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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

nichtswürdigen Gedankenleserei, die der Böse holen mag, ein passendes Medium abgegeben hast, darum bildest Du Dir nun ein, sowie irgend eine Erscheinung von Blutarmuth und hochgradiger Nervosität bei Dir auftritt, es müsse nothwendigerweise ein Unglück geschehen, welches Du als moderne Kassandra zu verkünden hättest. Stirbt dann irgend ein Mensch aus unserem nach Hunderten zählenden Bekanntenkreise oder eine Firma macht Bankerott oder es entspinnt sich irgendwo eine fatale Liebesgeschichte …“

„Nein, Robert, jetzt schweigst Du. Du bist geradezu beleidigend!“

„Daß ich nicht wüßte! Wenn zwei seit zwölf Jahren verbundene Eheleute einander nicht die Wahrheit sagen wollen, wer in der Welt hätte sonst ein Recht dazu?“

„Es ist gut! Mit Dir ist nicht zu streiten, das hätte ich wissen müssen, es war eine Dummheit von mir, überhaupt über dies Thema mit Dir zu reden. Ich wollte, ich würde mich irren!“

„Ich auch!“ bemerkte er trocken. „Und nun Deinen Arm, liebste Kassandra – beschauen wir uns einmal unsere Salons!“

Diese waren in der That des Beschauens werth, denn ein feiner Geschmack waltete darin. Nichts hob sich aufdringlich hervor, jedes einzelne Stück stand im Einklang mit dem ganzen, und dies war das Verdienst der anmuthigen blonden Frau, die jetzt langsam in ihrem goldgrün schillernden Seidenkleide am Arm ihres Gemahls durch die geräumigen Gemächer dahinwandelte; aber der Bankier Robert Weiland war auch nicht ohne Ruhm dabei – er verdiente das Geld zu all den hübschen Dingen.

„Es sieht gut aus bei uns!“ sagte der stattliche Herr und sah sich vergnügt in seinem Rauchzimmer um.

„Ja – – nur – die fremden Elemente heute abend – es wird mir ganz sonderbar bei uns vorkommen –“

„Ach, das halbe Dutzend Ulanen –“

„Und Conventius –“

„Ah so, der neue Prediger! Ja, da werden ’mal die jungen Mädchen Augen machen! Gieb acht, übermorgen, am Sonntag, ist kein Platz in der ganzen großen Lukaskirche zu bekommen und eine hübsche Zuhörerschaft wird er haben!“

„Ja, er ist aber auch eine wundervolle Erscheinung. Man vermuthet eher alles andere als einen Prediger in ihm! Für meine junge Damenwelt ist überhaupt heute der Tag der Ueberraschungen – sie bekommen ja auch Delmont zu sehen!“

„Da werden sie sich, fürchte ich, auch mit dem Sehen begnügen müssen! Der Mensch redet ja nichts, vollends nicht mit jungen Mädchen; er macht von dem Vorrecht berühmter Künstler, launenhaft, wortkarg und unliebenswürdig zu sein, den ausgiebigsten Gebrauch – aber damit gerade hat er die Weiberchen alle an der Angel … es ist ja so interessant, sich von seinen finsteren Augen angrollen zu lassen! Was mag er alles denken! Was mag durch seine Seele stürmen! Welche wilden Phantasien mögen ihn begeistern – ich wette, er hat heute doch noch mehr Erfolg als Conventius!“

„Das bringt schon sein Stand mit sich! Ich bitte Dich, ein Maler – fährt nicht ein Wagen vor? Ich hoffe, es wird Annie sein!“

„Hast Du sie gebeten, früher zu kommen?“

„Wie immer! Sie ist mein bestes gesellschaftliches Element, klug und heiter – stets bereit, sich und andere zu unterhalten – bildhübsch – und so herzensgut …“

„Ja, ja, ich weiß! Auf diese neunzehnjährige Annie Gerold werde ich mit meinen zweiundvierzig Jahren doch noch eifersüchtig sein müssen!“

„Unsinn, Robert! Wenn ich Dir nun aber sage, daß meine bösen Ahnungen heute abend gerade, ich weiß selbst nicht wie, mit Annie zusammenhängen –“

Weiter redete Frau Weyland nicht, denn hinter dem Thürvorhang fragte eine weiche Altstimme:

„Anmelden, Christoph? Wozu? Ich bin doch die erste und hier zu Hause!“

„Ja, mein Herz, das bist Du!“ Und Frau Hedwig schloß das schlanke, weißgekleidete Mädchen zärtlich in die Arme.

Annie Gerold sah sich mit ihren leuchtenden braunen Augen wohlgefällig um.

„Sehr hübsch! Möchten nur alle die Leute, die geladen sind, ebenso sein!“

„Na – einen guten Anfang hätten wir ja!“ schmunzelte Herr Weyland.

„Bin ich das?“ gab Annie wohlgemuth zurück. „Dank’ schön, fahren Sie, bitte, nur so fort! Wie findest Du mein Kleid, Hedwig?“ Sie that, als stände sie auf einer Drehscheibe. „Fein, nicht wahr? Eigentlich wollte ich eine blaßblaue Schärpe statt dieser weißen, aber Thea wollte nicht, und Du weißt, Thea giebt allemal den Ausschlag in Toiletten- und andern Fragen.“

„Sie hat recht gehabt, Kind! Wie geht es ihr heute?“

Das jugendstrahlende Gesicht wurde plötzlich ernst und besorgt.

„O, nicht gut – leider! Sie hat große Schmerzen und muß die ganze vergangene Nacht wieder gewacht haben, ich sah es an den tiefen Schatten, die sie um die Augen hat. Und ich habe ahnungslos geschlafen bis an den hellen Morgen!“

„Liebchen, Du hättest ihr ja doch nicht helfen können!“

„Dochl Ein paar Mal, wenn ich zufällig aufgewacht war und darauf bestand, bei ihr zu bleiben, hat sie es gelitten, daß ich neben ihrem Bett saß und ihre armen Hände streichelte, die immer vor Schmerz zuckten, und dann las ich ihr stundenlang aus ihrem geliebten Hegel vor, – sie behauptete, das thäte ihr gut!“

„Eine so gelehrte Lektüre!“

„Ja, aber ich verstehe alles ganz gut, weil Thea es mir erklärt. Sie leidet wie ein Held. Herzlos komme ich mir vor, mich herauszuputzen und auf Gesellschaft und Tanz zu gehen, während meine einzige Schwester sich so quält. Warum dies edle, kluge, gute Geschöpf so leiden muß … darüber werde ich nie hinwegkommen, und wenn ich alle philosophischen Systeme der Welt verstünde!“

Frau Hedwig ergriff sanft die Hand des jungen Mädchens.

„Aber es ist doch nicht schlimmer mit Theklas Zustand geworden? Was sagt denn der Arzt?“

„Der kommt sehr oft und giebt sich alle Mühe, aber er kann nicht helfen; solange sie lebt, ist sie krank. Und wenn ein Witterungswechsel bevorsteht, geht es ihr jedesmal schlechter; ich denke, wir bekommen bald Frühling!“

Herr Weyland lachte laut auf.

„Aber Annie, wo denken Sie hin! Heute früh hingen bei uns noch die Eiszapfen am Dach, und wir hatten fünf Grad Kälte.“

„Das war heute früh – der Lenz kommt rasch – ich denke immer“ – sie wiederholte es beinahe träumerisch – „wir bekommen bald Frühling!“

Drunten fuhren die Wagen vor und die Gäste huschten die breiten, mit weichen, tiefrothen Decken belegten Treppenstufen empor. Oben füllten sich die Säle mit geschmückten Gestalten; es war viel Jugend vertreten, namentlich viel hübsche weibliche Jugend.

Aber die jungen Mädchen hatten Kummer, einen großen, ernsten Kummer. Vor kurzem waren die Dragoner, die so lange in F… gestanden hatten, fortkommandirt worden, die netten, lustigen, fixen Dragoner mit ihren freundlichen, hellblauen Waffenröcken und ebenso freundlichen, wenn auch nicht immer hellblauen Augen, … und statt ihrer waren nun Ulanen gekommen. Das sollte eine „schneidige Waffe“ sein, und die jungen Damen wiederholten sich das Wort recht oft zu ihrem Trost; es klang so gut, „eine schneidige Waffe!“ Aber, ach Gott, die lieben, reizenden Dragoner! Man war so gut Freund mit ihnen gewesen, man hatte so angenehme Beziehungen angeknüpft, … und nun aus! Aus und vorbei! Heute hatten Herr und Frau Weyland die Aufmerksamkeit, ihren Gästen eine kleine, auserlesene Probe der neuen Truppen aufzutischen, ... einen Rittmeister und fünf oder sechs Lieutenants. Weylands hatten immer so nette Ideen, das mußte man ihnen lassen. Nun konnte man sich ein vernünftiges Urtheil bilden.

Die junge Damenwelt stand, wie eine lichte Frühlingswolke anzusehen, in einer breiten Fensternische und redete eifrig durcheinander. Es war ja von der größten Wichtigkeit, sich unter den Ulanen, den neuen Sternen am Gesellschaftshimmel von F., etwas zurechtzufinden, und da war einer, welcher die Aufmerksamkeit der Mädchen ganz besonders in Anspruch nahm; merkwürdigerweise war gerade er allein in Civil erschienen.

Von den schweren Falten des halb zurückgeschlagenen bronzefarbenen Sammetvorhangs hob sich der lichtblonde aristokratische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_582.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)