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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Unter Hinweis auf den mörderischen Kampf und glänzenden Sieg am 14. sprach unser Divisionspfarrer ergreifende Worte und schloß mit einem Gebete für die braven Gefallenen, die ihre ferne Heimath, die Ihrigen nicht wiedersehen sollten, sowie um Trost und Ergebung in den Willen des Allmächtigen für die Hinterbliebenen und die an ihre Schmerzenslager gefesselten Verwundeten.

Es war eine tiefernste und ergreifende Feier, die auf einen jeden sichtlichen Eindruck machte. Waren doch so viele liebe Kameraden am 14. August im heiligen Kampfe für König und Vaterland aus unseren Reihen gerissen worden und hatten ihr Leben freudig verblutet, in der Gewißheit, einen entscheidenden Sieg mit errungen zu haben!

Wir rückten nach unserem Lagerplatze ab, doch nicht lange sollte unsere gehobene Stimmung, unsere Ruhe dauern; Bazaine erinnerte uns sehr bald an die rauhe Wirklichkeit und den Zweck unserer Anwesenheit vor den als uneinnehmbar gerühmten Werken der stolzen Festung.

Die zweite Division befand sich in leichtem Gefecht mit dem Gegner, auch wir gingen vor. Das Feuer verstummte jedoch bald und dichte Rauchwolken zeigten uns an, daß die Söhne des sonnigen Frankreich mit allem Ernst an das Mittagsessen dachten.

Trotzdem verblieben wir in der Gefechtsstellung.

Es war vier Uhr nachmittags geworden, eine Zeit, in der die Besatzung der Festung Metz und die Truppen Bazaines gern „anzufangen“ pflegten, und mit Spannung sahen wir dem Kommenden entgegen, als sich plötzlich das Fort St. Julien uns gegenüber in eine weiße Rauchwolke hüllte; sausend und zischend stob die erste Salve, wohl aus allen Geschützen des Forts, heran und fast gleichzeitig eröffnete die feindliche Infanterie ihr Feuer gegen unsere Division bei Noisseville, Servigny, Poix und Failly. Unter dem Schutze dieses Feuers setzten sich die feindlichen Kolonnen gegen unsere Stellung in Bewegung.

Ein furchtbarer Kampf entspann sich nun. Bazaine wollte mit seiner Uebermacht den Durchbruch nach Nordost erzwingen, um nach Sedan zu entkommen; wäre ihm dieser gelungen, weiß Gott, wie der Krieg geendet hätte. Unserer, der ersten Division war hauptsächlich die ehrenvolle Ausgabe geworden, diesem Vorhaben einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Immer neue Massen stürmten gegen die von uns besetzten Ortschaften heran, doch unerschüttert hielten die schwachen Besatzungen ihre Stellungen. Salve ans Salve krachte den gegnerischen Kolonnen entgegen und ein sprühendes Schnellfeuer knatterte ohne Unterbrechung. Unsere Artillerie war mit etwa 10 Batterien zwischen Servigny und Poix aufgefahren und unterhielt ein wahres Schnellfeuer gegen die Angreifer. Truppen des vierten französischen Armeecorps rückten trotzdem unaufhaltsam gegen die genannten Orte heran, welche je von zwei Bataillonen des 1. und 41. Regiments besetzt waren. Doch vergebens waren alle Anstrengungen, der feindliche Angriff scheiterte gänzlich. Das mit tödlicher Sicherheit abgegebene Schnell- und Salvenfeuer der Königsberger Grenadiere und Musketiere ließ die Stürmenden keinen Boden gewinnen und richtete namenlose Verheerungen unter ihnen an. Jeder Erfolg war diesem mit maschinenartiger Sicherheit abgegebenen Feuer gegenüber unmöglich.

Zur Unterstützung der Dorfbesatzungen ließ General von Bentheim im entscheidenden Augenblicke das zweite Treffen, Ostpreußischcs Grenadierregiment Nr. 3 und 1. Jägerbataillon, vorgehen. Dieser wie aus dem Exercierplatze ausgeführte Stoß traf den Gegner unerwartet, seine schon ermattenden Truppen zogen sich unaufhaltsam zurück.

Unser Bataillon – das 1. des 43. Regiments – hatte gleich zu Anfang des Kampfes den Befehl erhalten, zur Deckung der Artillerie Aufstellung zu nehmen. Wer sich je in einer solchen Stellung befunden hat, weiß, welche Bedeutung sie für die Truppe und den einzelnen Mann hat. Während die Kameraden im lebhaften frischen Kampfe ihre Kräfte mit dem Gegner messen, im Bereiche des feindlichen Feuers unthätig dazustehen, erfordert keinen geringen Grad von Selbstbeherrschung und Nerven von Stahl, denn man hat Muße genug, Berechnungen darüber anzustellen, ob und wo die heransausende Granate in die Kolonne einschlagen und wer ihr zum blutigen Opfer fallen wird. Es gehört dazu hoher moralischer Muth und eine Mannszucht, wie sie, Gott sei Dank, der deutschen Armee eigen und in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Auch unsere Leute fühlten die Wucht der gefährlichen Lage, besonders die jungen Mannschaften, doch bald siegte der heitere Juqeudmuth, und die in jeder Truppe vorkommenden „Karnickel, die immer anfangen“ und denen der Humor nie fehlt, machten auch hier bald ihre Kraftscherze bei heransausenden Granaten wie „Kapp weg!“ oder „Karl, duck di, Steen kömmt“ etc. Endlich bei hereinbrechender Dunkelheit erhielten auch wir den Befehl zum Vorgehen und mit kräftigem Hurrah schwärmten unsere Schützenzüge dem abziehenden Gegner nach. Das Bataillon ging zwischen Servigny und Noisseville im Vallieresgrunde vor, während der dritte Schützenzug links davon, als Flankendeckung des Bataillons, gegen Noisseville avancirte.

Nur ein matter Dämmerschein herrschte noch, als wir uns durch ein großes Rebenfeld gegen Noisseville hin durchzuarbeiten suchten. Immer tiefer sank die Nacht herab, das Feld lag schwarz wie Tinte vor uns, wir machten Halt und stellten unser nur von einzelnen Rotten abgegebenes Feuer ganz ein. Vom Dorfe her blitzte noch dann und wann ein Gewehrschuß auf, und mit scharfem Pfiff beschrieb das Geschoß jedesmal einen hohen Bogen über uns fort. Ein Witzbold sprach sofort das geflügelte Wort aus: „Die Franzosen wollen Löcher in die Nacht schießen, damit es ein wenig Heller werde.“

Endlich stellten auch unsere Gegner das Feuer ein. Nur von Servigny, wo unser zweites und Füsilierbataillon in Gemeinschaft mit der ersten Brigade in Thätigkeit waren, knatterte unausgesetzt das Gewehrfeuer herüber, und von unserem Bataillon hörten wir aus dem Ballieresgrunde einige Salven heraufkrachen.

Vor uns herrschte eine unheimliche Ruhe, der Nachtwind rauschte und raunte, flüsterte und zischelte in dem Laube der Weinstöcke, schlief ein und begann im Augenblick wieder sein heimliches Flüstern. Ein leises Knarren der Rebstöcke an den Pfählen war wohl durch den Wind verursacht. Wir strengten unser Sehvermögen an, um etwas in dieser Dunkelheit zu erkennen, doch vergebens, nur unmerklich hob der Himmel sich von dem Rebengelände ab, uns schmerzten die Augen vor Anstrengung, sehen konnten wir aber trotzdem nichts. Und dennoch – waren unsere hochgradig angespannten Nerven nur daran schuld, oder war es Wirklichkeit – schien etwas in der Dunkelheit vorzugehen, das sich unseren Blicken entzog. Das Rauschen, Knarren und Flüstern in den Weinstöcken schien eigenthümlich zugenommen zu haben, während der Wind an Stärke abnahm. Wieder setzte der Wind etwas stärker ein, es knackte und rauschte vor uns, auch als der Lustzug aufhörte.

Da durchzuckte den ganzen Schützenzug wie ein elektrischer Schlag die halblaute Warnung des Zugführers: „Achtung!“ Jeder glaubte in demselben Augenblicke eine eigenthümliche Bewegung in den Weinstöcken bemerkt zu haben, krampfhaft umspannte jede Faust das schußfertige Gewehr. Da knistert’s und raschelt’s in den Büschen und klingt wie verhaltenes Keuchen hervor, dann „kroch es heran, regt’ hundert Gelenke zugleich“. „Dreißig Schritte, Schnellfeuer!“ donnert das Kommando des Zugführers, und die letzten Silben werden schon vom Prasseln der Schüsse verschlungen.

Ein Wuthgeheul und Schmerzgeschrei mischt sich mit unserem salvenartigen Feuer, eine schwarze langgestreckte Masse erhebt sich im Feuerschein der Schüsse über die Weinstöcke, doch nur einen Augenblick, die Wirkung unseres Feuers ist zu furchtbar! Dann taucht die Masse wie eine verrinnende Woge in der Finsterniß unter, und das Geräusch brechender Weinstöcke zeigt uns den wilden Rückzug der Gegner an.

Leise rauschte der Nachtwind, und flüsternd schwangen und schwebten die Ranken der Weinstöcke über den Gefallenen.

Bald rief uns ein Hornsignal zum Bataillon, mit den, wir bis zur Höhe östlich von Servigny zurückgingen.




Es war eine für die Jahreszeit recht kalte Nacht, vom 31. August zum 1. September 1870, dichte Nebel stiegen auf und hüllten Himmel und Erde bald in eine Dunstmasse. Unser Bataillon brachte infolge der Nähe des Gegners, welcher Noisseville noch besetzt hielt, die Nacht unter dem Gewehr zu, jeden Augenblick bereit, den Kampf mit dem etwa hervorbrechenden Gegner aufzunehmen.

Feuer durften nicht angezündet werden, und wir froren um so mehr, als niemand mehr einen Schluck „Liebeskümmel“ in der

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