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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


theoretischen Erwägungen, nach denen zur Heilung von Schwindsucht nur reichliche Ernährung und reine Luft nöthig sein sollen, der Errichtung von Gebirgsheilanstalten nicht förderlich sein können. Und doch wird in wenigen Jahren nach Inbetriebsetzung der Niederungsheilanstalten für Lungenkranke ganz gewiß ein gründlicher Wandel der Ansichten stattfinden, wenn man erst durch die Erfahrung und durch Zahlenausweise gefunden haben wird, wie viel weniger Besserungen und Heilungen in denselben zu erzielen sind, als in Gebirgsheilstätten. Angenommen auch, das Waldgebirge enthalte nichts in sich, was in besonderer Weise auf die Besserung einer schwindsüchtigen Lunge wirkt: weder der geringere Atmosphärendruck, noch die größere Dünne der Einathmungsluft, weder die große Menge des in der Luft enthaltenen Ozons, noch die durchweg günstigeren Grundwasserverhältnisse, weder die stärkere Besonnung im Winter, noch der größere Schutz gegen starke Luftströmungen zu allen Jahreszeiten, weder die größere Kühle der Luft im Sommer, noch die größere Beständigkeit des Klimas im allgemeinen, noch sonstige günstige klimatische Umstände seien einzeln oder in ihrer Gesammtheit ausschlaggebend für die vorzüglichen Erfolge der Waldgebirgsheilanstalten; zugegeben ferner, der Begriff der Sicherheit gewisser Orte gegen Tuberkulose sei hinfällig und zur Heilung von Schwindsucht nur die dauernde Einathmung reinster Luft und reichliche Ernährung vonnöthen, so frage ich: wo in aller Welt giebt es reinere Luft, verbunden mit größerem Schutz gegen etwaige Unbilden der Witterung, als im waldreichen immergrünen Gebirge, und wo entwickelt sich ein solch riesiger Appetit und infolge dessen ein solch rascher Neuaufbau des lungensiechen Körpers wie eben dort? Wie oft habe ich es nicht erlebt, daß selbst Schwerkranke von der ersten Stunde des Aufenthaltes in der Gebirgsanstalt an einen Appetit entwickelten, über den sie sich so freuten, daß sie dies Ereigniß telegraphisch der besorgten Mutter mittheilten, die seit Monaten sich vergebens abmühte, dem Kranken ihre mit eigener Hand bereiteten kräftigen Speisen und Leckerbissen aufzunöthigen! Bei minder schwer Kranken tritt ein solcher Appetit ohne Ausnahme sofort ein. Man soll die Einrichtung von Heilanstalten für unbemittelte Lungenkranke in der Umgebung großer Städte um keinen Preis hindern. Aber man vergesse nicht, bewaldete Höhen zur Anlage zu wählen, wenn sie nahe genug liegen. Denn ich bin aus fast zwanzigjähriger Erfahrung mit Dr. Volland in Davos der noch durch keine stichhaltigen Gründe widerlegten Ansicht, daß es nicht allein darauf ankommt, wie, sondern insbesondere wo der Lungenkranke behandelt wird, und daß bei ins Belieben gestellter Auswahl eines Ortes immer und unter allen Umständen einer geschlossenen Heilanstalt im Waldgebirge der Vorzug zu geben ist. Den Höhenanstalten für Lungenkranke gehört nach wie vor die Zukunft.




Das Kleinod des Fichtelgebirges.

Eine Erinnerung an das Bergfestspiel auf der Luisenburg bei Wunsiedel.

Mit Zeichnungen von O. Gerlach.

Der Dichter und Regisseur.

Im Herzen des Fichtelgebirges liegt ein Städtchen, dessen Namen in den letzten Tagen öfter genannt wurde als sonst vielleicht in Jahren. Der gebildete Deutsche kennt es allenfalls als Geburtsort unseres größten Humoristen. „Ich bin gerne in dir geboren, du kleine aber lichte Stadt,“ sagt Jean Paul einmal von seinem Wunsiedel, und er wiederholt: „Ich bin gerne in dir geboren, Städtchen am langen, hohen, hohen Gebirge, dessen Gipfel wie Adlerhäupter zu uns niedersehen! Deinen Bergthron hast du verschönert durch die Bergstufen zu ihm.“ – Der „Bergthron“ Wunsiedels aber ist die Luisenburg, die sich in dunklem Fichtengewande unmittelbar hinter dem Städtchen in nordwestlicher Richtung erhebt.

Dieser Granitberg ist das herrlichste Kleinod des Fichtelgebirges, ja man darf kühn behaupten, der deutschen Mittelgebirge überhaupt; er steigt vor uns in schönen Linien auf, aber wir nehmen nichts Besonderes an ihm wahr, nur ein geheimnißvolles Weben wie von Geistern der Sage scheint über seinem düsteren Grün zu walten. Da trittst du in sein Waldesdunkel, und eine Welt von Wundern thut sich vor deinem staunenden Auge auf! Ein gewaltiges Felsenchaos, so wild, so wirr, daß es aller Beschreibung spottet, bannt plötzlich deinen Blick! Kein Geringerer als der große Goethe schrieb in seinem 71. Jahre von der Luisenburg, daß ihm „dessengleichen auf allen Wanderungen“ – und er war viel und weit gewandert – „niemals wieder vorgekommen.“ Immer neue Wunder, immer neue Reize begegnen dir, wenn du nun weiter vordringst: da blickt aus einer dunkeln Felsengrotte gleißend Gold hervor – du wähnst, es sei ein Traum, und blickst nochmals genauer hin; und siehe, es ist wirklich so: hell leuchtet Goldesschimmer! Unwillkürlich denkt man an das Wort Mephistos im Faust:

„Herr Mammon selbst erleuchtet den Palast.“

Der nüchterne Naturforscher jedoch weiß dir zu erklären, daß dieses goldige Leuchten herrührt von den perlschnurartig aneinandergereihten wasserklaren Zellen des Goldmooses, des zierlichsten aller Moospflänzchen, dem die Fähigkeit zukommt, das Tageslicht in so merkwürdigem Goldglanze zurückzustrahlen. Ueberhaupt findet sich die kleine Welt der Moose in entzückender Mannigfaltigkeit und Schönheit auf den Felsblöcken der Luisenburg. Das ehrwürdige Urgestein ist überall mit wunderbaren Teppichen belegt, aus deren smaragdenem Grunde hellgraue, tief braunschwarze, ja zuweilen lebhaft rothe Farben, alle von Moosarten herrührend, eingewebt sind. Die „Moosgrube“ nennt sich auch ein schöner Felsengang, der auf unserer Abbildung (S. 574) sich zeigt.

Doch wir können nicht alle Herrlichkeiten unseres Berges aufzählen, es würde Seiten füllen, wenn wir auch nur die ausgezeichnetsten Stellen namhaft machen wollten. „Eine Beschreibung der Luisenburg, die einen klaren Begriff von diesem in seiner Art einzigen Felsenhaine gäbe, ist selbst für den begabtesten Stilisten eine Sache der Unmöglichkeit“, so urtheilt schon Ludwig Storch, der im Jahre 1860 die Luisenburg für die „Gartenlaube“ schilderte. Wir wollen heute noch einen Blick auf die Geschichte dieser Bergwildniß werfen!

Uralt wie sein Gestein ist der Ursprung der Sagen des Berges. Sind ja überhaupt „in dem Innern des Fichtelgebirges die geheimen Sagenbehälter wie die Wasserkammern, von denen aus das Land im Norden und Osten, im Süden und Westen gesättigt wird“. Salomo und Karl der Große, der Heiland und der Teufel, alle sollen sie hier gewesen sein. Da finden wir „Druidenschüsseln“ wie auf dem „Kreuz“, einem der höchsten Punkte der Luisenburg, – der Volksmund nennt hier diese rundlichen Vertiefungen in den Felsenflächen „Teufels Rasierschüsseln“; von Kobolden, Nymphen, Walen (goldsuchenden und goldmachenden Dämonen) geben noch Chroniken aus dem vorigen Jahrhundert reichlich Kunde. Folgt man den Spuren der Geschichte, so tritt uns die Luisenburg als Sitz eines Raubritternestes entgegen, das, damals „Losburg“ geheißen, im 13. oder 14. Jahrhundert von den Männern aus Eger zerstört wurde. Nur durch eine List gelang es, so weiß der Chronist zu berichten, der Burg beizukommen: die Mannen von Eger kleideten sich wie Troßknechte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_573.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)