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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

an Herrn Direktor Rainer zu zahlen, aber er dürfte diese Nothwendigkeit kaum sonderlich schmerzlich empfinden, da er ja das Glück hat, einen sehr begüterten Herrn, den kommandirenden General v. B., seinen Vater zu nennen. Den reizendsten Zug in diesem kleinen Familienlustspiel bildet jedenfalls der Umstand, daß der Herr Assessor ein sehr naher Verwandter desselben Dragonerlieutenants ist, welchen man aus Anlaß jener viel bemerkten Bazarscene in Verbindung mit seiner schönen Base zu nennen pflegte.“

Schon mit der ersten Morgenpost hatte der General von Brenckendorf nicht weniger als fünf Exemplare dieses im schönsten Zeitungsstil geschriebenen Artikels erhalten. Die liebenswürdigen Absender hatten sich zwar nicht genannt, aber der General zweifelte keinen Augenblick, daß sie in den Reihen seiner besten Freunde zu suchen seien. Gegen Mittag jedoch war ihm das bedeutsame Blatt zum sechsten Mal und diesmal nicht durch den Briefträger überreicht worden. Der Generallieutenant Graf Hainried hatte es in eigener Person auf den Schreibtisch Seiner Excellenz niedergelegt, und zwischen den beiden hohen Militärs war von vornherein kein Mißverständniß darüber gewesen, daß diese mit einer gewissen Feierlichkeit vollzogene Handlung einer höflichen Kriegserklärung gleichzuachten sei. Und weltmännisch höflich wie die Einleitung hatte sich auch der weitere Verlauf und der Abschluß ihrer Unterredung gestaltet. Der General von Brenckendorf hatte durchaus nichts gegen eine Lösung der zwischen seinem Sohne Engelbert und der Gräfin Helene Hainried bestehenden Beziehungen einzuwenden gehabt, und er hatte mit einer äußerst verbindlichen Miene die Versicherungen des innigsten Bedauerns entgegengenommen, welches der Generallieutenant für seine eigene Person natürlich über diese traurige Nothwendigkeit empfand. Er hatte beim Abschied sogar mit freundschaftlicher Wärme dem Wunsche Ausdruck gegeben, daß die Damen des Generallieutenants, welche schon in diesen Tagen einen Erholungsaufenthalt im Süden nehmen sollten, recht angenehme und glückliche Reise haben möchten, – und erst als sich dann die Thür hinter seinem Besucher geschlossen, hatte er das unglückselige Blatt wüthend zerknittert und eine eben angezündete Cigarre zwischen den Fingern zerbrochen, als sähe er in ihr den Verfasser jenes Artikels oder eine andere, in diesem Augenblick vielleicht noch bitterer gehaßte Persönlichkeit.

Der Generallieutenant Graf Hainried aber stieß beim Verlassen des Hauses auf den Oberst von Herzogenstein, den persönlichen Adjutanten Seiner Majestät, als derselbe eben im Begriff war, durch die Gartenthür der Villa einzutreten. Die beiden Offiziere begrüßten sich höflich und der Oberst sagte mit einem bedeutsamen Lächeln und mit vorsichtig gedämpfter Stimme:

„Ich gratulire aufrichtig – Excellenz!“

Graf Hainried lehnte ab, aber mit einer Miene, die gut verrieth, wie angenehm ihn der Glückwunsch berührte.

„Das wäre etwas voreilig, lieber Oberst! Noch sind wir nicht so weit –“

„O, ich bin gut unterrichtet; es giebt keine bessere Quelle als die meinige. Majestät selbst hatten die Gnade, mich einzuweihen.“

„Das Vertrauen Seiner Majestät macht mich natürlich über alle Maßen glücklich; aber ich muß bekennen, daß ich die hohe Auszeichnung, welche mir da zugedacht worden ist, nicht ohne eine Regung des Bedauerns annehmen kann. Brenckendorf ist ein so ausgezeichneter Soldat . . .“

„Aber er ist unmöglich geworden, Herr Graf, ganz unmöglich. Und überdies wird es an einem Pflaster für die Wunde nicht fehlen. Im Vertrauen gesagt, Seine Majestät hat ihm eine ungewöhnlich hohe Ordensauszeichnung zugedacht – die erste Klasse des Roten Adlers.“

„Ah, das ist allerdings eine königliche Belohnung seiner treuen Dienste! Doch ich halte Sie auf, mein lieber Herr Oberst! Auf Wiedersehen!“

„Auf baldiges Wiedersehen, Excellenz! – Weiß der Himmel – es ist ja ein allerhöchster Auftrag, aber ich wünschte doch, daß ich erst um eine Viertelstunde älter wäre!“ –

Aufrecht und straff, mit stolz erhobenem Haupte, begrüßte der General von Brenckendorf seinen neuen Besucher. Seine Miene war kalt und gefaßt; aber es war die Gefaßtheit eines Mannes, welcher bereit ist, den Todesstreich zu empfangen. –

*  *  *

Die Generalin und ihre Tochter hatten sich eben zu einem Besuch gerüstet, als der Herr des Hauses in das Zimmer trat.

„Es thut mir leid, daß Ihr auf den Spaziergang oder was Ihr sonst vorhabt, verzichten müßt,“ sagte er mit vollkommener Ruhe; „aber es ist hohe Zeit, die Vorbereitungen zur Reise zu treffen. Wir fahren morgen mit dem Frühzuge nach Groß-Hagenow.“

„Wie? Nach Groß-Hagenow? Auf das Land?“ fragte Ihre Excellenz in maßlosem Erstaunen. „Jetzt – mitten im Winter?“

„Es läßt sich nicht ändern,“ erklärte der General mit einer Bestimmtheit, welche seine Angehörigen kannten. „Ich glaube, der Schlag würde mich treffen, wenn ich nur noch einen einzigen Tag inmitten dieser jämmerlichen Lügengesellschaft zubringen sollte. Packt die Koffer, sage ich Euch! Ich lechze danach, die ehrlich dummen Gesichter unserer Bauern wiederzusehen!“

Fassungslos war die Generalin in einen Sessel gesunken.

„Nein, es ist ja nicht möglich. Was, um Gotteswillen, ist denn geschehen?“

„O, nichts von besonderer Bedeutung! Zwei kleine Ueberraschungen, von denen Ihr die eine schon heute aus den Zeitungen erfahren könnt, während die andere erst in einigen Tagen zum Behagen unserer guten Freunde bekannt werden wird. Lothar hat sich mit einer Theaterprinzessin verlobt –“

„Mit Marie?“ fiel ihm Cilly fast jubelnd ins Wort, und selbst der streng verweisende Blick ihres Vaters scheuchte das freudige Aufleuchten nicht von ihrem Gesicht. „O, es kann ja keine andere sein als Marie!“

„Lothar hat sich mit einer Theaterprinzessin verlobt,“ wiederholte der General mit vermehrtem Nachdruck, „und er hat es für angemessen gehalten, mich diese hübsche Neuigkeit zuerst aus den Spalten eines Klatschblattes erfahren zu lassen. Zum anderen: man hat mir den Abschied gegeben!“

„Den Abschied?“ Die beiden Damen riefen es wie aus einem Munde. Das war allerdings eine Neuigkeit, die ihnen wie ein Märchen klingen mußte.

„Ja! Wenn auch nicht gerade mittels blauen Briefes wie einem überschuldeten Lieutenant. Aber es kommt im Grunde auf eins hinaus. Ich werde also aus Gesundheitsrücksichten um Enthebung von meinem Kommando bitten, der amtsmüde Kriegsminister von Reckenstein wird mein Nachfolger werden, und auf dem Ministersessel wird unser ausgezeichneter, trefflicher Freund Hainried Platz nehmen, der ehrliche Mann, der an diesen Dingen natürlich so unschuldig ist wie Dein Bologneserhündchen.“

„Ist es möglich? Ist es möglich?“ jammerte die Generalin. „Und nun sollen wir nicht einmal morgen mehr das Essen bei dem österreichischen Botschafter mitmachen?“

„Nein! Wir werden mit englischem Abschied verschwinden, wie es gefallenen Größen ziemt. Mir graut vor der Theilnahme unserer lieben Freunde und vor ihren zärtlichen Erkundigungen nach dem Stande meiner erschütterten Gesundheit!“

Ihre Excellenz ergab sich seufzend in das Unabänderliche.

„Dann muß ich wenigstens die Köchin heute nach Groß-Hagenow vorausschicken. Wir können uns doch nicht morgen am Tische des Oberverwalters beköstigen lassen!“

„Entscheide diese wichtige Angelegenheit ganz nach Deinem Ermessen, meine Liebe,“ erwiderte der General mit leisem Spott, „ich werde unterdessen die Anordnungen für die Erledigung der laufenden Dienstgeschäfte während meines Urlaubs treffen. Wenn Engelbert kommt, so sagt ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche. Und sorgt mir vor allem, daß die Abreise nicht irgend welcher Hindernisse wegen verschoben zu werden braucht! Ich habe einen Ekel vor allem, was mich hier umgiebt!“

„Mein armes, armes Kind!“ klagte die Generalin fast weinend, als sie mit Cilly allein war. „Gerade diese Saison ließ sich so lustig für Dich an. Wie viel Bälle hättest Du noch mitmachen können und wie viel ausgezeichnete Mahlzeiten! – Und jetzt sollst Du auf das Land! Es ist eine furchtbare Grausamkeit!“

Cilly aber lachte fröhlich auf und umschlang den Nacken der Betrübten, so weit es bei dem Umfange desselben möglich war.

„Nein, es ist reizend, Mama, es ist himmlisch, und ich freue mich darauf wie ein Kind! Das Schönste aber ist doch, daß Marie und Lothar ein Paar werden sollen – ich könnte mich rein auf den Kopf stellen vor Vergnügen.“

„Cilly! Cilly!“ rief Ihre Excellenz entsetzt. „Wenn das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_567.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)