortblühen und als ein von den Vorfahren überkommenes Erbe immer in Ehren gehalten werden! _/      


  1. Wer das Ströbecker Schachspiel genauer kennenzulernen wünscht, für den geben wir auf S. 548 eine der Turnieraufgaben.

Blätter und Blüthen.

Gottfried Keller †. Ein Jahr ist es her, seit die „Gartenlaube“ den Züricher Meister zu seinem 70. Geburtstag beglückwünschen konnte (siehe Jahrgang 1889, S. 474). Bald danach befiel ihn ein schweres Leiden, dem er nunmehr, am 15. Juli, erlegen ist.

Ein Zufall wollte es, daß uns gerade in diesen Tagen von einem alten Freunde und Mitarbeiter der „Gartenlaube“ einige Erinnerungen an Gottfried Keller mitgetheilt wurden, die wir unsern Lesern – als ein Wort des Gedächtnisses an des Dichters Grabe – nicht vorenthalten möchten. Der Brief lautet:

Während meines Aufenthaltes in Zürich trat ich Gottfried Kinkel nahe. Eines Tages erhielt ich von ihm ein Briefchen mit der Aufforderung, nach Zollikon, einem Dörfchen am See, in ein gewisses Wirthshaus, das einen guten Weinruf hatte, zu kommen.

Ich traf Kinkel dort mit einem kleinen Mann, der mich unter großen Brillengläsern mit tiefblickenden scharfen braunen Augen nicht sehr freundlich ansah, wobei Kinkel auf seine Weise heimlich lachte.

„Das ist Gottfried Keller, Doktor, Staatsschreiber, Poet und Züricher,“ stellte mir Kinkel den Kleinen vor.

Ich muß darauf ein so ungläubiges Gesicht gemacht haben, daß beide lachten.

„Der mit den ‚Leuten von Seldwyla‘?“ kam es unwillkürlich über meine Lippen.

„Ja, der mit den ‚Leuten von Seldwyla‘ und dem ‚Grünen Heinrich‘,“ bestätigte Kinkel – „aber um Gotteswillen, seien Sie still“ – fügte er hinzu – „wenn Sie das hier so laut aussprechen, werden wir von den Seeumwohnern bis Meilen hin alle drei massakrirt.“

So lernte ich Gottfried Keller, den von mir so hoch verehrten schweizer Novellisten, kennen.

Meine Vorstellung, die ich von der persönlichen Erscheinung des Dichters hatte, erlitt durch die Wirklichkeit einen argen Stoß.

Ich hatte mir – mit welchem Recht, weiß ich allerdings nicht – Gottfried Keller vorgestellt als einen hohen schlanken Mann mit einem melancholischen Malerkopf, und jetzt stand vor mir da ein Männchen mit einem Spitzbäuchlein, einem Eulengesicht und einem großen Busch schwarzer Haare hinter einer kahl werdenden Stirn! Ich konnte mich nur allmählich darein finden, in dieser kleinen dunkeln koboldartigen Erscheinung den großen Schriftsteller zu sehen.

Keller sprach an diesem Nachmittag wenig, er war überhaupt karg mit dem Wort – was er sagte, war vernünftig und treffend; nur eines fiel mir bei ihm auf: kam die Rede auf den Weinbau, so konnte man glauben, daß man in ihm einen erfahrenen Weinbergbesitzer vor sich hatte, sprachen wir von der Abdämmung des Sees, so erwies sich Keller hierin derartig kundig, als ob er das Ingenieurfach gründlich studiert hätte, und so zeigte der Meister der Novelle in allem, worauf das Gespräch fiel, eine außerordentliche Kenntniß der Wirklichkeit der Dinge. Litterarisches berührte an diesem Tage unsere Unterhaltung nicht.

Wir gingen, als es kühler wurde, am See entlang zur Stadt zurück, und Meister Gottfried wandelte mit kleinen Schritten einsilbig und still dahin; er hielt die Augen stets gesenkt, nur wenn ein hübsches Mädchen vorüber kam, blickte er lebhaft auf. Er schien das instinktiv zu bemerken.

Ich sah Keller längere Zeit nicht – da traf ich ihn wieder in der Tonhalle. Er saß am sogenannten Professorentisch mit Johannes Scherr und Kinkel. Diesmal winkte Scherr mich heran und stellte mich Keller vor, der so etwas von „schon einmal das Vergnügen gehabt“ brummte. An diesem Tage ward ich Zeuge einer Meinungsäußerung Kellers, die mich in hohem Grade überraschte und die für die Leser unserer „Gartenlaube“ so interessant sein dürfte, daß ich nicht umhin kann, die Worte Meister Gottfrieds, welche ein besonderes Streiflicht auf seine sonst nicht besonders milde Denkungsart hinsichtlich unserer neuesten Litteratur werfen, nach treuem Gedächtniß Ihnen mitzutheilen. Kinkel machte einen Spaß über das Anwachsen „der Schriftstellerei aus Damenfedern“ und spielte hierbei höchst ungalant auf die Retterinnen des Kapitols an.

„Was, Geschnatter!“ fuhr da Keller heftig auf – „es ist wahr – es schreiben viele,“ zürnte er in seiner breiten und harten Züricher Mundart – „und sie werden die Männer bald ins Gedränge bringen – aber, das ist eben der Teufel, sie können was. Da will ich Euch ’mal eine Geschichte erzählen, wie es mir hierbei ergangen:

Ich hörte einmal einen gewissen Autor entsetzlich auf die Marlitt schimpfen – er schrieb selbst Romane“ – setzte Keller mit einem boshaften Lächeln hinzu. „Wenn man derartig gegen jemand loszieht, muß etwas an der niedergedonnerten Person sein, dachte ich mir und ließ mir einen Band von der ‚Gartenlaube‘ kommen. Es stand die ‚Goldelse‘ darin. Nun, ich habe“, fuhr Keller sehr nachdrücklich fort, „nicht allein diese Geschichte, sondern auch noch manche andere von ihr gelesen, und zwar von A bis Z, und habe keine Langeweile verspürt, im Gegentheil, ich habe das Frauenzimmer, die Marlitt, bewundert. Das ist ein Zug und ein Fluß der Erzählung, ein Schwung der Stimmung und eine Gewalt in der Darstellung dessen, was sie sieht und fühlt – ja, wie sie das kann, bekommen wir alle das nicht fertig. Wir wollen nur nicht ungerecht sein und der Schwächen wegen, die sie auch hat, ihr das wegstreiten! Und dann noch eins!“ sprach Keller in großem Ernste weiter – „es lebt in diesem Frauenzimmer etwas, das viele schriftstellernde Männer nicht haben, ein hohes Ziel, diese Person besitzt ein tüchtiges Freiheitsgefühl und sie empfindet wahren Schmerz über die Unvollkommenheit in der Stellung der Weiber. Aus diesem Drang heraus schreibt sie. In allen Romanen, die ich von ihr gelesen habe, war immer das Grundmotiv, einem unterdrückten Frauenzimmer zu der ihr ungerechterweise vorenthaltenen Stellung zu verhelfen, ihre Befreiung von irgend einem Druck, damit sie menschlich frei dastände – und hierin besitzt die Person, die Marlitt, eine Kraft, das durchführen zu können, eine Macht der Rede, eine Wortfülle, eine Folgerichtigkeit in der Entwickelung ihrer Geschichten, daß ich Respekt vor ihr bekommen habe. – Setzt die Marlitt nicht herunter,“ schloß Keller die für ihn so ungewöhnlich lange Rede. „In dem Frauenzimmer steckt etwas von dem göttlichen Funken, und das erkennen alle an, die reinen Herzens sind, vorab die Jugend.“

„O, ich habe, kein reines Herz,“ ließ Kinkel darauf in komisch weinerlichem Ton verlauten, während Scherr bei unserem Disput sich ausschwieg. Keller schien für lange Zeit all seine Beredsamkeit erschöpft zu haben, denn er sprach den Nachmittag kein Wort mehr.

Mich aber überraschte es in hohem Grade, Gottfried Keller, den ich seiner ganzen Charakteranlage nach für einen Gegner der schriftstellernden Frauen halten mußte und dessen Frauenideal im Leben wie in seinen Dichtungen das Weib am häuslichen Herd war, als einen so warmen Vertheidiger der Marlitt auftreten zu sehen.

Ein Denkmal Victor Hugos. Die deutsche Pietät ist am thätigsten, wenn es gilt, die Todten zu ehren. In Frankreich ist das Gegentheil der Fall. Kein Dichter ist bei Lebzeiten so gefeiert worden wie Victor Hugo; dem „größten aller Menschen“ wollte man ein Denkmal errichten, das seiner seltenen Größe würdig sein sollte. Bald nach seiner mehr als fürstlichen Leichenfeier begann man eine Sammlung für dies Monument und es kamen auch bald 100000 Franken ein; doch dann gerieth die Sammlung ins Stocken. Von böser Bedeutung für sie war es, daß eine Victor Hugo-Ausstellung im Hause des verstorbenen Dichters während der großen Weltausstellung des vorigen Jahres trotz der wohlfeilsten Eintrittspreise Bankerott machte. Die Summe für das Denkmal wurde um 10000 Franken vermehrt durch den Ertrag der nach dem Tode verkauften Werke des Dichters. Doch das reicht noch lange nicht für ein würdiges Denkmal, dessen Sockel mit bronzenen Sinnbildern geschmückt werden soll. Der billigste Kostenanschlag beläuft sich auf 200000 Franken und noch ist keine Aussicht, daß diese Summe zusammenkommt. Das bewegliche Volk der Franzosen scheint sehr vergeßlich zu sein! †      

Zur Galerie. (Zu dem Bilde S. 525.) Ja, so ein Sonntagsvergnügen will verdient sein! Nicht bloß das nöthige Kleingeld dazu, nein, auch das Vergnügen selbst verlangt manchen Schweißtropfen, und vollends der zärtliche Vater, der seinen Kindern auch ihren Antheil an der geselligen Erholung gönnen will, muß sich mit einem ausgiebigen Vorrath von Selbstlosigkeit und Opfermuth wappnen.

Da steigen sie die schöne breite Treppe zum Festsaal herauf, der wackere Schlächtermeister und seine bessere Hälfte, und damit’s daheim nicht ohne mütterliche Aufsicht bleibe, haben sie auch das dreijährige Töchterchen gleich in das Konzert mitgenommen. Freilich, es ging ein


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