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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

vollbrachte die Sorge für eine andere, für Agnes, der er in ernster Stunde gelobt hatte, sie, sobald er nur eine auskömmliche Lebensstellung gefunden habe, vor Gott und den Menschen zu seiner Frau zu machen.

An der verzeihenden Großmuth Tromholts zweifelte Utzlar längst nicht mehr, und doch überwältigte ihn die einfache Art, mit der jener, den Dank ablehnend, seine Bitte erfüllt hatte. „Was ich für Sie thue,“ hatte Tromholt gesagt, „ist nicht mehr als eine natürliche Pflicht; ich reiche meinem Nächsten, den ich versinken sehe, die Hand, daß er sich daran emporrichte. Lassen wir das Vergangene vergangen sein! Wir Menschen sind nur zu oft das Ergebniß der Verhältnisse, in denen wir aufgewachsen sind, und erst durch mancherlei Prüfungen gelangen wir zu der Erkentniß unserer wahren Natur; dem einen kommt sie früher, dem andern später. Danken Sie mir dadurch, daß Sie Ihren Entschlüssen treu bleiben, und was in meiner Kraft steht, soll gern geschehen, Sie auf der betretenen Bahn weiter zu fördern.“

Von seinen Beziehungen zu Agnes, von seinen Heirathsabsichten hatte Utzlar damals nicht zu sprechen gewagt; die Stellung, die ihm Tromholt in seinem Geschäft anwies, schützte ihn zwar vor Noth, aber an eine Erfüllung seines Gelöbnisses konnte er vorläufig nicht denken, ja, er mußte sich gestehen, daß er als völliger Neuling in kaufmännischen Dingen der ihm übertragenen einfachen Arbeit beim redlichsten Willen kaum gewachsen sei. Immerhin aber mußte er befürchten, daß Tromholt, von anderer Seite über seine, Utzlars, Beziehungen zu dem Mädchen unterrichtet, sie in falschem Lichte ansehen werde. Darum hatte es ihn längst gedrängt, sich auch hierüber unumwunden mit seinem Prinzipal auszusprechen, und er hatte es bisher nur unterlassen, weil eben die Hoffnung auf Erfüllung seiner Wünsche eine so geringe war.

Nun aber bot sich ihm durch einen günstigen Zufall die Aussicht auf eine Stellung in seinem früheren Beruf. Durch die Admiralität war ihm ein Schreiben zugegangen des Inhalts, daß die japanische Regierung für ihre noch junge Kriegs-Marine tüchtige, mit der Technik unseres Seewesens vertraute Leute suche, wobei sie insbesondere auf solche Werth lege, die bereits in der deutschen Marine gedient und aus irgend welchem, ihre dienstliche Befähigung nicht beeinträchtigenden Grund ihren Abschied genommen hätten. Da Utzlar zu diesen gehöre, so werde ihm unter Mittheilung der näheren Bedingungen anheimgegeben, sich um eine der ausgeschriebenen Stellen zu bewerben, auch eintretenden Falles eine Empfehlung in Aussicht gestellt.

Graf Utzlar athmete auf, als er das Schreiben las, aber seine Freude erhielt eine starke Einschränkung, als er von den Bedingungen, von welchen die Anstellung abhängig gemacht war, Kenntniß nahm. Da stand in erster Linie, daß die Kosten der Ueberfahrt wie auch die der ersten Ausrüstung von dem Bewerber selbst zu tragen seien. Und das war es, woran alle Pläne, die Utzlar an dieses Schreiben geknüpft hatte, zu scheitern drohten, es sei denn, daß sich jemand fand, der ihm die nicht unbedeutende Summe vorstreckte.

Aber wer sollte das thun? Der Graf, der aus einer gänzlich unbemittelten Seitenlinie der Utzlars stammte, besaß auch nicht einen einzigen Verwandten, der, wär’s auch nur der Ehre des Namens wegen, das Opfer für ihn gebracht hätte. Mit seinen einstigen Freunden und Kameraden hatte er keinerlei Beziehungen mehr, auch wären sie, wenn je geneigt, kaum in der Lage gewesen, ihm zu helfen. Agnes’ Ersparnisse waren durch die Kosten der Krankheit und der darauf folgenden arbeitslosen Zeit verschlungen worden. Wohin er auch die Blicke richtete, er stand allein, niemand war, der ihm helfen konnte und wollte, als eben Tromholt, der Mann, den er am tiefsten gekränkt. „Was in meiner Kraft steht, Sie auf der betretenen Bahn weiter zu fördern, soll gern geschehen,“ hatte Tromholt gesagt, und die Worte gaben Utzlar den Muth, sich auch in dieser Angelegenheit, von der das Lebensglück zweier Menschen abhing, vertrauensvoll an Tromholt zu wenden.

So trug er ihm jetzt in offener Weise die Geschichte seiner Liebe und das Anliegen vor, das er auf dem Herzen hatte, und Tromholt, der erst nicht ohne Ueberraschung, dann mit wachsender Theilnahme seinen Worten zugehört, schließlich auch genaue Einsicht in die ihm vorgelegten Papiere genommen hatte, täuschte auch diesmal sein Vertrauen nicht.

„Ich will mir die Sache überlegen,“ sagte er, „auch noch Erkundigungen einziehen und Ihnen dann sobald wie nur möglich Näheres mittheilen. Ist alles in Wirklichkeit so, wie es sich hier auf dem Papier ausnimmt, so hoffe ich, daß der Entscheid günstig ausfallen wird.

Und noch eines, auch Ihre Braut möchte ich gern kennenlernen, Herr Graf, nicht als ob ich Ihrer Wahl mißtraute, sondern aus aufrichtiger Bewunderung für das treffliche Mädchen. Grüßen Sie, ich bitte, Fräulein Agnes von mir und bereiten Sie sie auf meinen Besuch vor! Wer ein solches Herz besitzt, der ist nicht arm.“

Nicht ohne Rührung hatte Tromholt die letzten Worte gesprochen, und als ob er sich dieser schämte, ging er nun plötzlich in den Geschäftston über, indem er, auf die Uhr blickend, fortfuhr: „Jetzt aber rufen mich dringende Pflichten, ich werde Ihre Angelegenheit darüber nicht vergessen, seien Sie gutes Muths! Wir sprechen bei nächster Gelegenheit mehr davon. Gott befohlen, Herr von Utzlar!“

Mit einem warmen Händedruck war Utzlar verabschiedet, ehe er noch seinem Dank anders als durch einige abgerissene Sätze Ausdruck zu verleihen vermocht hatte. Aber war es denn überhaupt möglich, in Worten auszudrücken, was in seiner Brust vorging? –




16.

Tromholt kehrte an diesem Abend nach Erledigung seiner Geschäfte nicht, wie es sonst seine Gewohnheit war, sogleich nach Haus zurück, sondern begab sich, nachdem er im Telegraphenamt noch einige Depeschen aufgegeben, auf den sogenannten Strandvei, einen sich an der Hafenbucht bis nach dem Badeort Klampenborg entlang ziehenden herrlichen Spazierweg. Er hatte das dringende Verlangen, nach langer Zeit einmal wieder frische Luft in vollen Zügen einzuathmen.

Es war ein wundervoller Abend, und der Anblick, der sich ihm bot, als er über das Gebiet des inneren Hafens hinausgekommen, war unbeschreiblich schön.

In tiefer, leuchtender Bläue lag das Meer vor ihm. Ein kräftiger Wind schuf auf der weiten Fläche in wechselnder Laune und in entzückender Mannigfaltigkeit schneeschäumende Wellen. Bald hoben sich nur ihre schaumbedeckten Köpfe, bald kamen sie mit ihren langgestreckten, silbernen Leibern breit herangerauscht, brachen sich mit murmelndem Getöse oder lösten sich – kraftloser als ihre Vorgänger – in der Fluth sanft auf. Rauschen und Singen, ruheloses Wandern, Werden, Wachsen und Vergehen, und über der großartigen Fläche mit ihren prachtvollen Farben der weit ausgespannte Himmel im reinsten, von dem Licht der Sonne durchflutheten Blau! Tromholt blieb stehen und lauschte der geheimnisvollen Musik der Wogen, die sich am Strande brachen. Stets dieselben räthselhaften Töne und doch dem Ohre immer wieder neu! Selbst den stärksten Anprall der See brachen die sandigen, hellschimmernden Ufer. Nun eben glaubte man, eine Riesenwelle müsse von dem Lande Besitz nehmen, es niedertauchen in das fröhliche, durchsichtige, schäumende Naß, aber die Erde, eben noch magnetisch die Fluth an ihre Brust ziehend, stieß sie im Augenblick ihres übermächtig jauchzenden Einzugs mit stolzer Ruhe von sich, und wie beschämt lösten sich die aus Millionen Tropfen bestehenden Gebilde, wichen mit gleichsam sich sanft unterordnender Ergebung zurück und machten, gebrochen in ihrer Kraft, neuen, brausend heranstürmenden Wassern Platz. Oft flogen weiße Meervögel kreischend vorüber oder tauchten ihre schneeigen Flügel in das auf- und abwogende Meer, und nun eben erschienen, einer Flottille gleichend, zahllose Segel in ungleichen Abständen auf der offenen See, ihrem Ziele zusteuernd. Schiffe aus aller Herren Ländern! Eine gewaltige Heerstraße von Dreimastern, Schonern, Kuttern und Dampfschiffen, deren schwarze Rauchfahnen zeitweilig die Linien des Horizonts verhüllten, erschloß sich dem Auge.

Endlich erinnerte sich Tromholt der Zeit und wandte sich wieder langsam der Stadt zu.

Der frische Athem der See hatte Lust und Sehnsucht in ihm geweckt. In rascher Reihenfolge lösten sich die Gedanken ab; Susannens Bild stieg vor ihm auf, Alten und Bianca winkten ihm, nach Limforden zu kommen, nach langer Zeit Wiedersehen zu feiern. Er beschloß auch, sich aufzumachen, einige Tage auf dem Lande zu bleiben, andere Eindrücke zu gewinnen, frische Kräfte zur Arbeit zu sammeln und wieder einmal von einem warmen Hauch der Liebe berührt zu werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_628.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2022)