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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und Passiven auf rund eine halbe Million Thaler, Herr Graf. Was meine Person anbetrifft, so möchte ich zurücktreten. Jeder andere geschäftskundige Mann kann jetzt – nachdem die ersten schweren Jahre vorüber sind – die Werke ebensogut leiten wie ich und ist wesentlich billiger zu haben. Ich hatte die Absicht, Ihnen im Fall der Uebernahme Herrn von Alten zu empfehlen. Mich leiten dabei in keiner Weise verwandtschaftliche Rücksichten, obgleich ich ihm natürlich alles Gute wünsche, sondern lediglich die Interessen des künftigen Besitzers. Sie werden übrigens, wie ich hervorheben möchte, die Verwaltungskosten noch sehr einschränken können, Herr Graf, und wenn Sie – ich bitte um Verzeihung! – meinen Vorschlägen folgen wollen, bin ich sicher, Sie werden den Ankauf nie bereuen!“

„Ist es unbescheiden, nach den Gründen Ihres mich allerdings sehr überraschenden Entschlusses zu fragen, Herr Direktor? Nicht Neugierde treibt mich, sondern aufrichtige Theilnahme für Sie. Ich muß Ihnen bekennen, daß ich die Erwerbung der Besitzungen ohne Sie niemals ins Auge gefaßt habe. Gerade Ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten und die Sicherheit, daß die Dinge unter Ihrer Leitung einen durchaus erwünschten Fortgang nehmen würden, ließen den Gedanken in mir aufsteigen, dem ich ja Ihnen gegenüber auch früher schon Ausdruck verlieh.“

Diese Frage brachte Tromholt in große Verlegenheit, was dem scharf beobachtenden Blick Snarres nicht entging. Richard zögerte mit der Autwort, die Lüge widerstrebte ihm, und die volle Wahrheit zu sagen, konnte er sich doch auch nicht entschließen. Endlich, da er fürchten mußte, sein Schweigen könnte von dem Grafen mißdeutet werden, vielleicht sogar den ganzen Kauf in Frage stellen, erwiderte er mit einer Offenheit, die ihn immerhin schwere Ueberwindung kostete:

„Die Gründe, die mir den Aufenthalt in Limforden unmöglich machen, sind rein seelischer, von dem Gang der Werke völlig unabhängiger Natur; sie Ihnen des näheren auseinanderzusetzen, hieße ein Geheimniß preisgeben, das nicht mir allein gehört. Die Erinnerung an ein sehr ernstes, für mein Leben entscheidendes Ereigniß verleidet mir den Ort; ich kann sie bei aller Thätigkeit nicht abstreifen. Lange habe ich dagegen gekämpft, eine Zeitlang glaubte ich, ihrer Herr geworden zu sein, allein sie kehrt wieder, sie würde mich aufreiben, wenn ich ihr nicht entflöhe. Was ich suche, ist Vergessen, und das kann ich, wenn überhaupt, nur in einem fremden Land, in neuen Verhältnissen, in einer andern Lebensstellung finden. Forschen Sie nicht weiter, Herr Graf, lassen Sie sich an diesen Andeutungen genügen, die ich Ihnen gebe und auch Ihnen nur, um jeden Zweifel zu beseitigen, als ob irgend welche andere, vielleicht geschäftliche Gründe meinen Entschluß beeinflußt hätten.“

Snarre horchte hoch auf. Hatte ihm nicht Susanne dasselbe oder doch etwas Aehnliches gesagt, als er sie nach ihren Plänen für die Zukunft gefragt hatte? Ja, sie hatte unverhohlen auf Tromholt als den Mann hingewiesen, dessen Nähe ihr eine Quelle bitteren Selbstvorwurfs sei, den sie gegen ihre bessere Ueberzeugung gekränkt, dessen Achtung sie verscherzt zu haben fürchte. Er erinnerte sich noch genau jedes Wortes, er entsann sich der seltsamen Veränderung in Susannens Wesen nach ihrem letzten Gespräche mit dem Direktor, und es ward ihm klar, daß zwischen ihr und Tromholt irgend welche Beziehung bestehen müsse, und daß Tromholts Entschluß damit zusammenhänge. Er ahnte etwas von einem hochherzigen Verzicht, zu dem eben nur dieser Mann fähig war, und wie er ihn dafür bewunderte, so sagte ihm seine vorurtheilsfreie Einsicht, daß er ihm auch zu Dank verpflichtet sei, daß die Frucht dieses Verzichts ihm, Snarre, zugut komme.

„Tromholt!“ sagte er plötzlich unter dem Eindruck dieser Gefühlsmischung – „Erlauben Sie, daß ich das ‚Herr‘ weglasse und Ihnen die Hand reiche als Ihr Freund! – Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen! Folgen Sie Ihrem Drang, der nur ein edler sein kann! Ich kaufe die Werke und das Gut, und wenn es Ihnen draußen in der Welt einmal, was nie eintreten möge! schlecht gehen sollte, so erinnern Sie sich, daß Ihre Stelle frei ist, und daß Sie mir jederzeit willkommen sind!“ –

Vier Tage nach dieser Unterredung trafen bereits Graf Snarre und Tromholt in Kiel ein und schlossen bei dem Advokaten Justizrath Rendtorff den Kaufvertrag über Limforden und Trollheide ab. Nach den geschäftlichen Auseinandersetzungen hatte Frau Ericius die Herren zu Tische eingeladen. Tromholt lehnte wegen eines leichten Unwohlseins ab, aber Snarre erschien und sah bei dieser Gelegenheit Susanne nach längerer Zeit zum ersten Male wieder. Ihre Begegnung hatte einen sehr herzlichen Charakter. Doch blieb Susanne während des ganzen Essens ernst, obwohl der Graf alle seine Liebenswürdigkeit entfaltete und besonders Frau Ericius ganz für sich einzunehmen wußte.

Er erzählte von seinen Erlebnissen und Reisen in einer eigenthümlichen und von der Vortragsweise der meisten anderen Menschen abweichenden Art, war voll guter Laune und erhob gegen Schluß der Tafel das Champagnerglas, indem er die Bitte aussprach, es möge der Familie gefallen, ihn baldigst in Snarre mit einem Besuch zu beehren, damit die gut begonnene Freundschaft mit dieser Begegnung nicht ihr Ende erreicht habe. Seine Tante, die Gräfin, sei äußerst begierig, auch die gnädige Frau und Fräulein Dina kennenzulernen, und wolle zu diesem Zweck ihren Aufenthalt in Snarre verlängern.

Am andern Tage traten die Betheiligten nochmals zu einer geschäftlichen Rücksprache zusammen, und es wurde die Abrede getroffen, über den geschehenen Verkauf zunächst völliges Stillschweigen zu beobachten, damit nicht Utzlar, wenn er davon erfahre, seine Ansprüche erhöhe. Auch wurden die Einleitungen zu der unmittelbar vorzunehmenden Scheidung zwischen den Ehegatten am folgenden Tage vom Justizrath getroffen und Utzlar ward von letzterem brieflich verständigt, sich unverzüglich in Kiel wegen der damit verbundenen Förmlichkeiten einfinden zu wollen.

Vierzehn Tage später hatte Tromholt sich bereits von allen Beamten, Arbeitern und sonstigen Insassen Limfordens und Trollheides, woselbst Ingeborg von ihm in ihre neue Stellung eingeführt worden war, verabschiedet und seiner Schwester in Hamburg die frohe Nachricht verkündet, daß Alten in seine Stelle getreten sei und ihrer Vermählung nichts mehr im Wege stehe.

Gesegnet von allen, die ihn kannten, betrauert, fast beweint von seinen Untergebenen, ging er von dannen und verließ seinerseits schweren Herzens die Schöpfungen, die unter seiner thatkräftigen und umsichtigen Leitung sich so vorteilhaft entwickelt hatten. Der letzte Gruß, den die Familie Ericius erhielt, kam aus dem hohen Norden, wohin sich Tromholt vorläufig gewandt hatte.

„Ich bleibe zunächst drei Jahre fort,“ hatte er seiner Schwester gesagt, „und wenn Du nichts von mir hörst, denke, daß es mir gut geht! Leb’ wohl! Ich weiß, Ihr werdet glücklich werden!“




10.

Reichlich ein Jahr nach den vorstehend geschilderten Ereignissen saß Dina Ericius vormittags in der inzwischen von ihrer Mutter bezogenen neuen Wohnung am Düsternbroker Weg und vollendete eben einen Brief mit den laut gesprochenen Worten „Gezeichnet: Dina Ericius.“ Sie lachte lustig, dann las sie alles, was sie geschrieben hatte, noch einmal durch und fügte – bisweilen sehr zweifelhaft bezüglich der Richtigkeit und mehr nach Gutdünken als nach Regeln verfahrend – einige Interpunktionszeichen hinzu. Der Brief aber lautete folgendermaßen:

„Meine furchtbar nette Emma!

Endlich, endlich komme ich dazu, Dir den versprochenen Brief zu schreiben! Aber Du glaubst nicht, wie viel ich um die Ohren hatte, und wie oft ich mich daran zupfte wegen der Schande, ein so schlechter Kerl gegen Dich zu sein! Aber gewiß, nun geht’s los, und ich erwarte, daß Du genau aufhorchst, Du ungewöhnlich prachtvolles Mädchen! Erfahre denn, daß in Kiel im Grunde ganz und gar nichts passirt, daß höchstens die an den Kriegsschiffen aufgehängte Wäsche einmal bei starkem Ostwind stärker flattert als gewöhnlich – und o Emma, süßes Kind, laß mich’s Dir gestehen, lange kann ich diese Wäsche nicht mehr aushalten! – Auf dem Düsternbroker Wege bis Bellevue begegnen einem morgens nur der leere Pferdebahnwagen und nachmittags immer dieselben unausstehlichen Menschen, und in der Holstenstraße riecht es meistens so nach Käse, – ich weiß nicht, guter Kakadu, weshalb es gerade immer nach Käse riecht! – daß ich es nicht ertragen kann. Da war es denn zunächst eine artige Einrichtung des Himmels, daß mein Geburtstag kam, an dem denn ja auch Du Deine zierlichen Schwingen regtest und mir Deine Zeilen mit den allerliebsten beiden Tintenflecken sandtest. Daß Du übrigens noch auf dem alten Standpunkt der Briefschreiberei stehst, Anreden machst, wie ‚Meine furchtbar nette Dina‘, Grüße zum Schluß bestellst (Du, dies Grußbestellen kann ich, kann ich, kann ich nicht mehr aushalten) und Tintenklexe entschuldigst, finde ich – gelinde ausgedrückt – empörend. Doch nun wieder zu meinem Geburtstag, ungeduldiges Mädchen! –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_551.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)