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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


„Ich … aber Thea, ich sagte Dir doch, man hat mich ausgezeichnet – mir den Hof gemacht – all die neuen Ulanen waren da – sieh nur die vielen Cotillonsträuße! Ich bin ja doch jung, mir machte es Spaß –“ sie stockte und verwirrte sich immer mehr – „ich möchte wissen, warum Du mich so ansiehst?“

„Weil Du mir nicht alles sagst!“

„Ich – Dir? Aber ich will Dir ja alles sagen!“

„Schön! Zunächst: wer waren diese beiden interessanten Tischnachbarn?“

„Ach, Dich hätten sie auch interessirt! Mein Kavalier war Herr von Conventius, der neue Prediger an der Lukaskirche! Ich gehe hinein, wenn er seine Antrittspredigt hält, ja, Thea, ich thu’ es wahr und wahrhaftig, Du kannst dazu sagen, was Du willst!“

„Ich sage gar nichts dazu!“

„Gar nichts? Also dann erst recht! Ein bildschöner Mann, groß, schlank, blond, recht wie der Abkömmling eines alten Adelsgeschlechtes; und das ist er auch; sein Vetter, ein fideler Lieutenant, mit dem ich den Cotillon tanzte, hat es mir erzählt, und wie er aus Liebe zu seinem Beruf, aus Ueberzeugungstreue sich mit seiner ganzen Familie überworfen und fast mit seinem Vater entzweit habe, der mit Gewalt einen Offizier aus ihm machen wollte. Ist das nicht edel, nicht bewunderungswürdig? Und dabei keine Spur von einem finsteren Eiferer – ein Weltmann von feinsten Manieren, gewandt und dabei gediegen in der Unterhaltung, sogar humoristisch – ich wollte, ich könnte Dir sein Gesicht beschreiben!“

„Schon gut, Vögelchen! Und der andere?“

„Der andere? Ah ja, den Lieutenant von Conventius meinst Du! Der ist ganz hübsch und lustig, sieht aber seinem Vetter gar nicht ähnlich.“

„Den meine ich überhaupt nicht! Dein zweiter Nachbar bei Tisch.“

„Mein zweiter Nachbar? Professor Delmont!“

„Der hier neu an der Akademie angestellt ist? Von dem die Zeitungen soviel Aufhebens machen?“

„Ja!“

Jena.       Zeichnung von R. Püttner.


„Ebenfalls bildschön?“

„Nein!“

„Auch Kavalier von den feinsten Manieren? Gewandt? Humoristisch?“

„Nein.“

„Also ein unangenehmer Mensch?“

„Nein, … nicht unangenehm!“

Eine Pause entstand. Die Hand der älteren Schwester strich mechanisch über die feinen Haare des Teppichs auf ihrem Schoße, die Hand der jüngeren zerzupfte die Blumen.

„Die armen Dinger! Alle an Draht geschnürt!“ hieß es dann, und Annie griff ein kleines Sträußchen von weißem Flieder und dunkeln Veilchen aus den andern heraus und wickelte behutsam den Draht davon los.

„Morgen ist das alles verdorben! Hast Du nicht Wasser hier, Thea? – Danke!“

Sie holte aus der Kredenz eine schöne, schlanke, kleine Vase in Form einer Lilie, goß Wasser aus Theklas Glas hinein und setzte mit sorgsamer Hand das Sträußchen von Veilchen und weißem Flieder in den Lilienkelch.

Als sie von ihrem Werk aufsah, begegnete sie dem ruhig und aufmerksam auf sie gerichteten Blick ihrer Schwester.

„Wünschest Du noch etwas, Thea?“

„Nein, mein Kind!“

„Dann möchte ich doch schlafen gehen, mich überkommt eine plötzliche Müdigkeit; Du mußt doch endlich auch zur Ruhe! Wollen wir gehen?“

„Gewiß wollen wir. Zünde die kleine Lampe für uns an und lösch’ die Ampel aus. – So ist’s recht!“

Sie warf einen raschen Seitenblick auf die übrigen Blumen, die vergessen und halb verschmachtet auf dem Tisch umherlagen, und erhob sich mit Hilfe Annies, welche die gebrechliche Gestalt liebevoll stützte und mit einem Arm umfaßt hielt, während sie sie sorgsam über die Schwelle leitete.

Die beiden Schwestern bewohnten zwei luftige, nebeneinander liegende Schlafzimmer; ein gemeinsamer Aufenthalt in einem Raum verbot sich dadurch, daß Annie oft spät heimkam und Thekla sich zuweilen früher zurückzog, oft auch in der Nacht vor Schmerzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_589.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)