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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Halbheft 19.   1890.
      Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahrgang 1890. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Sonnenwende.
Roman von Marie Bernhard.


1.

„Wenn Dir nicht wohl zu Muthe ist, hättest Du die Gesellschaft absagen lassen sollen, Hedwig!“

„Was Dir einfällt! Jetzt, im letzten Augenblick, vierundfünfzig Personen und – – und das ganze Essen fix und fertig! Ueberdies fühle ich mich körperlich wohl, mir thut nichts weh – nur seelisch – ich weiß nicht recht, wie ich Dir’s schildern soll! Als ich soeben in den Spiegel sah, fand ich mich angegriffen aussehend, was mir unangenehm war unserer Gäste wegen, und nun bestätigst Du es mir auch noch.“

„Der Wahrheit gemäß! Nun sei aber auch vernünftig und sage mir, was Dir eigentlich fehlt!“

„Weiß ich es denn? Es ist mir so eigenthümlich beklommen zu Sinn, mir lastet ein Alp auf der Seele, das Athmen macht mir Mühe. Wenn ich nicht wüßte, daß Du mich wieder auslachst, Robert, dann würde ich sagen –“

Der Gemahl hob beschwörend seine beiden Hände auf.

„Um Gotteswillen, Kind, doch nur keine von Deinen sogenannten – Ahnungen!“

Die zarte Blondine senkte geknickt und ergebungsvoll das Haupt.

„Ja, Robert! Thu’ mit mir, was Du willst, aber ich habe wieder meine Ahnungen!“

Er warf einen empörten Blick nach der hohen gemalten Zimmerdecke empor, von der die vielarmigen Kronleuchter mit heiter brennenden Kerzen herabhingen.

„Was soll ich mit Dir thun – wie?“ Er trat nahe an sie heran und hob mit dem Zeigefinger ihr Kinn in die Höhe, um ihr in die Augen zu sehen. „Vernunft predigen? Ist bereits hundertmal ohne den leisesten Erfolg geschehen! Ja und Amen zu diesen Thorheiten sagen? Da müßte ich kein aufgeklärter Mann sein! Dich schelten? Dazu habe ich Dich zu lieb und Du thust mir zu leid, denn Du quälst Dich ohnehin schon genug mit den unsinnigen Geschichten ab!“

„Unsinnigen Geschichten? Robert! Wenn Du ehrlich sein willst … hat meine Ahnung mich betrogen, damals, als meine arme Mutter so plötzlich starb, die wir vor kaum acht Tagen gesund und frisch verlassen hatten? Und das Unglück bei Deinem Vetter – den Trauerfall bei Deinen Verwandten in England … wer war es, der alles das kommen sah?“

„Aber, gutes Kind, es geschehen alle Tage traurige Dinge in der Welt, leider Gottes! Und in einer großen, weitverzweigten Familie, wie die unsere es ist, kann nicht immer alles so glatt und schön sich abwickeln. Und weil Du nun ein kleines nervöses Persönchen bist und ein paar Mal bei dieser


Eduard Bauernfeld.
Nach einer Photographie von Krziwanek in Wien.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 581. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_581.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2022)