Seite:Die Gartenlaube (1890) 568.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Dein Vater gehört hätte! – Hast Du denn nicht gesehen, daß diese That Lothars ihn bis ins Herz getroffen hat?“

„Nein, Mamachen, davon habe ich wirklich nichts bemerkt. Glaube mir, im Grunde ist’s ihm ganz lieb so, wenn er sich das auch vielleicht heute und morgen selber noch nicht gestehen mag. Wenn man bei strotzender Kraft wegen erschütterter Gesundheit seinen Abschied nehmen soll, muß man wohl ein wenig knurrig und verbissen sein; aber ich wette, nach kaum drei Monaten ist der Papa zu der Erkenntniß gekommen, daß es doch im Grunde viel lustiger und behaglicher sei, den Gutsherrn auf Groß-Hagenow zu machen. Und dann, meine liebe, theure, einzige Herzensmama – dann wird sich auch alles andere finden!“

Sie küßte die verwunderte Herzensmama schallend auf den Mund und flog in ihr Zimmer, um mit eilender Feder einige kleine Briefchen zu schreiben: ihre überströmenden, jubelnden Glückwünsche für Lothar und Marie und zehn kurze Zeilen für Wolfgang Brenckendorf:

„Der Kriegsschauplatz ist verlegt; aber der veränderte Boden macht uns den Sieg gewiß. Wir haben Wind und Sonne für uns, da kann’s nicht mehr fehlen. Morgen früh geht’s mit Sack und Pack nach Groß-Hagenow. Wenn ich Dir nicht binnen heut und einem halben Jahre telegraphirt habe: Komm! – so muß ich wohl inzwischen gestorben sein. Und dazu fühlt sich durchaus nicht aufgelegt
 Deine seelenvergnügte Cilly.“

Während die Generalin sorgenvoll überlegte, was man bei einer so überstürzten Uebersiedelung zur ungünstigsten Jahreszeit morgen im Herrenhause zu Groß-Hagenow wohl werde auf den Tisch bringen können, sang und jubilirte es hell wie Lerchengezwitscher durch das Haus:

„Kein Fluß ist so tief, keine Mauer so hoch,
Wenu zwei sich nur gut sind, sie sinden sich doch!“

00000000000

Und diesmal wenigstens hatte sich das übermüthige Töchterchen des Generals als eine treffliche Menschenkennerin bewährt. Wohl wandelte Herr von Brenckendorf ein paar Wochen lang mit der Miene eines Menschenfeindes in den Gefilden seines prächtigen Besitzthums umher, und es hatte durchaus nicht den Anschein, als ob die reichlich gebotene Gelegenheit zum Anblick von Bauerngesichtern ihm die gehoffte Erquickung bereitete. Aber der Rote Adlerorden und das überaus huldvolle königliche Handschreiben, welches bald in allen Zeitungen zu lesen war, konnten ihre heilsame Wirkung auf sein verbittertes Gemüth nicht verfehlen. Auch machte sich allgemach der Einfluß des zugleich vergnüglichen und bequemen Landlebens mit seinen großen und kleinen Jagdausflügen und seinem lebhaften Verkehr der Gutsnachbarn wohlthuend fühlbar. Nach kaum zwei Monaten war der General frischer und heiterer als seit Jahren, und Cilly, die im Verkehr mit ihrem Vater ein bewundernswürdiges diplomatisches Geschick offenbarte, hatte in einer besonders günstigen Stunde den Muth, ihm mit allerlei vorbereitenden Umschreibungen ihr großes Geheimniß zu offenbaren. Es schmetterte sie durchaus nicht nieder, ja, es schien ihr nicht einmal unerwartet, daß der General mit einem schneidenden „Niemals!“ alle ihre Hoffnungen auf seine Nachgiebigkeit im Keime zu ersticken gedachte. Ohne Thränen und ohne Widerspruch entschlüpfte sie seinem ersten, ziemlich heftig aufwallenden Zorn, und zu seiner geheimen Ueberraschung zeigte sie ihm später weder eine schmollende noch eine trübselige Miene. Aber bei der ersten passenden Gelegenheit lieferte sie ihm durch ein lachend hingeworfenes Wort den Beweis, daß ihr Sinn sich nicht im mindesten geändert habe. Der General gab sich den Anschein, als habe er es nicht bemerkt, denn Cillys heiteres Gesicht und ihr helles Lachen waren ihm längst viel zu unentbehrlich geworden, als daß er sich ohne zwingende Noth der Freude an ihnen hätte berauben sollen. Und das nämliche Spiel wiederholte sich immer häufiger und immer offener, bis der General, fast ohne es selber zu bemerken, allgemach dahin kam, Cillys Anspielungen ohne jede Anwandelung von Aerger vernehmen zu können. Die vollständige Kapitulation aber hätte vielleicht doch noch eine geraume Weile auf sich warten lassen, wenn nicht rasch nach einander verschiedene Ereignisse eingetreten wären, welche Seine Excellenz wohl in gute Laune versetzen mußten.

Da war zunächst der Rücktritt des neuen Kriegsministers Grafen Hainried, welcher ihm eine nur schlecht verhehlte tiefinnige Genugthuung bereitete. Der schmiegsame und liebenswürdige Generallieutenant hatte offenbar die besonderen Erwartungen nicht erfüllt, welche man auf seine Talente gesetzt hatte; in einer schwierigen, parlamentarischen Klemme hatte er eine von der Regierung sehr peinlich empfundene Niederlage erlitten, und sein Abtreten vom Schauplatze der Oeffentlichkeit gestaltete sich demgemäß zu einem viel weniger ehrenvollen, als es das des Generals von Brenckendorf gewesen war. Wenn es dem letzteren aber in diesem Falle aus naheliegenden Schicklichkeitsgründen nicht gestattet war, seiner Freude einen lauten Ausdruck zu geben, so entfiel dieser Zwang um so vollständiger der zweiten Neuigkeit gegenüber, welche Engelbert auf einem Urlaubsbesuche in Groß-Hagenow überbrachte. Der Dragoneroffizier hatte augenscheinlich nicht allzu schwer an dem Schmerz getragen, welchen die Aufhebung seiner noch nicht einmal öffentlich verkündeten Verlobung mit der Gräfin Hainried ihm bereitet hatte. Er strahlte in Gesundheit, Schönheit und guter Laune wie nur je und platzte schon in der ersten Viertelstunde mit dem Bekenntniß heraus, daß Amors Rosenketten ihn abermals gefesselt hielten, und diesmal, wie er versicherte, unauflöslich und unzerreißbar. Die Besorgniß, welche sich bei dieser Erklärung auf dem Antlitz des Generals ausprägte, mußte wohl eine völlig unbegründete gewesen sein, denn nachdem ihm Engelbert in einer ernsthaften Unterredung unter vier Augen den Namen seiner Angebeteten genannt und über den Stand der ganzen Angelegenheit berichtet hatte, war der Herr Vater in der allerbesten Stimmung und ließ zur Mittagstafel die für besonders festliche Gelegenheiten aufgesparten, erlesensten Schloßabzüge aus dem Weinkeller holen.

Schon hatte man bei der heiteren Mahlzeit in dem kleinen Familienkreise auf die verschiedensten Gesundheiten angestoßen, als Engelbert sich plötzlich an die Stirn schlug und ausrief:

„Teufel, wie selbstsüchtig man doch wird, wenn man verliebt ist! Da vergesse ich wahrhaftig, daß ich noch etwas Besonderes zu erzählen habe. Lothar ist als Hilfsarbeiter in das Justizministerium berufen worden, nachdem ihn der Minister auf Grund seiner Abhandlung über die moderne Strafrechtspflege zu einer langen Unterredung eingeladen hatte. Man spricht allgemein davon, daß er sein Glück machen werde.“

Sowohl die Generalin als Cilly hatten, sobald Lothars Name zum ersten Male genannt worden war, etwas zaghafte Blicke auf das Antlitz des Hausherrn geworfen. Und in der That hatte sich etwas wie eine drohende Wolke auf der Stirn des Generals zusammengezogen. Aber ob es nun die Aussicht auf Engelberts glänzende Verheirathung, ob es die Wirkung der feurigen Schloßabzüge oder der durch allen Groll hindurchbrechende Vaterstolz war, welcher diese Wolke verscheuchte – genug, als Engelbert geendet hatte, sagte der General nach einem kleinen Räuspern:

„Es soll mich freuen, wenn man die Wahrheit spricht. Und wie steht es zwischen Euch? Immer noch die alte Feindschaft?“

„Gott bewahre! So was halt’ ich nicht auf die Dauer aus. Ein hitziges Wort läuft einem wohl ’mal über die Zunge, und, hol’s der Henker! gerade dann am leichtesten, wenn man am tiefsten im Unrecht ist! Im Unrecht aber bin ich damals mit der Marie gewesen, das läßt sich nun schon nicht leugnen, wenn’s auch nicht angenehm ist, es einzugestehen. Und das fraß doch ein bißchen an mir herum, obgleich ich mir ja sagen konnte, daß sie nicht allzu lange gebraucht habe, um sich zu trösten. Hundertmal war ich auf dem Wege zu ihrem Bruder, bei dem sie ja seit der Verlobung wohnt, um mir meine Begnadigung zu holen, aber ich weiß nicht, wie es zuging: vor dem Hause gab’s mir jedesmal einen innerlichen Ruck, so daß ich wohl oder übel wieder umkehren mußte. Und die Geschichte hätte sich vielleicht endlos hingezogen, wenn ich nicht eines Morgens in einer menschenleeren Allee des Thiergartens auf meinen Herrn Bruder gestoßen wäre. Wie er mich sah, machte er ein Gesicht wie acht Tage Regenwetter, und wir gingen aneinander vorüber, ohne uns zu grüßen. Aber nach drei Schritten gab es mir wieder so einen innerlichen Ruck, ich fuhr herum und –“

„In den Armen lagen sich beide,“ deklamirte Cilly feierlich, „und weinten vor Schmerz und Freude.“

Na, das nun gerade nicht! Aber es mußte mir wohl auf dem Gesichte geschrieben stehen, was ich ihm gern gesagt hätte, und so streckte er mir denn seine Hand entgegen, noch ehe ein Wort zwischen uns gefallen war. Wir wandelten gemeinschaftlich weiter, und nach einer kleinen halben Stunde war zwischen uns

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_568.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)