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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

rasche, kunstfertige Hand. Die Näherin näht zuerst mit der Hand einen sogenannten „Butzen“ aus dem Ende eines Geflechtstückes. Dieser bildet meist die Mitte des Hutdeckels, und um ihn herum wird nun an der rastlos auf- und niederschießenden Nadelstange Reihe an Reihe genäht bis zum äußersten Rand des Hutes. Die Hand der Näherin muß sehr geschickt das Zuführen des Geflechts leiten, welches sie von einem seitwärts stehenden drehbaren Gestelle abwickelt, und dabei hat sie fortwährend den entstehenden Hut zu wenden und zu drehen, um auch die vorgeschriebene Form herauszubekommen. Nur auf Augenblicke unterbricht die Näherin das Nähen auf der mit nervösem Zittern wie rasend arbeitenden Maschine und stülpt den fertigen Theil des Hutes über eine Holzform, die den zukünftigen Hut darstellt, um sich auf diese Weise zu versichern, daß sie die Maße richtig eingehalten hat. Je verwickelter die Form, desto schwieriger ist das Nähen. Da müssen oft Ausladungen des Kopfes oder des Randes mit sogenannten Einlegern „herausgeholt“ werden. Besonders schwierige Formen werden teilweise oder auch ganz mit der Hand genäht.

Eine große Errungenschaft ist es, daß auch für die Strohhutfabrikation die Nähmaschine dienstbar gemacht werden konnte. Die Arbeiterinnen sind dadurch einer mühseligen Stichelei enthoben, die ihnen nur zu oft die Finger bluten gemacht hat.

Zum Appretiren der Strohhüte, welches nunmehr folgt, wird ausschließlich Gelatine verwendet. Weiße Strohhüte werden, um eine möglichst helle Farbe zu gewinnen, geschwefelt. Zu dem Ende bringt man die Ware nach der Appretur in den Schwefelkasten, die Hüte werden auf einen Rost gebreitet, unter welchem in einem ausgehöhlten Stein Schwefelblüthe verbrannt wird. Je nach der Beschaffenheit der Ware dauert das Schwefeln längere oder kürzere Zeit.

Dem roh genähten Hut fehlen selbstverständlich noch die feinen, gefälligen Linien und Schweifungen. Diese giebt man ihm an den Ziehformen und den hydraulischen Pressen. Die ersteren sind gußeiserne, hohle Hutköpfe, die durch Stichflammen dauernd in einem heißen Zustand erhalten werden. Man zieht die Hüte über diese heißen Formen und bringt sie dann in die ebenfalls erhitzte Preßform, die in die Presse eingesetzt wird. In den Hut legt sich ein Gummibeutel, der auch annähernd eine Hutform darstellt, die Presse wird geschlossen, und nun wird mittels eines Druckwerks Wasser in den Gummibeutel gepumpt. Dadurch wird der Hut ausgeformt, und bald darauf verläßt er „blank und eben“ den metallenen Kern. Bei dieser Behandlung, die ihrer Natur nach mit dem Plätten zu vergleichen ist, muß der Hut bald feucht und bald trocken sein, sie erfordert gleichermaßen viel Uebung und ist schwieriger, als es hier nach dieser flüchtigen Beschreibung erscheinen mag.

Jetzt kommt der äußere Schmuck. Die Garniererinnen nehmen sich nun des Hutes an, doch betrifft das meist nur Männer- und Kinderhüte, das Garnieren der Damenhüte ist ja ein eigenes weitverbreitetes Gewerbe, bei welchem die persönlichen Wünsche noch eine große Rolle spielen und das wohl nie eine großindustrielle Umformung zu fürchten hat.

Neuerdings sind die Bänder der Strohhüte zu einem ausgesprochenen Modeartikel geworden, die männliche Jugend schenkt ihnen nicht weniger Aufmerksamkeit wie z. B. dem Shlips. Und warum auch nicht? Ein schmuckes gemustertes oder doch farbiges Hutband kommt noch ganz anders zur Geltung als etwa ein schwarzes, und die Jugend hat ja das schöne Vorrecht, sich zu schmücken und Lebensfreude zur Schau zu tragen.

Der Strohhut ist ein leichter Patron, in verpacktem Zustande gehört er zum sogenannten „Sperrgut“ d. h. zu demjenigen, welches bei geringem Gewicht einen unverhältnismäßig großen Raum einnimmt; da ist es denn kein Wunder, wenn man auf dem Weg von der Station Röthenbach hinauf nach Lindenberg häuserhoch aufgethürmten Kistenfuhren begegnet, die sich in lustigem Tempo dahinbewegen, als gälte es eine Spazierfahrt. Auch die Postwagen sind oft hochbeladen mit Spankörben, die meistens „pressante“ Waren enthalten, welche als Frachtgut zu spät kommen würden.

Der Versand geht nicht nur nach Orten Deutschlands und der benachbarten Länder, sondern auch außerhalb Europas, wo immer es den Schutz gegen eine heiße Sonne gilt, ist das Lindenberger Fabrikat begehrt.

Ein großes Bedürfniß für das Lindenberger Strohhutgewerbe ist die Herstellung eines Schienenwegs, welcher den Marktflecken mit der 11/2 Stunden entfernten Eisenbahnstation Röthenbach verbindet. Bereits sind auch durch einen eigens hiefür gebildeten Ausschuß bei der bayerischen Regierung die einleitenden Schritte gethan worden. Mögen diese Bemühungen von einem guten Erfolge gekrönt sein; denn es ist gewiß, daß eine solche Bahnverbindung Lindenberg sowohl als den benachbarten Ortschaften zu einem lebhaften Aufschwung verhelfen würde.




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Heiße Tage.

Erinnerungen aus der Schlacht von Noisseville am 31. August 1870.

Klar und thaufrisch brach der 31. August 1870 an, strahlend hob der feurige Sonnenball sich über dem Horizont empor und tauchte Thal und Hügel in Purpurgluth. Lachend und leuchtend breiteten die grünen Fluren und Rebenhügel Lothringens sich vor unseren Blicken aus, als herrschte tiefer Frieden und als sollten die Glocken der umliegenden Ortschaften jeden Augenblick ein Feiertagsgeläute beginnen.

Vor uns auf dem östlichen Rande des Moselthales erhob sich in guter Kanonenschußweite neben dem altersgrauen Schlosse Grimmont trotzig das große Fort von Metz „St. Julien“ und weiterhin im Südwesten Bellecroix.

Eine feierliche Stille lagerte über der Landschaft, jene Stille, die Gegenden eigen zu sein pflegt, in denen große Kämpfe stattgefunden haben. Kein Vogel erhebt dort seinen Gesang, in den Ortschaften regt sich kein Laut, der auf gewerbliche oder landwirthschaftliche Thätigkeit schließen ließe, selbst das Hundegebell ist verstummt, die Viehherden sind verschwunden und der Haushahn kündigt nicht mehr den nahenden Morgen mit lautem Rufe an.

Der Kampf bei Colombey-Nouilly am 14. August hatte diese Gegend in Schweigen gehüllt; nur vorübergehend wurde dasselbe durch das Rasseln anrückender Artillerie oder den flüchtigen Hufschlag einzelner Kavalleriepatrouillen unterbrochen.

Auf den Bivouacplätzen umher herrschte bei uns mit dem ersten Sonnenstrahl emsige Thätigkeit. Geschäftig kochten die Mannschaften ihren Kaffee in offenen Kochgeschirren an den lustig qualmenden Kochlöchern; schmeckte der edle Trank dann auch etwas räucherig, was schadete das, es war eben „Mokka à la guerre“. Wasser- und Holzkommandos marschirten ab und kamen an, und die Fouriere bereiteten die Verteilung der Tagesrationen vor.

Bei unserem Bataillon herrschte eine besonders lebhafte Thätigkeit. Excellenz von Bentheim, unser Divisionskommandeur, wollte die an diesem Tage nicht auf Vorposten befindlichen Bataillone sehen; zu ihnen gehörten auch wir, und da hieß es denn blitz und blank erscheinen. Ein jeder wollte vor dem beliebten Kommandeur so viel wie nur möglich „glänzen“, deshalb diese Ameisenthätigkeit; es blitzte und funkelte denn auch an Gewehren, Helmen und Knöpfen etc. mit den Thautröpfchen im Grase um die Wette; endlich rückten wir zur Paradeaufstellung ab.

Auf die Minute galoppirte Excellenz mit seinem Stabe heran, die Ehrenbezeigungen wurden erwiesen und mit einiger Verwunderung sahen wir den General mit seinem Gefolge statt nach dem rechten Flügel der Aufstellung geradeswegs auf unsere Fahne zureiten. Diese, deren Schaft in dem heißen Kampfe am 14. August durch eine feindliche Kugel zerschmettert worden war, trug noch die erste kunstlose Bandage, ein paar fingerdicke Eisenstäbe mit einem Strick fest über die Bruchstelle geschnürt. Unmittelbar vor der Fahne hielt der General, und den Helm abnehmend, rief er mit weithin tönender Stimme: „Vor dieser Fahne nehme ich meinen Helm ab, brave Dreiundvierziger!“

Einen Augenblick hielt das ganze Gefolge entblößten Hauptes vor dem präsentirenden Bataillon, ein Augenblick höchster Anerkennung für dasselbe, dann nahm die Parade ihren Verlauf; nach derselben schwenkten die Bataillone zum großen Quarreé ein, der Feldgottesdienst begann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_639.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)