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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Von Mama bekam ich ein prachtvolles Sommerkostüm, Kleid, Jackett, Sonnenschirm, Handschuhe, alles in den Farben zusammenpassend, ferner ein Armband, das ich mir schon seit den Zeiten Noahs gewünscht hatte, und einige reizende Nippes nebst Geld. Von Susanne, geschiedener Gräfin von Utzlar, einstens äußerst melancholisch, kopfhängerisch und durchschnittlich unausstehlich, jetzt aber wieder nett, flott und lebenslustig, zwei Gesellschaftsvögel in einem entzückenden Käfig. Höre, furchtbar nette Emma, ein Paar solcher Thiere müßten alle Eheleute im Zimmer haben, damit sie sehen, wie sich ein vermähltes Paar noch nach einundachtzig Jahren benehmen soll. Sie sind von einer Liebenswürdigkeit mit einander, die Amor und Psyche beschämen könnte. Nun, waren Amor und Psyche etwa nicht musterhaft zärtlich, unwissendes Kind? Am Tage darauf machten wir einen Ball beim Oberpräsidenten mit, wo wir auch den berühmten Grafen Esbern-Snarre trafen. Du weißt, den enorm reichen Gutsbesitzer aus Nordschleswig, der unsere Limforder Besitzungen vor einem Jahre gekauft hat und zu dem Susanne damals sich vor Utzlar flüchtete. Er mag, glaube ich, die geschiedene Gräfin sehr gern, wenigstens zeichnete er sie riesig aus, aber er ist auch famos. Höre, Du: den würde ich auch heirathen, sofort, ohne Bedenken, plötzlichst!

Wir sollten schon im vorigen Herbst nach Snarre zum Besuch, da wollte die quesige Susanne nicht. Nun hat uns der Graf, der übrigens einige Male bei uns zu Besuch war, nach unserer Badereise – wir gehen nach Föhr – eingeladen, und ich glaub’, es wird was daraus. Der Ball verlief prachtvoll, fünfzehn Bouquets bekam ich beim Cotillon, aber mein neues Barège war völlig, völlig, völlig hin. Also dreimal hin! –

Mama geht es jetzt wieder sehr gut; nach allen Aufregungen, die nach Papas Tode eintraten, ist es nicht zu verwundern, daß sie sehr angegriffen war.

Unsere Wohnung ist himmlisch, Blick auf den Hafen, alles sehr bequem und macht sich bei Gesellschaften äußerst elegant. Ich habe mein Zimmer nach hinten links; rechts residirt Sannchen, wie der abscheuliche Utzlar mein schönes Schwesterlein immer nannte. Sannchen fährt auf dem Wasser, malt, spaziert, liest, musizirt und ist – ich wiederhole es – zwar viel ernster als früher, aber doch ein lieber, drolliger Kerl. So, nun weiß ich nichts mehr. Schreibe ‚postwendend‘, wie der alte Acht bei Papa immer sagte, und bemühe Dich, so vollkommen zu werden, wie es einer Person angemessen ist, welche die Ehre hat, Freundin genannt zu werden von

gezeichnet
Dina Ericius.

Postsciptum (NB. Jedes vernünftige Mädchen in der Welt macht ein Postscriptum). Ingeborg Elbe hat mir mehrmals geschrieben. Ich freue mich diebisch, sie in Trollheide aufzusuchen. – Direktor Tromholt ist augenblicklich in Island, hat in Kopenhagen ein großartiges Exportgeschäft angefangen.“ –

Was Dina Ericius in dem vorstehenden Briefe ihrer Freundin gemeldet hatte, bestätigte sich, und auch ihre Voraussetzung traf zu, daß die Familie nach Snarre gehen werde. Mitte August, vierzehn Tage nach der Rückkehr von Föhr, befanden sich alle drei auf dem Gute des gastlichen Grafen.

An demselben Tag war in Limforden ein Brief von Richard Tromholt aus Kopenhagen eingelaufen. Während sich Herr von Alten und seine junge Frau noch über dessen im allgemeinen erfreulichen Inhalt unterhielten, traf der alte Peter Elbe schier athemlos und in größter Erregung mit der Nachricht bei ihnen ein, daß seine Tochter Ingeborg seit gestern von Trollheide verschwunden und trotz aller Nachforschung weder dort, noch in der näheren Umgebung zu finden sei. Seine letzte Hoffnung sei gewesen, dieselbe möge nach Limforden geflohen sein, da sie schon seit einiger Zeit durch die Nachricht von Larsens Rückkehr in große Angst versetzt wäre. Nun aber könne er nur einen neuen Gewaltstreich des Kapitäns als die Ursache ihres plötzlichen Verschwindens vermuthen, zumal dieser, wie er, Peter Elbe, erfahren, geschworen habe, sich an dem Mädchen rächen zu wollen. Alten war selbst tief bestürzt, da ihm sein Schwager vor seiner Abreise das Wohl des Mädchens noch ganz besonders ans Herz gelegt hatte, aber er verbarg die eigene Sorge, um den Alten, den Schmerz und Angst ohnehin ganz kopflos gemacht hatten, nicht noch mehr aus der Fassung zu bringen. Vielmehr sprach er ihm Muth zu, und beide machten sich sofort auf den Weg, um mit Hilfe der Behörden die Spur der Vermißten weiter zu verfolgen.

Die Ursachen dieses rätselhaften Verschwindens waren folgende:

Ingeborg wußte seit acht Tagen, daß Larsen wieder in Kiel sei. Eine beständige Unruhe quälte sie seitdem, das unheimliche Gefühl einer ihr drohenden Gefahr. Bis dahin jedoch war alles ruhig geblieben. Da, während die Arbeiter und auch ihr Vater draußen in den Mooren beschäftigt waren und sie selbst in ihrem Stübchen an dem auf den Garten gehenden Fenster saß, hörte sie plötzlich drunten eine flehende Stimme: „Ingeborg!“ Er war es, der unter den Bäumen stand, aber ehe er noch ein weiteres Wort sagen konnte, hatte sie, von namenlosem Entsetzen erfaßt, das Fenster zugeschlagen, die Hausthür verriegelt und sich auf den obersten Boden des Hauses geflüchtet, von wo sie durch eine Dachluke den weiteren Unternehmungen des Kapitäns mit steigender Angst zusah.

Larsen, der vergeblich an der Thür gerüttelt und seinen Ruf erst demüthig flehend, dann immer zorniger wiederholt hatte, schlug zuletzt das Fenster ein. „Nun, kommst Du?“ rief er nochmals, „oder soll ich zu Dir kommen?“

Sie sah sich verloren, in seiner Gewalt, wenn er sein Vorhaben durchsetzte. Nur eine Rettung noch gab es für sie. „Nun gut; ich komme,“ rief sie hinunter, und dann blitzschnell die Treppe hinabeilend, öffnete sie eines der nach dem Hof gehenden Fenster, schwang sich hinaus, erreichte glücklich den Boden und eilte nun mit Sturmeseile dem Hauptgebäude des Gutes und, als auch dort alles öd und verlassen war, weiter durchs Thor, auf dem Fahrweg den Mooren zu. Gott sei Dank, da stand ein Wagen!

„Retten Sie mich!“ schrie Ingeborg, auf den Fuhrmann zustürzend.

„Guten Abend, Fräulein Elbe! Wohin denn so eilig?“ hub dieser an. Es war kein anderer als der rothe Jeppe, den man eben, da ihm die Brandstiftung schließlich doch nicht sicher nachzuweisen gewesen war, aus längerer Untersuchungshaft entlassen hatte.

Während er sprach, reichte er ihr scheinbar gutmüthig die Hand hin, in die sie vertrauend und nur auf ihre Rettung bedacht einschlug.

„Fahren Sie mich nach den Mooren!“ hauchte sie, „aber schnell, ehe – –“ In diesem Augenblick stürzte jedoch Larsen, durch einen Pfiff Jeppes aufmerksam gemacht, herbei. „Halte sie nur fest, Jeppe!“ schrie er schon von fern. Ingeborg sah zu spät, daß sie in eine Falle gerathen war; ein sehr ungleiches Ringen begann, denn der Mann war stärker als sie und umspannte mit eisernem Griff ihre Handknöchel.

„Nur ruhig!“ höhnte Jeppe, als sie verzweifelt um Hilfe schrie, „das Schreien nützt Ihnen nichts!“ Und im nächsten Augenblick hatte ihr Larsen ein Tuch um den Mund gebunden und ihre Hände geknebelt. Nun schleppte er die völlig Wehrlose in den Wagen hinein, Jeppe sprang auf den Bock, und davon ging’s in sausendem Galopp.

Ueber die Moorheide goß eben die Abendsonne ihre letzten Strahlen und gab der Gegend ein tief melancholisches Gepräge. Aus einem Wiesensumpf am Wege ertönte das Quaken der Frösche, dazwischen ein heimliches Zirpen kleiner in dem Grase und Moose verborgener Geschöpfe. Leichte Dämmerung lag wie ein zarter Nebelrauch zwischen dem silbernen Monde und der schlummernden Erde. Der stille Friede der Natur stand in seltsamem Gegensatz zu dem in rasender Hast dahinrollenden Fuhrwerk und den von Angst oder Leidenschaft bewegten Herzen seiner Insassen.

Nachdem sie eine Stunde gefahren waren, ließ Larsen halten, löste das Tuch, das er um Ingeborgs Mund geschlungen hatte, und redete auf sie ein.

„In kurzer Zeit sind wir am Heidekrug,“ hub er an. „Wir kehren dort ein und ich will mit Dir reden ohne Zeugen. – Ich habe nur zwei Fragen an Dich, und hast Du sie beantwortet, gebe ich Dich frei. Vorher aber verpfände mir Dein Wort, daß Du niemand mittheilen wirst, was geschehen ist, weder denen im Wirthshaus, noch Deinem Anhang in Trollheide.“

Ingeborg lag da mit ihren großen, schmerzbewegten Augen wie ein Schlachtopfer. Am liebsten hätte sie dem Menschen, der es nun zum zweiten Male gewagt hatte, sie wie ein Thier zu knebeln, ein Messer in die Brust gestoßen. Sie haßte ihn mit der ganzen Kraft ihrer Seele, aber sie setzte die Klugheit über ihr heißdrängendes Blut und sagte mit finsterem Blick:

„Schwören Sie mir, daß Sie Ihr Wort halten – dann will ich thun, was Sie fordern.“

Ich halte mein Wort, eines Schwurs bedarf es nicht. So, ich löse Dir die Hände. Setze Dich zu mir auf den Sitz und gieb

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