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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


schleunigst an Land schwamm. Gleichzeitig hatte der Nichtschwimmer aber mich am Bein gefaßt, weshalb ich noch weiter nach unten schwamm, selbstverständlich losgelassen wurde und nunmehr den Nichtschwimmer richtig faßte und schließlich rettete. Trotz der vermeintlichen Schwierigkeit bei dieser umständlichen Rettung war die „Tollkühnheit“ hier in ebendem Maße angebracht, als wenn man nur mit einem Menschen zu thun gehabt hätte. Nur immer besonnen, so wird jede Rettung gelingen! Mir kam in diesem Falle der Glücksumstand zu statten, daß der eine in Gefahr Befindliche nach seiner Befreiung vom andern selbst nach dem Lande schwimmen konnte. Aber selbst, wenn es zwei Nichtschwimmer gewesen wären, würde ich fast genau ebenso gehandelt haben; d.h., da es unmöglich ist, zwei ‚wilde‘ Menschen zu gleicher Zeit zu retten, so müßte man diese erst trennen, den einen nach dem Lande bringen, dann zurückkehren, um zu versuchen, auch noch den andern zu retten. Ist dies ohne Erfolg, nun, dann hat man gethan, soviel man konnte, und besser, nur ein Leben verloren, als zwei oder gar, mit dem des Retters, drei!“

Herr Müller schließt seine Ausführungen:

„Es ist zwar vortheilhaft, sich im Retten nach einer leichten, bestimmten Manier zu üben, aber man mache bei eintretenden Fällen sich darauf gefaßt, die Rettung trotz entgegenstehender Hindernisse auszuführen, selbst wenn diese unüberwindlich scheinen. Hier ist dann Geistesgegenwart und rasche Entschließung am Platz. Ich könnte ausgeführte Rettungen bekannt geben, bei denen mich die Zuschauer für verloren hielten und bei denen alle Theorie von dem Verhalten des Menschen im Wasser – – grau war. Die Erfahrung ist daher auch beim Retten der beste Lehrmeister.

Das Bewußtsein, einen Ertrinkenden retten zu können, und zweckentsprechendes Handeln im Wasser leisten die sicherste Bürgschaft für das Gelingen der Rettung. Es ist einfach unmöglich, daß der Retter ertrinken kann – vorausgesetzt, daß ihm nichts Außergewöhnliches zustoßt, – solange er Geistesgegenwart besitzt und es nur mit einem, selbst einem wild um sich schlagenden Menschen zu thun hat.

Würde das Schwimmen die Verbreitung schon gefunden haben, die ihm eigentlich gebührt, so würden Unglücksfälle im Wasser zu den Seltenheiten gehören; denn einestheils könnten die Betroffenen häufiger selbst sich helfen, anderntheils wären im Nothfalle mehr Schwimmer vorhanden, um die in der Gefahr des Ertrinkens Schwebenden zu retten. Solange aber das Schwimmen nicht Allgemeingut der Menschheit ist, ist es die Aufgabe der Schwimmer, ihren Mitmenschen die Wohlthaten und Vortheile desselben vor Augen zu führen. Recht dankenswerth ist darum das Bestreben der Schwimmvereine, durch jährlich stattfindende Wettschwimmen und Schwimmfeste das größere Publikum für das Schwimmen zu gewinnen, wie auch diese Vereine den Söhnen unbemittelter Eltern unentgeltlichen Schwimmunterricht ertheilen lassen. Die Schwimmvereine haben sich hauptsächlich in den letzten zwanzig Jahren stark vermehrt. –

Was die Thätigkeit der Samariterschulen anbelangt, so erwähne ich, daß in Hamburg ein Verein besteht, – wohl der einzige seiner Art in Deutschland – welcher ähnliche Zwecke verfolgt. Derselbe führt den Namen ‚Sanitäts-Schwimmverein Hamburg‘ und hat sich die Aufgabe gestellt, seine Mitglieder im Schwimmen, Tauchen, Retten etc. soweit auszubilden, daß sie imstande sind, mit Sicherheit, ohne Gefahr für ihre eigene Person, einen in Wassersgefahr befindlichen Menschen selbst in schwierigen Fällen retten zu können. Gleichzeitig erhalten die Mitglieder dieses Vereins monatlich mündliche Belehrungen durch den Vereinsarzt Dr. med. Doering zu Hamburg über die erste Hilfeleistung bei ertrunkenen Scheintodten, wobei die erforderlichen Handgriffe praktisch an Mitgliedern geübt werden. Die Bildung ähnlicher Vereine in anderen Städten wäre wohl zu empfehlen.“




Madonna im Rosenhag.
Roman von Reinhold Ortmann.
(Schluß.)


Als Marie nach der Entfernung der Aufwärterin den Blick in das Zimmer zurückwandte, sah sie, daß Hudetz sich wieder aufgerichtet hatte. Sein Antlitz war ganz dasjenige eines Todten, und seine graue Blässe erschien doppelt unheimlich in der Umrahmung durch das wirre dunkle Haar.

„O, sie werden kommen,“ sagte er leise wie im Ton einer geheimnißvollen Mittheilung, „mir ist es, als hörte ich schon ihre heranschleichenhen Tritte. Aber ich fürchte mich nicht mehr, denn ich bin unter Deinem Schutz.“

„Sie haben hier in der That nichts zu besorgen, Herr Hudetz,“ entgegnete Marie, mit muthiger Kraft ihr Grausen überwindend; „aber erkennen Sie mich denn nicht? – Ich bin Ihre ehemalige Nachbarin, Marie van Brenckendorf.“

Ein Lächeln, ein schwärmerisch verzücktes Lächeln huschte um seine blutlosen Lippen.

„Ja, ich kenne Dich, Marie,“ flüsterte er, „denn Du bist meine Zuflucht gewesen und meine Hilfe in der höchsten Noth. Deine Engel breiteten ihre Flügel über mich, als ich meine Hand ausstreckte nach Deinem Bilde, sie schlugen die Augen der Wächter mit Blindheit und nahmen ihnen die Kraft, mich zu halten. ‚Ergreift ihn!‘ riefen sie mir nach. ‚Haltet ihn, den Dieb!‘ Aber eine Wolke nahm mich auf und führte mich davon vor ihren Blicken. Wie hätte mir auch ein Leid geschehen können, da ich Dich unter meinem Mantel trug!“

Er sprach bald zu Marie, bald zu dem Bilde vor dem Spiegel; aber seine letzten Worte waren undeutlich und lallend, wie wenn ihn selbst die Kraft zu reden allgemach verließe.

„Stehen Sie auf!“ bat Marie dringend, von der furchtbaren Enthüllung, die ihr aus seinen wirren, schwärmerischen Phantasien geworden war, mit neuem Entsetzen erfüllt. „Sie haben meine Gastfreundschaft in Anspruch genommen und ich verweigere sie Ihnen nicht. Aber Sie müssen nun auch thun, um was ich Sie ersuche. Sie sind krank und dürfen sich nicht aufregen! Sind Sie imstande, ohne Hilfe das Sofa zu erreichen?“

„Krank!“ murmelte er, indem er sich mit äußerster Anstrengung erhob und taumelnd die wenigen Schritte bis zu dem Ruhebette that. Nein, ich bin nicht krank! – Aber der Böse war hinter mir – der Böse in der Gestalt eines Weibes, jenes schrecklichen Weibes aus dem Museum. O, ich sah es wohl, daß es mich verfolgte, kreuz und quer durch alle Straßen. Wohin ich ging, immer war es hinter mir, das schreckliche Gesicht. Und ein Schatten war neben dem Weibe, ein furchtbarer, schwarzer Schatten, der streckte seine Riesenarme nach mir aus und würgte mich – würgte mich – o, er wußte wohl, daß ich den Talisman nicht mehr besaß, der mich beschützte. Und aus den Ritzen des Pflasters ringsum mich her züngelten gelbe Flammen, große feurige Räder drehten sich in der Luft, und es war ein Brausen und Zischen und Donnern wie am Tag des Gerichts. Da rief mir eine Stimme vom Himmel: ‚Wohin gehst Du, Verblendeter? – Bei ihr – bei Marie ist die Rettung – die Rettung – und – die – Gnade‘ –“

Seine Rede endete in einem Röcheln, seine Augen schlossen sich und sein Kopf fiel schwer auf die Lehne des Sofas nieder.

„Barmherziger Gott, er stirbt – stirbt in meinem Zimmer!“ dachte Marie, „und ich habe niemand, der mir beisteht.“

Sie wagte kaum, sich von ihrem Plätze zu rühren, aus Furcht, daß das Geräusch den Kranken aus der Betäubung wecken und seine schrecklichen Phantasien von neuem heraufbeschwören könnte. Minute auf Minute verharrte sie regungslos, bis endlich draußen die Stimme der Aufwärterin laut wurde, die mit dem rasch gefundenen Arzte zurückkehrte. Der letztere trat sofort an den Kranken heran, prüfte seinen Puls, seinen Herzschlag und richtete unterdessen einige kurze Fragen an Marie. Mit einem Kopfschütteln wandte er sich endlich von dem Sofa ab.

„Der Patient liegt in tiefer Bewußtlosigkeit,“ sagte er, „und um die eigentliche Ursache seines Zustandes festzustellen, müßte ich ihn viel genauer untersuchen. Aber ich halte diese Untersuchung für überflüssig, denn – ich muß mich offen aussprechen, mein Fräulein – seine Lebensgeister sind unzweifelhaft im Erlöschen.“

Marie fühlte, wie ihre Kniee zitterten; aber sie war doch noch stark genug, dem Arzt ihr Erschrecken zu verbergen.

„Sie glauben also, daß – daß er sterben muß?“

„Ein Erschöpfungszustand wie der seinige spottet aller ärztlichen Kunst. Ob eine Krankheit des Gehirns oder lang andauernde Entbehrungen oder vielleicht auch – wie gewisse Anzeichen mich vermuthen lassen – eine hochgradige Alkoholvergiftung diese Erschöpfung herbeigeführt haben, vermag ich wie gesagt nach oberflächlicher Untersuchung nicht festzustellen. Jedenfalls ist es am gerathensten, sich jeglichen Eingriffs zu enthalten. Die größte Wohlthat, die man dem Unglücklichen noch gewähren kann, ist die, ihm ein sanftes, unbewußtes Hinüberschlummern zu vergönnen.“

„Und man kann nichts zu seiner Erleichterung thun – kann keinen Versuch machen, ihn zu retten?“

Der Arzt zuckte mit den Achseln.

„Ich habe Ihnen denjenigen Vorschlag gemacht, welchen die Menschlichkeit mir eingiebt. Alle Belebungsmittel, die ich dem Leidenden einflößen könnte, eine bloße Umbettung oder gar die Beförderung an einen andern Ort würden ihn wahrscheinlich aus seiner wohlthätigen Ohnmacht wecken und neue, vielleicht sehr qualvolle Delirien zur Folge haben. Wenn Sie jedoch darauf bestehen, daß wir versuchen –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_564.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)