Seite:Die Gartenlaube (1890) 622.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Aufwandes an Arbeit, Mühe und Geld – die Festbauten allein haben nahezu 70000 Gulden gekostet – wollten wenige Tage vor dem Beginne der Feier viele noch nicht recht an das Zustandekommen echter Festesfreude glauben. „Die Zeiten sind zu schlecht!“ „Die sommerliche Hitze hält die meisten Leute von Wien fern“, solches und ähnliches konnte man reden hören. Doch diejenigen, welche in den gastfreundlichen, deutschen Sinn der Wiener festes Vertrauen setzten, haben sich nicht getäuscht.

Am Tage von Mariä Himmelfahrt (15. August) hat das Sängerfest seinen glorreichen Anfang genommen, und schon die großartige Betheiligung an dem feierlichen Einzug hat auf jeden Unbefangenen einen geradezu erhebenden Eindruck gemacht. Nachdem die Eisenbahnlinien noch im Laufe des Vormittags Hunderte und Tausende von Sängern und Sangesfreunden nach Wien gebracht hatten, welche man theils zu Fuß, theils im Fiaker, im Omnibus und in der Trambahn durch die Straßen ziehen sah, legte die Stadt ihr Werktagsgewand beiseite und kleidete sich in feierlichen Flaggenschmuck. Der Himmel schien dem Unternehmen seine volle Gunst zu schenken; denn nachts hatte ein heftiger Regen die glühende Hitze der Vortage abgekühlt, die Sonne lachte freundlich und milde, der ganze Himmel strahlte helle Freudigkeit.

Nachmittags um 2 Uhr begann die Aufstellung des Festzugs bei dem neuen Rathhaus, und der Bundesvorstand, Rechtsanwalt Dr. Beckh von Nürnberg, übergab das Banner des deutschen Sängerbundes der Stadt Wien, damit es „leuchte und flattere in der herrlichen Stadt als ein Zeichen des unzerreißbaren Bandes, das alle deutschen Sänger, alles Volk deutscher Nation vereinigt!“

[Text im Banner:]Vom Rathhause in die Sängerhalle

Festwagen der „Austria“.  Festwagen der „Vindobona“.

Dankend übernahm der Bürgermeister von Wien, Dr. Prix, die Bundesfahne, und als dann zwei Wiener Frauen, die Gattin des Herrn Dr. Prix und Frau Anna Geitler, das Banner unter sinnigen Worten mit Widmungsschleifen zierten, die erste im Namen der Frauen und Mädchen Wiens, die zweite im Namen der „Wiener Frauen- und Mädchen-Ortsgruppe des Deutschen Schulvereins“, da war der Jubel ein unbeschreiblicher. Die Theilnehmer am Festzuge bedurften dieser gehobenen Festesstimmung, denn es war keine Kleinigkeit, den ermüdenden Marsch vom Rathhause bis in den Prater, der fast vier Stunden währte, wohlgemuth zu bestehen. Eine materielle Stärkung fehlte leider den meisten: die Gasthäuser in der Nähe des Rathhauses waren schon einige Stunden vor Abmarsch des Zuges – ausverkauft. Doch die Mühen und Anstrengungen des Tages werden vergessen werden; der erhebende Eindruck, welchen die herzliche, jubelnde Begrüßung von seiten der Wiener hervorgerufen hat, wird in der Erinnerung fortleben!

Denn zu einem wahren Triumphzuge des deutschen Sanges hat sich dieser Marsch in den Prater gestaltet. Die ganze Breite der Ringstraße war dicht gefüllt von Männern und Frauen, welche in nie erlahmender Begeisterung die fremden Sänger mit Hochrufen empfingen. Der Zug ging an Baumreihen vorüber, hinter welchen die majestätischen Paläste emporragten, und die Befürchtung der Veranstalter, daß auf der breiten Ringstraße die Fühlung zwischen Wienern und Fremden, zwischen Festtheilnehmern und Zuschauern verloren gehen würde, war durchaus unbegründet. Man muß vielmehr den Behörden dafür Dank wissen, daß sie den Durchzug durch die innere Stadt verboten haben; denn abgesehen davon, daß viele Unglücksfälle in den Engpässen des alten Wiens unvermeidlich gewesen wären, hätte sich auch der Festesjubel bei solchem Platzmangel unmöglich so großartig entfalten können, als es wirklich geschehen ist. Man sah fast kein Haus, von dessen Fenstern nicht freundliche Grüße winkten, und auch die Fenster der öffentlichen Gebäude, z. B. diejenigen der Hof-Museen, waren von Zuschauern dicht besetzt. Ja selbst von dem Gerüste der im Bau begriffenen neuen Hofburg wurden Tücher geschwenkt, und von dem Triumphbogen des Burgthores, einem Theile der ehemaligen Bastei, grüßten zahlreiche Wiener ihre deutschen Gäste.

Die Ordnung, welche die Bevölkerung bewahrte, war eine mustergültige, ohne daß man es nothwendig gehabt hätte, Schranken zu ziehen, ohne Aufwendung von Militär, ja fast ohne Polizei, die erst im letzten Augenblick aufzog, um für den Festzug Raum zu schaffen.

Da Makart nicht mehr am Leben ist und unser Jahrhundert keinen zweiten Farbenzauberer seines Ranges besitzt, konnte der Sängerfestzug nicht eine gleiche Augenweide werden, wie ihn Makarts Huldigungsfestzug zu Ehren der Silbernen Hochzeit des österreichischen Kaiserpaares geboten hat. Aber jedenfalls war es ein glücklicher Gedanke der Veranstalter, den von Rud. Weyr entworfenen Eisenbahnwagen aus dem Makartschen Festzug auch hier zu verwenden. Derselbe eröffnet, mit vier prächtigen Pferden bespannt und mit blumengezierten weiblichen Gestalten geschmückt,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_622.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)