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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Dina schüttele den Kopf. „Nein, Herr Graf, lassen wir lieber Vergangenes ruhen! Sie werden Ihre Gründe gehabt haben, und ich achte dieselben, trotz unserer – ich gestehe es – starken Enttäuschung.“

„Ich möchte aber, da Enttäuschung sich leicht mit Mißstimmung verbindet, Ihnen gern eine Erklärung geben, mein hochverehrtes Fräulein. Daß Sie mir zürnen, fühle ich trotz Ihrer rücksichtsvollen Worte heraus. Und nicht wahr? Wir wollen doch gute, ehrliche Freunde bleiben, Mißverständnisse sollen uns nicht trennen?“

Diesmal antwortete Dina nicht. Sie zuckte nur mit ernster Miene die Achseln.

„Sagen Sie mir, welche Gründe schoben Sie mir im Gegensatz zu den von mir schriftlich angegebenen unter, Fräulein Dina? Ich bitte Sie!“

Einen Augenblick besann sich Dina, dann erwiderte sie mit etwas größerer Zuvorkommenheit im Blick und Ton:

„Da Sie mich fragen, will ich’s nicht länger verschweigen, Herr Graf. Ich nahm an, Sie hätten einen Vorwand gebraucht, um plötzlich Ihnen lästig gewordene Beziehungen abzubrechen. Sie sind Herr Ihrer Schritte, aber ich finde, Sie hätten eine andere Form wählen können. Empfanden Sie Furcht, Unbehagen? Glaubten Sie, wir würden Sie von Ihren Entschlüssen zurückhalten?“

Durch diese Rede ward Snarre äußerst betroffen, er erkannte jetzt erst die ganze Tragweite seines Benehmens und erschrak vor den möglichen Folgen einer so tiefgehenden Kränkung, die er nicht vorhergesehen hatte. Daher klang auch ein besonders warmer, überzeugender Ton durch seine Worte, mit denen er, ohne das formell Unrichtige seines Verhaltens zu bestreiten, den in der That unverdienten Vorwurf zu entkräften suchte.

„Ich gebe Ihnen mein Wort als Edelmann, daß Sie sich täuschen, Fräulein Dina. Nur etwas Wahres liegt in Ihren Worten, daß nämlich ein gewisses Unbehagen mir den Entschluß zu der plötzlichen Reise ohne Abschied eingab. Erlauben Sie, daß ich mich, da nun einmal die Dinge gegen meinen Willen sich so gestaltet haben, offen über alles ausspreche.

Als ich an jenem Abend nach meinem letzten Besuch, da ich Sie zu sehen nicht das Glück hatte, den Gasthof betrat, fand ich dort die gewohnten ärgerlichen Briefe aus Limforden vor. Herr von Alten verlangte eine Antwort auf geschäftliche Fragen, und diese ihm zu ertheilen, war schriftlich nicht möglich. Es drängte mich infolgedessen, so bald wie irgend angängig, mit Tromholt Rücksprache zu nehmen, mit welchem ich seit längerer Zeit wegen des Verkaufs der Werke unterhandle. Eine Aussprache mit ihm mußte meinen Auseinandersetzungen mit Alten vorhergehen. Deshalb beschloß ich, zunächst nach Kopenhagen zu reisen. Nachdem ich die Limfordener Briefe gelesen, entfaltete ich die Zeilen, die Fräulein Elbes Tod meldeten, und ich begriff, daß Sie, Fräulein Dina, dadurch in eine sehr gedrückte Stimmung gerathen würden. Der natürliche Takt verbot mir unter solchen Umständen, mit Ihnen über die Dinge zu sprechen, die mir sehr am Herzen liegen. Ich aber war nicht mehr imstande, ferner so ohne Aussprache neben Ihnen herzugehen, und ich wußte, Ihre Frau Schwester, die ich ins Vertrauen gezogen hatte, würde es aus gleichen Gründen jetzt vermeiden, Ihnen von meinen Wünschen zu reden. Deshalb zog ich es vor, mich zu entfernen, und folgte dabei zugleich einer – ich gestehe es – etwas selbstsüchtigen Laune. So, nun wissen Sie alles! Wenn Sie sich, und ich habe zahlreiche Beweise dafür, wie gut Sie sich in die Stimmung anderer Menschen hineinzuversetzen vermögen, in meine Lage denken, werden Sie – ich hoffe es – nicht zu scharf mit mir ins Gericht gehen.“

Snarre brach rasch ab und beobachtete den Eindruck, den seine Worte auf Dina machen würden. Aber es war nicht der, den er erwartet hatte.

Dina war sichtbar nicht befriedigt durch seine Erklärung, sie blickte, das Haupt bewegend, ins Leere und erhöhte durch ihr Schweigen Snarres Unruhe.

„Sie schweigen! Sie glauben, daß ich Ihnen etwas verhehle, Fräulein Dina?“ begann er wieder und richtete einen bittenden, fast flehenden Blick auf das Mädchen.

„Ja, Herr Graf! Ich glaube, es war noch etwas anderes mit im Spiel, das Sie mir und vielleicht sich selbst verhehlen. Daß Sie uns nicht absichtlich kränken wollten, nehme ich als erwiesen an, aber gerade daß Sie es unbewußt thaten, daß Ihnen“ – hier stockte Dina und erröthete tief – „Ihr Herz nicht eine andere, zartere Form eingab, uns – mir Ihr Verhalten in einer jedes Mißverständniß ausschließenden Weise zu erklären, das – –“

„Das? Fräulein Dina!“ rief er drängend, da sie aufs neue stockte.

„Das beweist mir, daß eben der kühle Verstand, ja sogar die flüchtige Laune eine stärkere Sprache bei Ihnen spricht, als das Herz, und daß das letztere in allen Fällen unterliegen muß, wo die ersteren sich einmischen, und das“ – wieder unterbrach sich Dina und Thränen zitterten in ihren Augen, als sie schloß: „das – schnitt mir ins Herz, Herr Graf –“

„Dina!“ rief Snarre, indem er ihre Hände, die sie, um ihm ihre Thränen zu verbergen, vor das Gesicht geschoben, ergriff und mit Küssen bedeckte – „Dina, mein süßes, süßes Kind! Sag’, hast Du mich lieb und glaubst Du, daß es die Sprache des Herzens ist, wenn ich Dich frage: Willst Du die Meine sein, mein Weib, mein guter Kamerad fürs ganze Leben? Willst Du, Dina?“ und er sank in übermächtiger Bewegung vor ihr auf die Kniee.

„O, stehen Sie auf, ich bitte Sie, Herr Graf!“ flüsterte Dina aufs höchste verwirrt, indem sie ihm mit abgewandtem Blick ihre Hände zu entziehen suchte.

Aber er preßte sie nur um so fester an sich. „Nicht mehr Herr Graf, nenne mich nicht so, Dein bester Freund ist es, der vor Dir knieet, und von diesem Augenblick an Dein Bräutigam, wenn Du ihn erhörst. O, wende Deine Augen nicht fort, laß mich die Thränen, die meine Schuld ihnen entlockt und die mir doch ein Beweis Deiner Liebe sind, wegküssen! Dina, ich flehe Dich an, sprich, willst Du mein sein?“

Da wendete sie ihr Haupt, unter Thränen lächelnd, glückstrahlend ihm zu. „Ja, ja –“ klang es von ihren Lippen, und das Wort riß ihn vom Boden empor, selig zog er die nicht mehr Widerstrebende an seine Brust und drückte heiße Küsse auf ihre Lippen.


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Zu Tromholt ins Comptoir trat am Vormittag des nächstfolgenden Tages Graf Snarre. In seinem Angesicht spiegelten sich die Eindrücke des Geschehenen lebhaft wieder. Fröhlich strahlende Augen verriethen, welch glückliche Empfindungen ihn beherrschten. Mit herzlicher Wärme verkündete er Tromholt seine Verlobung.

„Jawohl, Tromholt,“ sagte er, „wo zwei Menschen glücklich werden, da müssen Sie das Ihrige mit dazu beitragen. Seit gestern weiß ich, wie Sie bei meiner Braut für mich eingetreten sind; ohne Ihren freundlichen Zuspruch wäre sie gleich nach meiner Ankunft vor mir geflohen, und wenn sich die Mißverständnisse inzwischen so rasch und befriedigend geklärt haben, so danke ich das Ihnen. – Doch jetzt, mein hochverehrter Freund, zu anderen Dingen! Da ich meiner mir vorausgereisten Braut versprochen habe, baldmöglichst nach Kiel zurückzukehren – und Sie begreifen, wie sehr mich danach verlangt – was thun wir mit den Limforder Werken? Ich will sie jetzt um so eher und unter allen Umständen veräußern. Ich bitte, helfen Sie mir! Sehen Sie, ich habe einen Plan, der, wie ich glaube, uns allen dienen kann. Bilden wir eine Aktiengesellschaft! Ich will für eine Zeitdauer von fünf Jahren eine Zinsgarantie von fünf Prozent übernehmen, das macht bei einer halben Million Thaler fünfundzwanzigtausend Thaler, also während fünf Jahren hundertfünfundzwanzigtausend Thaler. Mit dieser und nöthigenfalls mit der doppelten Summe will ich mich selbst, wenn Sie sich zur Uebernahme der obersten Leitung verstehen, als Aktionär betheiligen, und mein Aktienbesitz soll, abgesehen von meiner sonstigen Haftbarkeit, als Bürgschaft dienen und bei einer Bank zu Gunsten der Aktionäre niedergelegt werden. Ich will nur nichts mehr mit der Verwaltung zu thun haben – nichts, gar nichts mehr von den Werken hören und sehen als den jährlichen Rechenschaftsbericht. Sie können dann auch Ihren Schwager, Herrn von Alten, mit dem ich, wie Sie wohl erfahren haben, inzwischen schwer auszugleichende Meinungsverschiedenheiten hatte, dort verwenden. Ich möchte ihn natürlich nicht brotlos machen und will auch gleich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_663.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)