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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

bemerken, daß ich unter allen Umstanden mich umgesehen haben würde, ihm etwas Einträgliches zu verschaffen. Schon die Rücksicht auf Sie und Ihre von mir sehr verehrte Frau Schwester würde mich dabei geleitet haben. Nun, Tromholt, was meinen Sie?“

Tromholt, der Snarre bisher ruhig zuhörend gegenübergesessen hatte, war während der letzten Sätze aufgestanden und langsam auf- und abgegangen.

„Es ist eines,“ erwiderte er, „was mich Ihr Anerbieten in Betracht zu ziehen zögern läßt, Herr Graf. Sie legen besonderes Gewicht auf meine Person, ich aber –“ bei den folgenden Worten blieb Tromholts Miene durchaus unverändert, während Snarre erschrocken zusammenfuhr – „werde schon deshalb mich nicht betheiligen können, weil es neuerdings mit meinem Auge sehr schlecht steht und ich genöthigt bin, mich einer Operation zu unterwerfen, deren Erfolg sehr zweifelhaft, die aber nach dem Ausspruch der Aerzte das einzige Mittel ist, mich vor völliger Erblindung zu bewahren. Ja, ja, lieber Herr Graf, ich darf mich dieser Erkenntniß nicht länger verschließen, und was dann? Vielleicht, hoffentlich kann ich auch ferner noch mein hiesiges Geschäft fortsetzen, aber die Verantwortung für Limforden und Trollheide zu übernehmen, ist unmöglich, obgleich sie mir an sich nahe stehen, da ich der Schöpfer des Gedankens bin und das allerlebhafteste Interesse an dem Gedeihen habe. Sie verstehen das, nicht wahr?“

Und ehe noch Snarre seiner Bestürzung Ausdruck zu geben vermochte, fuhr er fort:

„Ich sollte aber denken, Ihr Plan ließe sich auch ohne mich ausführen, und da nun so greifbare und, wie ich gestehe, das Zustandekommen sehr erleichternde Vorschläge von Ihnen gemacht sind, denke ich, daß hiesige Kapitalisten nicht mehr zögern werden. Die Sache ist gut, der Absatz ist gesichert und in stetem Steigen begriffen, auch die Seen sind nunmehr sämmtlich trocken gelegt und für die Bepflanzung reif. Der Ertrag wird bei günstiger Ernte bereits im nächsten Jahr ein sehr erheblicher sein, also alle Aussichten liegen günstig. Warum sollten die Banken zögern? Lassen Sie es meine Aufgabe sein, das Geschäft mit ihnen zu Ende zu führen. Ich kenne ja die Dinge dort und hier sehr genau. Sie sollen von mir brieflich über den Gang der Verhandlungen auf dem laufenden erhalten werden, und wenn ich, wie es meine feste Absicht ist, demnächst noch vor der entscheidenden Operation, für die man mir den Kieler Professor Völkers empfohlen hat, nach Limforden komme, die Meinigen noch einmal, vielleicht zum letztenmal zu sehen, so hoffe ich, Ihnen den glücklichen Abschluß melden zu können.“

Snarre machte ein überaus befriedigtes Gesicht und in seine kleine, aristokratische Gestalt trat eine lebhafte Bewegung. Etwas beschäftigte ihn jedoch noch. „Und was wird aus Alten?“ wandte er zögernd ein.

„Sorgen Sie nicht für Alten,“ erwiderte Tromholt, „er soll kein Hinderniß für Ihre Entschlüsse bezüglich Limfordens sein. Ich werde meinen Schwager hier in meinem Geschäfte anstellen, ja, ich muß dies unbedingt, wenn ich mein Auge auch nicht verlieren sollte. Auch in diesem günstigsten Fall werde ich in Zukunft jede meine Sehkraft übermäßig anstrengende Thätigkeit vermeiden müssen. Aber ganz ohne Geschäft kann ich nicht leben, auch wenn mir meine materiellen Mittel dies erlaubten; stillsitzen vermag ich nicht und mein Geist muß Bewegung haben, auch wenn es für immer Nacht vor meinen Augen werden sollte. Da ist mir denn Alten ein willkommener, ja geradezu ein unentbehrlicher Führer!“

Snarre hörte staunend zu. Welch eine Kraft der Entsagung und zur Unterwerfung in das Unvermeidliche besaß dieser Mann! Er überwand das Schwerste durch seine Willensstärke.




20.

Nach Snarres Abreise war Tromholt ganz von der Beschäftigung mit Ingeborgs Nachlaß und der ihm von dem Grafen übertragenen Angelegenheit in Anspruch genommen. Rascher, als er dies selbst gehofft hatte, führte er die letztere zu einem befriedigenden Ende, dank dem großen Ansehen und Vertrauen, dessen er in der Geschäftswelt Kopenhagens sich erfreute. Utzlar schwamm nach einem ergreifenden Abschied von dem Manne, dem er das Leben gerettet hatte, um ein neues von ihm zu empfangen, mit der ihm vor der Abreise angetrauten Agnes bereits auf hoher See. So stand denn auch Tromholts Fahrt nach Limforden und Kiel kein Hinderniß mehr im Wege. Die Aerzte, welche ihm die Befragung ihres dortigen berühmten Fachgenossen empfohlen hatten, riethen dringend, nicht länger mit dem entscheidenden Schritt zu zögern, und er selbst fühlte es, daß Eile noththue.

Der starke, zielbewußte Mann befand sich in einer unbeschreiblichen Stimmung. Zum erstenmal in seinem Leben vielleicht schwankte er in seinen Entschlüssen bezüglich dessen, was für ihn in der nächsten Zukunft zu thun sei. Herz und Vernunft, Pflicht und Liebe stritten in ihm den schwersten Kampf, über dessen Ausgang er sich selbst nicht klar wurde.

Einestheils konnte er nach dem Inhalt der Schriftstücke, die Ingeborgs letztes Vermächtniß an ihn bildeten und die er immer und immer wieder in sein Gedächtniß zurückrief, kaum länger zweifeln, daß Susanne ihn liebe, sich in heimlicher Sehnsucht nach ihm verzehre und daß sie, wenn auch zu stolz, den ersten Schritt zu thun, doch einer Werbung von seiner Seite freudigen Herzens zustimmen würde. Oder war es möglich, daß Dina sich selbst und Ingeborg getäuscht hätte? – Nein, nein, ihre Briefe an die nun hingegangene Freundin trugen unverkennbar den Stempel unmittelbarster Beobachtung. Und wie hätte ihn Ingeborg in ihrer Todesstunde zum Mittwisser eines Geheimnisses machen können, von dessen Wahrheit sie nicht selbst völlig überzeugt war, sie, die ihm damit das größte Opfer darbot, das ein Weib dem Manne, den sie liebt, zu bringen vermag!

Sein eigenes Herz sagte es ihm selbst tausendmal: „Eile zu ihr, sie liebt dich! Verlängere nicht ihre Qual und die deine. Lange genug habt ihr beide in gegenseitiger Entsagung gelitten, euch ferne von einander in stummem Gram verzehrt. Nun winkt euch das Glück, das höchste, das ihr ersehnt!“

Wie gerne wäre er der Stimme des Herzens gefolgt, hätten nicht Vernunft und Pflichtgefühl ihren Einspruch dagegen erhoben! Durfte er bei dem Entsetzlichen, mit dem ihn die Zukunft vielleicht bedrohte, ihr Leben jetzt noch an das seinige, an das eines Blinden fesseln? Würde sie nicht, wenn sie jetzt auch diesen Einwand nicht gelten ließ und seine Werbung annahm, später, wenn das Gefürchtete wirklich eintrat, den Schritt doch bereuen, und würde er selbst sich nicht bittere Vorwürfe zu machen haben, wenn er ihr freiwilliges Opfer hinnahm, Vorwürfe, die ihm sein ohnehin hartes Los noch schwerer erträglich machen würden? Konnte er ihr jetzt noch das Glück an seiner Seite bieten, das sie nach seiner Ansicht verdiente?

Solche Fragen beantworteten Pflicht und Vernunft mit einem grausamen Nein! Freilich, es kam dazwischen auch noch eine andere Stimme zum Wort, die Stimme der Hoffnung. Wenn die Operation gelänge, wenn das Gefürchtete nicht einträte, dann, ja dann! Aber diese Stimme klang nur schwach und schüchtern. – – –

So trat Tromholt die Reise an. Der vorläufige Entschluß, zu dem er gekommen war, ging dahin, erst in Limforden das Geschäft zum Abschluß zu bringen, einige Tage bei den Seinigen dort zu verweilen und sich dann in Kiel, ohne Susanne vorher gesehen und gesprochen zu haben, der Operation zu unterziehen, von deren Erfolg alles Weitere abhing.

Er hatte den Grafen Snarre und Alten von seiner Ankunft telegraphisch benachrichtigt und traf daher den ersteren, hochbefriedigt über den Gang, den die Dinge genommen hatten, gleichfalls in Limforden.

Die ersten Tage seines Aufenthalts dort waren einer eingehenden Besichtigung der Werke gewidmet, die Tromholt im besten Stand fand, sowie der Inventuraufnahme, dem Verkehre mit den Kaufliebhabern, kurz allem, was auf eine rasche, alle Theile befriedigende Erledigung dieser dem Grafen wie ihm selbst gleich sehr am Herzen liegenden Angelegenheit hinzielte. Nachdem dies erledigt war, kehrte der Graf nach Schloß Snarre zurück und Tromholt blieb bei Alten in Limforden.

Das Glück, den lang entbehrten Bruder und Schwager wieder bei sich zu haben, die frohe Aussicht, bald ganz mit ihm vereinigt zu sein, versetzten Bianca und ihren Gatten in eine überaus gehobene Stimmung; der letztere vergaß darüber sogar, dem in seinem Herzen angehäuften Groll gegen Snarre in seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_664.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)