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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ausführlich und sehr begeistert. Thekla hörte aufmerksam zu und gab dann und wann durch beifälliges Nicken ihre Zustimmung zu erkennen.

„Der Mensch ist ein Wunder!“ rief sie, als Annie geendet, „Aristokrat und Geistlicher – und solch vernünftige, menschliche Ansichten! Sieh, sieh! Den möchte ich kennenlernen!“

„Das wirst Du ja!“ Annie fühlte zu ihrem Aerger, daß sie erröthete. „Er will bei uns Besuch machen. Vorläufig kommen heute die Ulanen!“

„Niemand sonst?“

„Nein!“

„Hm!“

Eine knappe Stunde später schlug der würdige Lamprecht die Salonportieren zurück und meldete den Damen, daß die Herren Rittmeister Thor von Hammerstein und Göben, sowie die Herren Lieutenants von Conventius und Gründlich um die Ehre bäten, ihre Aufwartung machen zu dürfen; dazu überreichte er die Karten auf silbernem Teller.

„Wir lassen bitten,“ sagte Thekla und sonderte sofort mit ihrem geübten Blick aus den vier neuen Gesichtern dasjenige heraus, das ihr am zusagendsten erschien: ein frisches, junges Antlitz war’s, mit einem flotten Bärtchen und übermütig blitzenden Augen.

„Wenn das der Conventiussche Vetter ist – der Bursch gefällt mir!“ dachte sie.

Und: „Alle Wetter, die gelehrte Schwester!“ dachte er. „Was sie für gescheite Augen im Kopf hat!“ Laut sagte er dazu: „Ich müßte eigentlich vor Ihnen eine heillose Angst empfinden, meine Gnädigste – aber nun ich Sie sehe, gestehe ich ehrlich: nein, ich habe keine!“

„Mir außerordentlich erwünscht! Leute mit Angst sind mir nicht angenehm; aber warum ist sie Ihnen denn geschwunden?“

„Sie sehen zu klug aus, um nicht auch menschlich gut zu sein!“

„Wenn Sie mich vermittels einer feinen Schmeichelei fangen wollten, Herr von Conventius, so erfahren Sie hiermit, daß es Ihnen halb gelungen ist!“

„Bloß halb? Denken Sie sich, ich hatte auf mehr gerechnet!“

„Da kennen Sie meine Schwester schlecht!“ rief Annie belustigt dazwischen. „So leicht gewinnt man die nicht! Der Weg zu ihrem Herzen führt durch ihren Verstand, und da dieser ungewöhnlich scharf ist, so kann man sich wirklich etwas darauf einbilden, wenn man ihr zusagt!“

„Damit haben Sie selbst sich die feinste Schmeichelei gesagt!“

„Mitnichten! Schwestern zählen gar nicht mit; ich hab’ es überhaupt nicht nöthig gehabt, mir Theas Liebe zu erwerben – sie selbst hat mir’s erzählt, dieselbe wäre einfach da gewesen mit dem Augenblick, als mein Vater mich ihr als kleines, neugeborenes Kind zum ersten Male in die Arme legte.“

„Das stimmt!“ nickte Thekla, und sie empfand jetzt noch das warme aufwallende Zärtlichkeitsgefühl, das sie durchströmt hatte, als sie damals die weiche, kleine, hilflose Last an ihr Herz gedrückt hielt.

Indeß hielten die Herren von Hammerstein und Göben Umschau in dem weiten, schönen Salon mit der blumigen Seidentapete, den Ebenholzmöbeln, dem prachtvollen Konzertflügel und Smyrnateppich. Alles gediegen und großartig, von Reichthum und Geschmack redend. In den Wandnischen schöne Büsten und Statuen, an der größten Wandfläche eine vortreffliche Kopie des Guido Renischen Helios in Originalgröße, in den Ecken große, kunstvoll geschnitzte Gestelle, mit Mappen, Bildern und Photographien gefüllt.

Und die Eigenthümerin all dieser Herrlichkeiten – die Haupteigenthümerin, denn die kranke Schwester zählte doch wohl hierbei nicht recht mit – paßte ausgezeichnet als reizendes Bild in den Rahmen, der sie hier umgab. In jugendlicher Anmuth und Schönheit, die um so reizvoller wirkte, da sie sich völlig unbefangen gab, plauderte und lachte sie mit den Herren, wußte auch den schweigsamen, phlegmatischen Thor, den ruhigen Göben geschickt ins Gespräch zu ziehen und parirte Gründlichs Witze so schlagfertig, daß dieser immer unternehmender wurde. Wetter noch eins – was für ein prächtiges Mädel! So die richtige Offiziersfrau – denn das bißchen Schöngeisterei und Klugkosen, das sie hier bei der gelehrten Schwester angenommen hatte, das würde man ihr schon bald abgewöhnen, wenn man sie erst einmal als Stern ersten Ranges auf den Kasinobällen, Korsofahrten und Reitpartien hatte!

Fritz von Conventius mußte innerlich lachen, wie jeder der drei Kameraden sich auf seine Art „ins Zeug legte“, um dieser schönen Annie Gerold zu gefallen. „Kinder, bemüht Euch nicht,“ hätte er ihnen zurufen mögen, „Hände weg! Das ist nichts für Euch! Die Trauben hängen ein bißchen zu hoch – die habe ich für meinen Vetter Reginald bestimmt!“

Und in diesem Sinn betheiligte sich, zu der drei andern heimlicher Verwunderung und Freude – denn mit Recht hielten sie ihn für den anziehendsten unter ihnen! – Lieutenant Fritz nicht im geringsten an dem galanten Treiben seiner Freunde; ganz ruhig und gesetzt hatte er seinen Stuhl an Theklas Sessel herangeschoben und unterhielt sich mit ihr, das heißt nur von solchen Dingen, über die er gut unterrichtet war. Spielte sie hie und da auf Gegenstände an, die ihm fern lagen, so sagte er in seiner treuherzigen Art sofort:

„Nehmen Sie mir’s schon nicht übel – davon verstehe ich aber nichts!“ und brachte es durch diese Ehrlichkeit dahin, daß er der gefürchteten Dame außerordentlich gut gefiel. Gottlob – ein Mensch, der nicht mehr vorstellen will, als er wirklich ist, und der in Dingen, mit denen er sich ernstlich beschäftigt hat, doch seinen Mann steht!

Von Hedwig Rainer sprachen sie, der niedlichen blonden Tischnachbarin des Lieutenants bei jener Weylandschen Gesellschaft, und Thekla nannte sie ein gutes, liebenswürdiges Kind, „keine gezierte Gans, wie so viele von den jungen Mädchen, die mit Annie verkehrten. Wissen Sie, Herr von Conventius,“ schloß sie lachend, „mir will scheinen, das wäre eine Frau für Sie!“

„Danke vielmals! Für jetzt will mir das noch nicht so ganz scheinen – man soll aber niemals etwas in Zukunft verschwören! Wie es scheint, liegen heute hier die heimlichen Heirathspläne in der Luft.“

„So? Machen Sie denn auch welche?“

„Sie können ganz ruhig sein“ – Fritz schob sich vertraulich etwas näher an Theklas Sessel heran – „ich sorge nicht fürs Regiment, obgleich das vielleicht unkameradschaftlich von mir ist. Nein, ich habe da so meine stillen, sehr edlen und sehr selbstlosen Pläne, und man kann gar nicht wissen, ob ein gütiges Schicksal dieselben nicht am Ende doch begünstigt“ – – hier stockte der Sprecher, wurde nachdenklich, sah mit seines Geistes Auge Annie Seite an Seite mit Delmont in die Kirche treten und auf der versteckten Bank Platz nehmen und schloß innerlich mit den Worten: „Dieser verteufelte Maler!“ – –

„Unsere zwei offiziellen Hausbälle sind schon vorüber,“ sagte Thekla Gerold, als die Ulanen nach einer Weile Abschied nahmen, „vielleicht darf ich aber die Herren bitten, uns gelegentlich einmal zu einer kleinen, zwanglosen Gesellschaft mit nachfolgendem Tänzchen zu beehren?“

O ja, sie durfte bitten! Die Herren waren so liebenswürdig, eifrig zuzustimmen, und maßen schon jetzt das spiegelnde Parkett des Saales mit tanzlustigen Blicken. Welch netter Einfall von dem Blaustrumpf, ihnen ein solches Vergnügen in Aussicht zu stellen! –

Sie können auch einmal ohne Einladung kommen!“ flüsterte Thekla dem Lieutenant von Conventius zu und freute sich über sein freundliches dankendes Kopfnicken. Und dieser Begünstigte erhielt jetzt auch einen Händedruck – nicht nur von der „alten Schwester“ – nein, auch Annie legte ihre Rechte freundlich in die seine … wie konnte sie es ahnen, daß der Schelm in diesem Augenblick dachte: „Wart’ Du nur! Bist Du erst meine Cousine geworden, dann küss’ ich Dich auch!“ – –




6.

Der Gefängnißdirektor Warnow, ein untersetzter Mann mit graugesprenkeltem Haar und Backenbart, eine goldgefaßte Brille über den gescheit und verständig schauenden Augen, stand, an seinen Schreibtisch gelehnt, in seinem Arbeitszimmer und sah nachdenklich auf den großen, kahlen, an zwei Seiten mit regelmäßigen Baumreihen bepflanzten Gefängnißhof, der augenblicklich ganz unbelebt war. Nur ein junger Gehilfe des Schließers ging träge in Wasserstiefeln, einen Eimer in der Hand, zu dem im äußersten linken Winkel des Hofes gelegenen Brunnen, von dessen Handhabe ein paar Krähen mit heiserem Krächzen emporflogen und sich in den lichtgrauen Aprilhimmel verloren.

Dem Direktor gegenüber stand Reginald von Conventius, den Hut in der Hand, wie jemand, der im Begriff ist, aufzubrechen;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_651.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)