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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Der harte Aufschlag raubte ihm einen Augenblick die Besinnung, und wie er, zu sich kommend, aufspringen wollte, war es schon zu spät. Der andere hatte sich auf ihn gestürzt, ihm das Knie auf die Brust gestemmt und umschnürte ihm den Hals so fest, daß er zu ersticken vermeinte. Ueber ihm funkelten aus wuthverzerrtem Gesicht zwei Augen, die eher einem Tiger als einem Menschen anzugehören schienen.

„Larsen!“ stöhnte Tromholt, der nun seinen Gegner erkannte.

„Ja, Larsen!“ höhnte dieser. „Kennst Du mich noch? Hab’ Dich auch gleich wiedererkannt. Kein Wunder, wir sind ja alte Bekannte, schon von Mückern her, von meiner Hochzeit, haha! Mit dem Alten hab’ ich schon abgerechnet, heut ist’s an Dir! Hast mich wohl nicht so nah vermuhtet, dachtest, ich sei wohl aufgehoben drüben überm Ocean und Du könntest nun in Ruhe Deines Raubes genießen. Verrechnet, Bursche! Drüben war ich zwar, ja, aber ich hab’ meine Sache schlecht gemacht das letzte Mal, sieh, und das ließ mir keine Ruhe, das trieb mich wieder herüber. Jetzt mach ich’s besser; erst sollst Du’s erfahren und dann die Dirne, denn das ist sie durch Dich!“

„Mörder, feiger Meuchelmörder!“ kam es stoßweise aus Tromholts Brust. Nicht die Furcht vor dem Tod, aber die Schmach, wehrlos durch die Hand dieses Elenden, den er im offenen Kampf zerschmettert hätte, sterben zu müssen, die Sorge um Ingeborg, die er von dem selben Schicksal bedroht sah, war es, was ihn am meisten peinigte und ihn eine letzte verzweifelte Anstrengung machen ließ, sich den Händen Larsens zu entwinden. Allein es war vergebens, die zunehmende Athemnoth hatte die Kraft seiner Muskeln gelähmt, und schon hatte Larsen die Hand, in der ein Messer blitzte, zum tödlichen Stoß erhoben, als er plötzlich mit einem Wuthschrei von seinem Opfer abließ.

Aus dem Dunkel der Nacht war eine dritte Gestalt aufgetaucht, die seinen Arm bei Seite schlug und ihm das Messer zu entwinden suchte; gleichzeitig hörte man in der Ferne den Schritt einer Polizeipatrouille. Aber Larsens Wuth ließ ihn jede Vorsicht vergessen, er bedachte nicht, daß er es nunmehr mit zwei Gegnern zu thun hatte, und der Ausgang des Kampfes konnte nicht mehr zweifelhaft sein, da nun auch Tromholt, wieder im Vollbesitz seiner Kraft, seinem Retter zu Hilfe kam. Larsen wurde trotz seiner verzweifelten Gegenwehr entwaffnet, geknebelt und der inzwischen herbeigeeilten Wachmannschaft übergeben.

„Der Mensch,“ sagte Tromholt zu dem Führer derselben, „der mich hier hinterrücks in meuchelmörderischer Absicht überfallen hat, ist ein gefährlicher, von den deutschen Gerichten längst wegen Mordes verfolgter Verbrecher. Bringen Sie ihn zur Wache, ich werde selbst nachfolgen und meine Angaben dort niederlegen. Ohne das Dazwischentreten dieses Mannes wäre ich verloren gewesen, ihm allein verdanke ich mein Leben.“ Bei den letzten Worten wandte er sich an den unbekannten Retter, dessen Züge ihm die Dunkelheit bisher verborgen hatte.

„Wie! Sie sind es, Herr Tromholt?“ rief dieser, aus der Menschengruppe vortretend, die sich urplötzlich, man wußte kaum, woher sie gekommen war, an der Stelle versammelt hatte. „Wahrlich, dann war es kein Zufall, der mich hierher geführt hat, sondern die Vorsehung selbst!“

„Graf Utzlar, Sie?“ rief jetzt auch Tromholt, aufs höchste erstaunt.

Utzlar neigte das Haupt. „Ich kam von meiner Braut, wir hatten von der Zukunft gesprochen, in die mir Ihre heutigen Worte einen so hoffnungsreichen Ausblick eröffneten, und von Ihnen, unserem Wohltäter. Da, wie ich auf dem Heimweg an der Gasse vorbeikomme, höre ich ein Stöhnen wie von einem Sterbenden, ich eile zu der Stelle, von woher die Töne zu kommen scheinen, und – nun, Sie wissen das übrige. Ich hatte keine Ahnung, wem ich beisprang, nun aber weiß ich, daß ich das Werkzeug einer höheren Macht war, die meine Schritte lenkte.“

„Haben Sie Dank!“ sprach Tromholt, indem er ihm tief ergriffen die Hand drückte. „Aber, was ist Ihnen? Sie bluten, Sie sind verwundet?“

„O, nichts Erhebliches, ich muß mich wohl geschnitten haben, da ich dem Schurken das Messer entwand; es wird vorübergehen,“ meinte Utzlar, den Schmerz, den er jetzt erst empfand, gewaltsam beherrschend.

Aber Tromholt ließ sich dadurch nicht beruhigen. „Nein, nein,“ sagte er, „es ist eine starke Blutung.“ Und sich an die Umstehenden wendend, bat er den einen, einen Wagen, den andern, Wasser und Verbandzeug herbeizuschaffen. Alle drängten sich, seinem Wunsche nachzukommen, er selbst wusch Utzlar die Wunde aus und verband sie, so gut es eben ging; dann führte er ihn zu dem Wagen, der am andern Ende der Gasse bereit stand, fuhr mit ihm zu einem Wundarzt und von da zur Wohnung des Grafen. Erst als dieser, regelrecht verbunden und zwar stark fiebernd und durch den Blutverlust geschwächt, aber doch nach dem Ausspruch des Arztes außer jeder ernstlichen Gefahr im Bett lag, verließ er ihn, um zunächst Agnes, des Grafen Braut, in schonender Weise selbst von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen und dann auf der Polizeiwache die näheren Angaben bezüglich Larsens zu machen, der dort dumpf vor sich hinbrütend mit gefesselten Händen in einem Winkel hockte und jede Aussage verweigerte. Der höhere Beamte, der sich, von der Wichtigkeit des Fangs benachrichtigt, gleichfalls dort eingefunden hatte, befahl hiernach sofort die Abführung Larsens ist das Gerichtsgefängniß.

Als Tromholt endlich, nachdem alle diese Angelegenheiten erledigt waren, sich seiner Wohnung näherte, sah er schon von weitem Ingeborg am offenen Fenster, besorgt nach ihm ausspähend.

Da es bei Tromholts ungewöhnlichem Ordnungssinn bisher niemals vorgekommen war, daß er ohne Benachrichtigung oder Grundangabe sich verspätet hätte oder ausgeblieben wäre, hatte sich Ingeborg, deren Leben und Denken überhaupt nur auf ihn sich richtete, einer furchtbaren Unruhe hingegeben.

Im Geschäft, wohin sie das Mädchen geschickt hatte, wußte man weiter nichts, als daß der Chef sich wegen einer Schiffsladung, die morgen in aller Frühe gelöscht werden sollte, an den Hafen begeben habe, von dort aber nicht, wie es sonst seine Gewohnheit war, nach dem Bureau zurückgekehrt sei. Mit dem Hafen wie mit allem, was in irgend einer Beziehung zum Seemannsberuf stand, verbanden sich für Ingeborg die trübsten Vorstellungen. Noch immer tauchte zu bestimmten Zeiten die Schreckgestalt Larsens vor ihrer erregten Phantasie auf, sie hatte eine dunkle Angst, daß er wiederkehren würde, plötzlich, unerwartet, wenn er erführe, daß sie lebte, und von dort, von der See würde er kommen. Daß sein Haß Tromholt nicht weniger als ihr selbst galt, fühlte sie instinktiv, und sie zitterte für ihn mehr als für sich selbst. So wuchs denn ihre Angst von Stunde zu Stunde. So oft unten ein Schritt hallte, riß sie dem Gebot des Arztes und der beruhigenden Einsprache des Mädchens zum Trotz das Fenster auf und bog sich, ihre schwache Gesundheit dem schädlichen Einfluß der Nachtluft schonungslos preisgebend, weit hinaus, um zu sehen, ob er es sei. Dieser Zustand hatte sich nach wiederholten Enttäuschungen bis zum Fieberdelirium gesteigert, so daß das Mädchen sie fast mit Gewalt hindern mußte, das Haus zu verlassen und ihm, den sie bereits in seinem Blut schwimmen sah, zu Hilfe zu eilen.

Ueber all diese Vorgänge hatte Hansine, das Hausmädchen, Tromholt hastig unterrichtet, während er die Treppe emporstieg, und nun trat ihm auf dem Flur Ingeborg selbst, noch zitternd vor Erregung, mit glänzenden Augen und lebhaft gerötheten Wangen entgegen. Tromholt erkannte nur zu gut das Trügerische dieser blühenden Farben, und als Ingeborg nun sprachlos in überwallendem Gefühl seine Hände ergriff und ihn mit einem Blick anschaute, in dem die Freude, ihn wieder zu haben, noch mit der Angst um sein Leben kämpfte, da beruhigte er sie mit liebevollen Worten und drängte sie mit schonender Gewalt ins Zimmer, wo die Lampe auf dem gedeckten Tisch brannte und den freundlichen Eindruck stiller Häuslichkeit über den Raum verbreitete, der noch kurz vorher der Schauplatz so wilder Seelenkämpfe gewesen war.

Indem Tromholt an dem Tisch Platz nahm, überlegte er, ob es klug wäre, Ingeborg schon heute von dem Geschehenen in Kenntniß zu setzen, oder ob er damit nicht eine spätere Zeit abwarten sollte, wo ihre Nerven sich etwas beruhigt hätten. Aber während er sich noch auf eine Ausrede geschäftlicher Natur besann, bemerkte er, daß Ingeborg durch dieses Mittel nicht zu beruhigen sei, daß es vielmehr ihre Qual nur steigere. Obwohl er seinen Anzug sorgsam von allen Spuren des Kampfes gesäubert hatte, schien sie doch einen Theil des Vorgefallenen mittels jenes Ahnungsvermögens, das bei erregbaren Personen in ihrer Lage oft den Charakter des Hellsehens annimmt, zu errathen, ja, sie sagte es gerade heraus: „Sie sind ihm begegnet? Er ist da? O, ich wußt’ es ja, daß er kommen würde, der Elende! Er wird nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_630.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2022)