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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Unter den ihn beherrschenden Vorstellungen blieb Tromholt stehen, reckte sich und streckte die Arme aus wie ein Mensch, der nur in solcher Weise seiner starken Empfindungen Herr werden kann. Utzlars Erzählung hatte ihn seltsam weich gestimmt. War dieser bei all seiner Armuth nicht fast reicher als er, Tromholt, mit allem, was er erreicht hatte? Er hätte ihn beneiden können, wäre für dieses Gefühl überhaupt Raum in seiner Brust gewesen. In seinem Herzen brach’s auf. Alles, was er einst gewollt und ersehnt hatte, nahm wieder Gestalt an. Immer nur allein im Dienst der Arbeit und Pflichterfüllung zu sein, das lähmte!

Der Morgen brach täglich an, der Abend schloß ihm die Augen, ohne daß er für sein Gemüth und Herz etwas eingesammelt hatte. War das alleiniger Zweck und Inhalt des Lebens? Freilich, ein weibliches Geschöpf gab’s auch für ihn in Kopenhagen, das ihn zärtlich liebte, das schon zitterte, wenn es seine Schritte hörte, das kaum etwas anderes dachte, als ihn zu erfreuen, einen guten Blick von ihm zu erhaschen: Ingeborg Elbe. Aber er konnte diese Liebe nicht erwidern, wie sie’s verdiente, ja, er durfte sie, um unbefangen zu bleiben, nicht einmal bemerken. Nur zu wohlbekannt mit den Qualen, die mit einer starken Neigung verbunden sind, fühlte er mit ihr und mußte doch wie ein Ahnungsloser neben ihr einhergehen.


Merkwürdiger Fall.
Zeichnung von Franz O’Stückenberg.


Ingeborg besaß im Grunde alles, was ein Weib einem Manne begehrenswert macht. Schön, edelgesinnt und tugendhaft, verband sie mit einem kräftigen Willen ein weiches Gemüth. Aber er liebte sie nicht mit jenem Gefühl, das nicht fragt nach den Gründen, das ein Weshalb nicht kennt, das sich dem andern Theil nach geheimnißvollen Gesetzen zuwendet wie die Welle dem Strande. In solcher Weise liebte er nur eine einzige, Susanne. Und diese Liebe war sein Verhängniß. Wie ein zweites Ich wohnte sie in seinem Inneren, und erst mit der Scheidestunde vom Leben, das wußte er, konnte die Erinnerung an sie ihm entschwinden. –

Als Tromholt die Stadt erreichte, war die Dämmerung bereits hereingebrochen, in dem engen Straßengewirr des Hafenviertels, durch das ihn sein Weg führte, war es dunkel und öde, die Laternen waren noch nicht angezündet, und nur aus den zahlreichen Matrosenkneipen und sonstigen Vergnügungslokalen niederen Schlags fiel hier und dort ein trüber Lichtschein auf das feuchte schlüpfrige Pflaster; schrille Musiklänge, dumpfes, hin und wieder mit helleren kreischenden Lauten vermischtes Stimmengebraus bekundeten, daß das wilde Treiben dort seinen Einzug gehalten. Die Luft war schwül und drückend, noch mit den widerlichen Mißdünsten des Tages durchsetzt, und Tromholt eilte umsomehr, aus dieser Atmosphäre herauszukommen, als die Stunde, da er zu Haus beim Abendbrot erwartet wurde, längst vorüber war und er von der Sorge, in die sein längeres Ausbleiben die empfindliche, leicht erregbare Ingeborg versetzen mußte, schädliche Folgen für deren Gesundheit befürchtete.

An den geöffneten Fenstern einer zur ebenen Erde gelegenen Taverne vorüberschreitend, hörte er sich plötzlich beim Namen rufen, und, unwillkürlich stillstehend, warf er einen Blick in das Innere des mit dichtem Tabaksqualm erfüllten Raumes. Bei der trüben Beleuchtung vermochte er jedoch nicht viel mehr als ein Durcheinander verschwommener Gestalten zu erkennen, von denen sich nur eine, die eines Seemanns in verlumptem Anzug mit rohem, aufgedunsenem Gesicht, deutlicher abhob. Der Mann schien eben von seinem Sitz aufgesprungen zu sein.

Einen Augenblick besann sich Tromholt, wo er diese Züge, die ihn mit überraschtem, drohendem Ausdruck anstarrten, schon gesehen haben könnte. Da ihm sein Gedächtniß jedoch nicht rasch genug den gewünschten Anhalt bot, so setzte er, überzeugt, sich getäuscht zu haben, seinen Weg fort, und seine vorauseilenden Gedanken beschäftigten sich wieder ausschließlich mit der seiner harrenden Ingeborg.

Er sah daher nicht und konnte auch nicht sehen, wie hinter ihm jene Gestalt vorsichtig auf die Straße heraustrat und, nachdem sie sich eine Weile scheu nach allen Seiten umgesehen hatte, dicht an die Häuser geschmiegt, schleichenden Gangs seinen hallenden Schritten folgte. Als Tromholt eben, den Weg zu kürzen, in eine noch engere und dunklere Seitengasse einbog, folgte ihm jener in raschem Lauf bis zur Ecke, um sodann wieder, lauernd wie ein zum Sprung bereites Raubthier, hinter ihm herzuschleichen.

Ohne eine Ahnung von seinem unheimlichen Verfolger zu haben, schritt Tromholt weiter, und schon war er am Ende der engen Gasse, an einer Stelle, wo dieselbe auf beiden Seiten von hohen, finsteren Mauern begrenzt wurde, angelangt, als plötzlich zwei starke Fäuste rücklings seine Kehle faßten und ihn, ehe er’s hindern konnte, zu Boden rissen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_629.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2022)