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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Ja, ich weiß nicht; ich werde aus Susanne nicht recht klug,“ gab Dina treuherzig zurück. „Neuerdings“ – nun stockte sie, da sie sich der Bedeutung ihrer Worte bewußt wurde – „neuerdings kommt’s mir so vor, als ob sie – ob, sie –“ Und dann fügte sie mit fast kindlicher Auflehnung hinzu: „Ach, das kann ich Ihnen ja nicht so sagen.“

„Weshalb nicht, da mich doch alles, was die Ihrigen betrifft, sehr lebhaft berührt, Fräulein Dina?“

„Nun ja – ich meine – ich glaube, daß Susanne jetzt bereut, daß sie Tromholt nicht geheirathet hat, daß sie ihn – jetzt – obgleich –“

„Sie wollen mir nicht alles sagen?“ forschte Snarre und griff, da in diesem Augenblick zufällig Dinas Fuchs mit den Vorderbeinen stolperte und den Staub der Landstraße hoch aufwirbelte, dem Pferde mit rascher Bewegung in den Zügel.

Aber durch diesen Zwischenfall ward das Gespräch unterbrochen, und es fand sich später keine rechte Gelegenheit, es wieder auf das Gebiet vertraulicher Eröffnungen zurückzuführen.

Snarre aber sah bestätigt, was er gefürchtet hatte: Susanne war mit ihren Gedanken bei Tromholt, und er hatte nichts von ihr zu hoffen. –

Als Snarre und Dina auf das Gut zurückkehrten, wurde dem ersteren mitgetheilt, daß Frau von Alten schon eingetroffen sei und sich mit den übrigen Damen zu Susanne begeben habe, die Herren aber im Billardzimmer bei einer Partie beschäftigt seien.

Morten hatte jedoch noch etwas anderes mitzutheilen, und dies erregte den Grafen im höchsten Grade. Aus Trollheide war die Nachricht eingetroffen, daß der alte Elbe mit Larsen in Mückern zusammengetroffen sei, und daß zwischen ihnen ein Kampf auf Leben und Tod stattgefunden habe. Elbe liege schwer verwundet danieder, und sein Zustand gebe zur größten Besorgniß Veranlassung.

Snarre schüttelte mißmuthig den Kopf. Immer war etwas, jeden Tag! Seitdem er die Ericiusschen Besitzungen übernommen, hatte es kaum eine Woche gegeben, in der Alten nicht über Widerspenstigkeit oder Krankheit der Arbeiter, Beschädigung und dadurch hervorgerufenen zeitweiligen Stillstand der Maschinen, Ungelegenheiten bei den Frachtverladungen, geschäftliche Verdrießlichkeiten mit der Kundschaft oder sonstige Unliebsamkeiten zu berichten gehabt hatte.

Freilich, das war einmal nicht anders in großen Geschäftsbetrieben, aber Snarre stand doch bisweilen unter dem Eindruck, als ob er besser gethan hätte, sich auf die ganze Sache nicht einzulassen. Zudem wurden seine eigentlich und ursprünglich damit verbundenen Zwecke nicht erreicht!

Durch das Gespräch mit Dina war’s ihm nun beinah zur Gewißheit geworden, daß Susannens Liebe zu erwerben ein ganz vergebliches Bemühen sein werde.

So kam er denn in recht gedrückter Stimmung zu Tisch, die noch verschlimmert wurde, als sich Susanne auch für den übrigen Theil des Tages entschuldigen ließ. Die Fröhlichkeit in dem kleinen Kreise war künstlich, ja, es ruhte ein so ungemüthlicher Druck auf der Gesellschaft, daß Alten nach Tisch und nach Erledigung seiner Geschäfte mit dem Grafen Bianca beiseite zog und ihr zuflüsterte, sie möge ein Kopfweh vorschützen, damit sie sich entfernen könnten.

„Eine verdammt hochmüthige Art ist einmal diesen Hochgebornen eigen und von ihnen unzertrennlich –“ stieß er, seiner leichtbereiten scharfen Kritik nachgebend, heraus. „Snarre macht mich fast verantwortlich, daß der alte heißblütige Elbe Larsen an die Kehle gesprungen ist, auch benutzte er die Gelegenheit, sich über die ‚fortwährenden Verdrießlichkeiten‘, die ihm die Werke bereiteten, auszulassen. Wenn ich nicht auch gute Nachrichten in der Tasche gehabt hätte, würde er mir womöglich schon heute einen Vierspänner zur Verfügung gestellt haben, um anderweitig mein Glück zu versuchen.“

Aber Bianca redete ihrem leicht aufbrausenden Manne zu: „Ueberall ist etwas, Lieber! Beruhige Dich! Morgen wirst Du die Dinge in einem anderen Lichte ansehen, und wer weiß, was den Grafen beschäftigt! Vielleicht hängt’s mit Susanne zusammen! Ja, ich glaube es fast. – Denke also, Du seiest gar nicht gemeint, und nimm die Sache unpersönlich. – Im großen und ganzen mußt Du doch einräumen, daß der Graf in Anbetracht der Standesvorurtheile, in denen er aufgewachsen ist, ein unbefangen denkender und liebenswürdiger Mann ist. Er giebt sich, wie er ist, und hat niemals Hintergedanken.“

Aber Alten bestand doch auf seinem Willen. „Glaube mir, Bianca, es ist besser, wir gehen! Ich kenne den Grafen. Gerade, weil ihn möglicherweise diese Dinge beschäftigen, möchte er mit sich allein sein. Wenn wir gehen, ziehen sich die übrigen sicher schon vor dem Abendessen zurück, und das entspricht seinen Wünschen.“

Und so geschah’s denn, wie Alten wollte, und Graf Snarre machte auch nur äußerlich Einwendungen.


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Zu Snarres Freude war Susanne schon am nächstfolgenden Tage wiederhergestellt und schien sogar an guter Laune gewonnen zu haben. Die nächste Zeit verlief in angenehmster Weise, und gegen Ende der Woche entsprachen Susanne und Dina auch einer Einladung Altens zu einem Besuch in Trollheide, wohin sich derselbe wegen der eingetretenen Vorkommnisse begeben hatte. Die Ericiusschen Damen kannten den Besitz eigentlich nur vom Hörensagen und waren sehr gespannt, das frühere Eigenthum ihres Vaters kennenzulernen. Dina ward noch von dem besonderen Wunsch geleitet, ihre arme, inzwischen aus dem Heidewirthshaus nach Trollheide hinübergeschaffte Freundin Ingeborg wiederzusehen. Deren Zustand war indessen noch immer derart, daß man ihr das in Mückern Vorgefallene hatte verheimlichen müssen.

Graf Snarre benutzte die Abwesenheit der jungen Damen, um selbst in die Umgegend zu fahren und eine Anzahl befreundeter Familien zu einem Balle einzuladen. Mit einem solchen wollte er Susanne und Dina überraschen. Er hatte deshalb auch den Wünschen seiner Gäste ein bereitwilliges Ohr geliehen, und es war die Abrede getroffen, daß die Rückkehr am Spätnachmittage des zweiten Tages erfolgen und der Graf die Damen aus Limforden abholen sollte.

Alles verlief nach Abrede. Mit einem Vierergespann fuhren Susanne und Dina morgens in der Frühe nach Limforden ab und machten sich, nach einem dort eingenommenen Frühstück, in Begleitung Biancas nach Trollheide auf den Weg.

Als sie durch die sonnenbeleuchtete Herbstlandschaft fuhren, wurden Biancas Erinnerungen an ihren Bruder sehr lebhaft; sie erzählte auch viel von ihm und dem damaligen Aufenthalt, und Susanne hörte ihrem Bericht mit größter Aufmerksamkeit zu. Neben dem Bedürfniß, über Richard zu sprechen, leitete Bianca heute einmal der Wunsch, den Eindruck ihrer Worte auf Susanne zu beobachten, und sie erreichte, was sie beabsichtigte.

Kurz vor Mittag und noch vor Ankunft der Damen in Trollheide trat eine unerträglich schwüle Luft ein. Am Himmel thürmten sich dunkle Wolkengebilde auf, und ein heißer Wind fuhr in kurzen Absätzen über die langgedehnten Moorstrecken.

Da Bianca einen stärkeren Regenniedergang fürchtete, hieß sie den Kutscher möglichst schnell fahren, und es gelang auch, Trollheide ohne Fährlichkeiten zu erreichen.

Alten stand bei ihrer Ankunft auf dem Hofe und schwenkte ein weißes Tuch:

„Willkommen, willkommen in Trollheide, meine sehr verehrten Damen!“ rief er fröhlich. „Ihr Erscheinen vertreibt mit einem Schlage alle Trübsal. Bitte, die Zimmer im Hause sind in stand gesetzt, und das Essen wird sogleich aufgetragen werden. – Der Himmel? Nein, der thut uns heute nichts, denke ich. Ich rechne sogar sehr darauf, daß wir am Nachmittage auf die Moore hinausfahren, und Fräulein Elbe – allerdings, es geht etwas besser, wenigstens so gut, daß sie für kurze Zeit Menschen sehen kann, – hofft sehr auf Ihren freundlichen Besuch.“

Nach dem Mittagessen begaben sich die Damen zunächst zu Ingeborg. Das Wiedersehen mit der Kranken, die matt und bleich im Lehnstuhl saß, war ein sehr bewegtes.

Dina ward durch das veränderte Aussehen der Freundin so ergriffen, daß ihr wiederholt Thränen in die Augen traten. Es schien, als sei das arme Mädchen völlig geknickt; von der schönen Ingeborg war nur der Schatten zurückgeblieben.

Noch immer stand Larsens Bild wie ein Schreckgespenst vor ihrer Seele, ja neuerdings trat es sogar zeitweise wie körperhaft vor ihr Auge, sodaß sie plötzlich laut aufschrie und nach Hilfe für sich und ihren Vater begehrte. Diese Anfälle schrieben sich von dem Tag ihres ersten auf Anraten des Arztes unternommenen Ausganges her. Nur wenige Schritte hatte sie ohne Begleitung im Garten gemacht, als sie bleich und zitternd zurückkehrte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_559.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)