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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Und als nun der Richtige, der, welcher ihrem Ideal, soweit es eben menschenmöglich war, entsprach und wenigstens die hervorragendsten dieser Eigenschaften in sich vereinte, wie durch eine höhere Schickung plötzlich vor ihr stand und zu ihr sprach: ‚Ich liebe Dich, werde mein Weib!‘ da wollte sie’s nicht zugeben, daß er der Rechte sei, und eben weil ihr Herz sie im stillen schon zu ihm hinzog und sie fühlte, daß er bereits eine Macht über sie erlangt hatte, sträubte sich ihr trotziger Sinn gegen solchen Zwang und sie wies ihn zurück.

Nach Jahren aber, da sie noch immer im stillen jenes Mannes gedachte und sich mit aller Macht gegen den Gedanken wehrte, der ihr oft wie ein heimlicher Vorwurf vor die Seele trat, kam ein anderer, der von den vorerwähnten Eigenschaften keine oder doch nur die eine, nebensächliche, der vornehmen Geburt besaß. Wie der nun vor sie hintrat und mit falscher, berückender Stimme dasselbe, nur in anderer blumenreicherer Rede sprach, da – obwohl oder gerade weil alle, die es gut mit ihr meinten, sie warnten, und auch weil sie glaubte, des ihrem Stolz so peinlichen Gedankens an jenen ersten Freier damit am schnellsten ledig zu werden, da sagte sie ‚Ja‘ und nahm ihn.

Aber es zeigte sich bald, daß sie eine Perle gegen einen Kiesel, einen nichtigen, nur äußerlich und sehr oberflächlich geschliffenen Kiesel hingegeben hatte, und sie warf auch den Kiesel wieder weg. Da erkannte sie erst recht den Werth jener Perle, die zwar nicht aufdringlich an Glanz, aber doch ein echtes, kostbares Kleinod war, und einen Augenblick hoffte sie auch jetzt noch, jene wieder erringen zu können. Allein es war ein schöner Wahn. Der Mann, den sie damals verschmäht hatte, war gerade so stolz, wie sie selbst es gewesen, seine Liebe war erloschen, und ihre Reue kam zu spät. Seit sie das erkannt hat, will sie von den Männern, die sich noch immer um ihre Gunst bewerben, nichts mehr wissen und verzehrt sich in heißer, ohnmächtiger Sehnsuchtsqual nach dem einen, den sie für immer verloren. Für immer! Sie kann es noch nicht ganz fassen, und es giebt Augenblicke, wo sie beim leisesten Geräusch zusammenfährt und zittert und meint, er müsse es sein, der da komme und vor sie hintrete, um ihr das zu wiederholen, was er ihr damals gesagt – o wie ganz anders würde sie ihm jetzt antworten! – oder wo sie roth und blaß wird und ihre Augen leuchten, wenn der Postbote einen Brief bringt und sie glaubt, er komme von ihm, während er doch von Dir kommt, meine süße Ingeborg, und kein Sterbenswörtchen von ihm enthält. Ich glaube, manchmal ist sie sogar ein bißchen eifersüchtig auf Dich, mein liebes Herz. Aber siehst Du, so geht es den Burgfräulein, wenn sie zu stolz sind. Es ist eine recht traurige Geschichte, und sie thut mir herzlich leid, die arme – – jetzt hätt’ ich bald ihren Namen verrathen, und es ist doch nur ein Märchen, was ich Dir da erzählt habe. Aber nun zu etwas Lustigerem – –“

Tromholt las nicht weiter, eine heiße Blutwelle drängte ihm gegen das Auge und ließ die zierlichen Schriftzüge zu einem wirren Bilde verschwimmen, sein Herz schlug mächtig, er mußte die Hand, die den Brief hielt, darauf pressen, und ein Rausch des Glücks kam über ihn, ein Gefühl, wie er es nie in seinem Leben empfunden hatte, der späte Lohn für die Qual langer Jahre. Er schämte sich dessen fast im Anblick der Todten, die mit verklärtem, friedlichem Gesichtsausdruck dalag, als theilte sie auch noch dieses Glück mit ihm. Ihr hatte er es zu danken, das also war der letzte, höchste Beweis ihrer Liebe, die sie im Tod noch für ihn bekundete. Tromholt drückte einen Kuß auf die kalte, starre Hand und benetzte sie mit seinen Thränen, Thränen des Glücks und der Trauer, den ersten, die er seit lange geweint.




18.

Am Tage nach dem Ball beim Oberpräsidenten traf Snarre, als er eine Stunde vor dem Mittagessen die Ericiussche Wohnung betrat, Frau Ericius und Dina nicht zu Hause. Der Diener berichtete, daß die beiden Damen Besuche machten, daß aber Frau Susanne sich im Wohnzimmer befinde. Snarre kam dies nur halb gelegen. Er hatte sich inzwischen überlegt, ob er nicht Susanne zur Vertrauten seiner Absichten auf Dina machen und sie bitten sollte, die Gesinnungen ihrer Schwester in dieser Richtung näher zu erforschen. Aber dann war ihm aufs Herz gefallen, daß etwas Unzartes darin liegen könnte, gerade diejenige, der er einst selbst ziemlich deutlich gleiche Absichten in Bezug auf ihre Person zu erkennen gegeben hatte, in dieser Sache um Rath zu fragen.

Bei diesen Zweifeln wäre es ihm eigentlich lieber gewesen, der Zufall hätte die Dinge weiter gelenkt. Es ging ihm wie allen schwankenden Menschen, sie möchten gern etwas erreichen und gelangen doch zu keinem Handeln. Endlich entschloß er sich, bei Susannen einzutreten, statt sich, wie er einen Augenblick erwogen hatte, in den Garten zu begeben und Dinas Rückkunft dort zu erwarten.

Susanne saß auf ihrem gewohnten Platz am Fenster. Der Zug schmerzlichen Entsagens, den Snarre in letzter Zeit so oft auf ihrem Antlitz bemerkt hatte, war einer freundlichen Milde gewichen, das eindringende Morgenlicht verlieh dem sonst bleichen Gesicht eine frischere Farbe und von dem hellen Hintergrund hoben sich die Formen ihrer Gestalt in gereifter Schönheit ab. „Es ist etwas Madonnenhaftes an ihr,“ dachte Snarre, als sie ihm freundlich lächelnd Guten Morgen bot und ihn mit einer Gebärde voll ruhiger Anmuth zum Sitzen einlud.

„Ich freue mich, Sie in so guter Stimmung zu finden,“ sagte er, ihren Gruß erwidernd. „Man sieht, Sie haben fröhliche Gedanken, ich beneide Sie darum. Schade daß wir nicht tauschen können!“

„Ihre Voraussetzungen bezüglich meiner Laune treffen zu, Herr Graf,“ erwiderte sie ihm, den heiteren Ton des Gesprächs trotz seiner nachdenklichen Miene festhaltend. „Das kommt wohl davon, daß ich nicht wie Mama und Dina, die heute etwas angegriffen aussehen, auf dem Ball beim Präsidenten gewesen bin. Sollte die Nachwirkung dieses großen Ereignisses auch auf Ihr Gemüth einen Schatten geworfen haben? Oder was sonst veranlaßt Sie zu dem Wunsch, mit mir tauschen zu können? Uebrigens ein Gedankenaustausch gehört ja keineswegs ins Gebiet der Unmöglichkeiten, und wenn ich Ihnen damit einigen Trost spenden kann, soll mich’s freuen. Was bedrückt Sie, Herr Graf? Darf man’s wissen?“

„Ja,“ bestätigte Snarre in schier kläglichem Ton, „es sind die Nachwirkungen vieler anderer aufregender Dinge, nicht nur des gestrigen Balls, die mich bedrücken. Kennen Sie, gnädige Frau, jenes Gefühl des Unbefriedigtseins, jenen Drang nach einem Etwas, das unsere Gedanken trotz aller Gegenwehr ausschließlich in Anspruch nimmt, sie bald in die hellen Farben der Hoffnung, bald in die düsteren des Verzagens, der Unsicherheit, ja selbst des Grams taucht und uns in diesem raschen Wechsel von Stimmungen und Empfindungen der Fähigkeit eines kühnen Entschlusses völlig beraubt?“

„O ja, ja; ich kenne ihn, diesen Zustand!“ flüsterte Susanne, über deren Gesicht bei des Grafen Worten ein Schatten der Wehmuth geflogen war, mehr für sich, als in Erwiderung auf seine Rede. Zum Glück hatte der Graf, der den Kopf gesenkt hielt und seinen Gedanken nachhing, nichts davon gehört. Susanne fand Zeit, ihre Gemütsbewegung zu beherrschen, und in den früheren Ton zurückfallend, erwiderte sie nun laut: „Ein Zustand, wie Sie ihn schildern, Herr Graf, ist mir wohl, wenn ich nicht irre, aus Büchern bekannt, ich bezweifle aber doch, ob die Bezeichnung, die er dort findet, auch für Ihre Gemüthsstimmung paßt. Nein, nein, ich täusche mich wohl, Sie sind nicht verliebt, Herr Graf, Sie haben nur, wie Dina sagt, zu viele weiche Bettkissen, daran scheuern Sie sich die Gedanken wund.“

Susanne lachte bei den Schlußworten.

„Aus Ihrem Lachen,“ bemerke er etwas gereizt, „schließe ich, daß Sie Fräulein Dina beistimmen. Es scheint bei Ihnen allen ein unantastbares Evangelium, daß es mir zu gut geht und daß ich deshalb Verdruß empfinde. Sie glauben doch sicher nicht, Frau Gräfin, daß äußeres Wohlleben alles ist, dessen der Mensch bedarf? Seltsam, die Wohlhabenden erfreuen sich niemals der Theilnahme ihrer Mitmenschen, ihre körperlichen und geistigen Schmerzen sind belanglos. Sie haben ja Geld! Das ist die ausreichende Arzenei für alle Leiden, körperliche und geistige. Aber kommen wir einmal zur Sache, gnädigste Gräfin! Ich habe sehr das Bedürfniß, Ihnen mein Herz auszuschütten.“

„Bitte, sprechen Sie, Herr Graf!“ entgegnete Susanne, deren Gesicht einen ernsten Ausdruck angenommen hatte. „Was immer es auch sei“ – sie betonte ihre Worte merklich, – „seien Sie überzeugt, daß ich es in dem von Ihnen gewünschten Sinne auffasse.“

„Wohl!“ sagte Snarre, rückte ein wenig näher und faßte Susannens Hand, die sie ihm mit einer leichten Verlegenheit ließ,

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