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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

12.

An einem Vormittag der zweiten Woche nach dem Eintreffen der Familie Ericius machte sich Alten, um geschäftliche Angelegenheiten mit dem Grafen zu ordnen, nach Snarre auf den Weg. Seine Frau sollte auf des letzteren Wunsch später nachfolgen. Es waren Anfragen wegen sehr bedeutender Bretterlieferungen aus Hamburg eingegangen, und ein Zwischenhändler wünschte in Anbetracht des ungewöhnlich großen Postens eine Ermäßigung des angesetzten Preises. Auch hatte ein Geschäftsmann in Fünen wegen Lieferung von einigen Millionen Trollheider Torf angefragt, und es schien vielleicht erforderlich, mit diesem persönlich zu verhandeln.

Graf Snarre, der einen stark ausgeprägten Erwerbssinn besaß, nahm dergleichen Meldungen stets mit sehr willigem Ohr auf.

Als Alten auf den Schloßhof von Snarre fuhr, sah er vor der Schloßtreppe zwei gesattelte Reitpferde, die der Stallknecht langsam auf und ab führte, und nun eben trat Graf Snarre mit Dina Ericius aus der Halle heraus.

„Ah, lieber Direktor!“ rief der Graf freundlich, als er Altens ansichtig wurde. „Ich hole Ihre Verzeihung ein, daß ich gegen unsere Abrede nicht gleich zu Ihrer Verfügung sein kann. Bitte, machen Sie sich’s in der Bibliothek bequem, Morten wird Frühstuck auftragen – gestatten Sie, daß ich nach der Rückkehr mit Ihnen über unsere Geschäfte plaudere. Ich muß“ – dieses Wort betonte Snarre und sah lächelnd auf Dina, die mit erwartungsvollen Augen dastand – „mit Fräulein Ericius nach der Kegler Höhe reiten. Sie will’s, sie hat’s befohlen, und da ist nichts, nichts zu machen!“

Mit einem schelmischen Seitenblick belohnte das junge Mädchen Snarres artige Rede, auf welche Alten mit einem ehrerbietigen: „Ich bitte gehorsamst, Herr Graf,“ erwiderte. Und nun fügte auch Dina eine von einem warmen Händedruck begleitete Entschuldigung wegen der durch sie hervorgerufenen Aenderung der Abrede hinzu.

Als jene fortgeritten waren, erfuhr Alten von Morten, daß Susanne wegen einer Unpäßlichkeit das Zimmer hüten müsse, und daß sie am heutigen Tage vielleicht überhaupt nicht erscheinen werde.

Inzwischen trabten Graf Snarre und Dina über den guterhaltenen Landweg ihrem Ziele zu. Das Mädchen sah mit ihren gesunden Farben reizend aus. Die Freude an dem Ausflug strahlte aus ihren Augen und Mienen, und je schärfer die Thiere ausholten, desto größeres Vergnügen legte sie an den Tag.

„Ah!“ rief sie. „Reiten, Reiten ist himmlisch! – Ich möchte schon deshalb immer auf dem Lande leben!“

Bei diesen Worten ging ein lebensprühender Athem aus ihrem Munde, und ihre leichten, elastischen Bewegungen verriethen die Gesundheit ihres Körpers und die unverdorbene Fröhlichkeit ihrer Seele.

Snarre sah auf seine vergnügte Nachbarin und fühlte sich in besonderer Weise von ihr angezogen. Und weil er das Bedürfniß fühlte, ein längeres Gespräch zu beginnen, schlug er vor, das Tempo zu mäßigen und die bereits warm gewordenen Thiere im Schritt gehen zu lassen.

„Sie würden aber doch mancherlei entbehren –“ begann er, an das früher Gesagte anknüpfend – „wenn Sie den Aufenthalt in der Stadt gegen das Land vertauschten. Rechte Abwechselung kann nur jener bieten, und ich denke mir, daß eben Sie sich nicht in einem einförmigen und geräuschlosen Leben glücklich fühlen würden.“

„Doch – wenn ich liebe Menschen um mich hätte, wäre mir jeder Ort recht. Nur einigen kleinen Liebhabereien vermag ich nicht zu entsagen; die kann ich nicht entbehren. Ich liebe leidenschaftlich Hunde, Apfelsinen und, recht lange in einem weichen, warmen Bette zu schlafen.“

Snarre lachte über diese sonderbare Zusammenstellung laut auf, aber dies Durcheinander und die kindliche Art, in der es vorgebracht wurde, machten ihm außerordentliches Vergnügen.

„So? Also das würde genügen?“ forschte er neckend. „Welche Hunderasse, wenn ich bitten darf – und welche Apfelsinen?“

„Ich schwärme für Teckel – und die Apfelsinen müssen in Messina, gleich links auf dem Berge der Glückseligen, gewachsen sein.“

„Hm! –“ machte Snarre, sichtlich belustigt. „Und wie müßten die Menschen aussehen? Welche Eigenschaften wären an ihnen erforderlich?“

„Natürlich müssen sie,“ ging’s rasch aus Dinas Munde, „in erster Linie gut und lustig sein und, wenn möglich, auch hübsch. Ich kann mir nicht helfen: für häßliche Menschen vermag ich mich nun einmal nicht zu begeistern.“

„Da werden Sie also Ihre Frau Schwester sehr lieb haben?“

„Ja –! Nicht wahr, sie ist sehr hübsch, die verflossene Utzlar?“ platzte Dina drollig heraus.

„Wie Sie das sagen! Ich sehe schon, daß Ihnen sehr viele Kobolde im Nacken sitzen. Man muß sich vor Ihrem Spott hüten!“

„Nein!“ entgegnete Dina treuherzig. „Ich mag niemand wehethun, und wenn ich einmal jemand liebhabe, wie zum Beispiel die arme Ingeborg Elbe, bringe ich ihm gern jedes Opfer.“ –

„Beneidenswert also, von Ihnen geliebt zu werden!“

Dina bewegte verlegen den Kopf und suchte mit der Reitgerte ihrem Fuchs eine Fliege zu verscheuchen. Dann sagte sie:

„Nein – ich glaube nicht, denn ich bin sehr anspruchsvoll. Ich gebe alles was ich zu geben vermag, aber ich verlange auch viel!“

„Eigentlich ganz in der Ordnung!“

„Ja, so sollte man meinen. Aber ich sah’s doch bei Susannen, wie schwer es ist, daß Menschen zusammenpassen. – Ich begreife nicht, daß sie Utzlar nicht schon früher durchgebrannt ist.“

Dies Wort befremdete Snarre, und doch fand er, daß es ganz zu Dina passe. In der Anwendung solcher burschikosen Redensarten, die sie auf den Bällen von den Studenten gehört haben mochte, lag noch etwas Unverdorbenes, das ihn anzog. Aber er sagte doch: „Das ist kein hübsches Wort, mit Verlaub, Fräulein Dina!“

„Ne! Ist’s auch nicht“ – gab sie kurz und harmlos zurück. „Mama schilt fortwährend, daß ich noch – wie sie sagt – so jungenhaft bin. Ich möchte manches gern abstreifen, aber ich habe so wenig Talent zu gewissen Tugenden. Danke übrigens, Herr Graf, daß Sie mich ein wenig erziehen! Von Ihnen mag ich’s gern hören.“

„Das ist ja eine große Schmeichelei für mich! Ich stand eigentlich unter dem Eindruck, daß Sie nur Ihrer Schwester zu liebe mit nach Snarre gekommen seien.“

Dina sah den Grafen mit großen Augen an. „Der verflossenen Utzlar zuliebe –?“ stieß sie dann mit spitzem Munde und mit ihren reizenden Schmolllippen heraus. „Ne – ich kam doch, weil – weil –“

„Nun?“

„Weil Sie uns alle in so liebenswürdiger Weise eingeladen haben und weil …“ Jetzt erröthete sie.

„Weil –?“ fragte Snarre eindringlich und im Augenblick ganz bezaubert von dem Wesen des Kindes.

Dina zuckte die Schultern und hielt die Augen gesenkt. Es stand darin: „Bitte, frage mich nicht!“

Nun ritten sie eine Weile stumm neben einander her. Aus dem Gebüsch der Wälle drängten sich die anmuthig geformten Blüthen des Geißblatts, und zahlreiche schon zur Härte ansetzende Haselnüsse kämpften sich auf den grünen Kelchen hervor. Ein Rothkehlchen saß auf einem schwankenden Zweige, und zwischen dem Laub haschten sich mit zankendem Zwitschern andere kleine Vögel.

Da der Weg eben eine Biegung machte, befanden sich Snarre und Dina hier gleichsam abgeschlossen von der Welt. Die hohen Knicke verhinderten einen freien Blick über die Gegend.

Jetzt hob Snarre wieder an und sagte: „Sie äußerten vorhin, daß Sie gute und lustige Menschen besonders lieben. Ich kenne zwei Personen, von denen ich weiß, daß Sie beiden sehr zugethan sind, und die doch sehr ernste Naturen sind. Also die fröhliche Laune muß nicht allein den Ausschlag geben!?“

„Nun, und wen, Herr Graf?“

„Tromholt und Ingeborg Elbe.“ –

„Ja, Sie haben recht. Aber eben diese Eigenschaft entbehre ich auch an ihnen. Freilich –“

„Freilich?“

„Beide haben Ursache, ernst zu sein. Wenn die Verhältnisse anders liegen würden, wären sie auch gewiß lebensfroher. Tromholt liebte meine Schwester, und sie ließ ihn ablaufen – ah, da brauche ich wieder einmal einen so häßlichen Ausdruck; verzeihen Sie! – und Ingeborg Elbe – na, bei der ist’s doch auch etwas mit dem Herzen. Der Larsen muß ein gräßlicher Mensch sein!“

Snarre, der absichtlich dem Gespräch diese Wendung gegeben hatte, hörte die ersten, aber kaum die letzten Worte, nickte mit dem Kopfe und sagte dann, gleichsam nur um etwas zu erwidern:

„Und Ihre Schwester hat ihre Ablehnung nie bereut – glauben Sie?“


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