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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

es bei den Haaren und schneidet ihm den Hals entzwei, schlachtet es hierauf ordentlich aus, wie ein Fleischer sein Fleisch in Stücken haut, und nachdem er diese schreckliche That verrichtet, so kocht er davon und ißt. Allein wie konnte die Rache Gottes hierzu stillschweigen? Das Mägdlein wurde gesucht, aber nicht gefunden. Endlich sieht eine ihm gegenüberwohnende Bauersfrau, daß sich Goldschmidt unter (während) der Kirche gar sehr beschäftigt und immer etwas verdeckt aus seinem Hause in einen daran liegenden Keller trägt, dabei sie auch gewahr wird, wie ein Zipfel von des ermordeten Mägdleins Rock unter dem seinigen hervorguckt; da sie denn solches anzeigt, worauf der Mörder sogleich eingesetzt wurde. Man fand nun das zerhackte Mägdlein, welches in einem Sacke hiehergebracht wurde, und sahe es fast nicht für Menschenfleisch an, so reinlich und kochstückenartig hatte es der Mörder zerhackt. Der Mörder gestand bald seine bösen Thaten und wurde darauf lebendig von unten hinauf gerädert.“

Hier ist also noch etwas mehr als die Schandthaten des Mörders Raskolnikow, dessen unheimliche, von Dostojewskij erzählte Geschichte jetzt in Leipzig als Drama aufgeführt ward, und dabei ein Verbrechen, das nicht bloß der Phantasie eines Romanschriftstellers angehört; die Akten (aus denen übrigens hervorgeht, daß der Mord keine anderen Beweggründe gehabt hat) sind noch vorhanden und wurden bisher von dem Amtsgericht zu Blankenhain (Vieselbach) zu näherer Kenntnißnahme mehrmals, zum Beispiel dem Herrn Oberforstmeister Schatter, der einen Vortrag über die Sache halten wollte, ausgefolgt.

In dichten und abgelegenen Wäldern, in solchen Winkeln der Erde scheint die Weltgeschichte stillzustehen: hier halten sich mitunter seltsame Originale und Ueberlebsel längst vergangener Zeiten. Daß in vorgeschichtlichen Perioden die Menschenfresserei allgemeiner gewesen ist, wird durch Knochenfunde in Höhlen Italiens, Belgiens und Frankreichs höchst wahrscheinlich; sämmtliche menschliche markhaltige Knochen der Höhle von Chauvaux bei Namur waren künstlich geöffnet – „Und sogen als Kraftsaft das Mark.“ Nicht bloß auf den Westindischen Inseln, auch in unserem Europa lebten Kannibalen. – Bekanntlich sollen die ersten Kannibalen die Bewohner der Karibischen Inseln gewesen sein, welche ihre getödteten Feinde zu verzehren pflegten (angeblich spanisch Canibal = Caribal); in Ungarn wie auch in den deutschen Forsten gab es menschenfressende Ungeheuer oder Oger – dieses Wort, französisch Ogre, vielleicht eher mit dem lateinischen Orcus (Unterwelt) zusammenhängend, ist lange auf die Ungarn bezogen worden, welche im Mittelalter den Westen verwüsteten (angeblich französisch Ogres = Hongres, Hongrois, Oigours). Die Erinnerung an diese dunkeln Zeiten klingt noch heute in den Weihnachtsvorstellungen der Leipziger Kinder nach, wenn im dritten Akt ein finstrer Wald erscheint und eine erste Verwandlung die Graue Frau, eine zweite den Menschenfresser bringt. Einzelne Menschenfresser fanden sich übrigens von jeher auch in civilisierten Staaten – in Italien und Deutschland läuft eine und dieselbe Schauergeschichte von einem Fleischer um, der in seinem Keller Menschen verwurstete. Civilisation! Wir müssen nicht allzu stolz sein auf unsere Civilisation; etwas Barbarei ragt am Ende heute noch hinein. In Quedlinburg wurde noch 1750 ein Zauberer geviertheilt, in Würzburg 1780 eine Hexe verbrannt, 1772 in Berka an der Ilm, wo man jetzt mit Liebe behandelt, aber keineswegs aufgegessen wird, in den herrlichen Wäldern Gesundheit und edle Pilze sucht und (bei Schloß Rodberg) in Waldschlafstätten ruhig schläft, der letzte Menschenfresser gerädert. Rudolf Kleinpaul.     

Gustav zu Putlitz †. Es war im Jahre 1858, als sich in der schlesischen Hauptstadt in einem am Schweidnitzer Stadtgraben gelegenen Hotel eine Gemeinde von Dichtern, Künstlern und Kunstfreunden versammelt hatte. Eines jener theatralischen Ereignisse, die wohl zu den Seltenheiten gehören, hatte den Anlaß zu diesem künstlerischen Stelldichein in Breslau gegeben; es handelte sich um die erste Aufführung eines neuen Schauspiels, dessen Hauptrollen mit den ersten Kräften des Wiener Hofburgtheaters besetzt waren. Und in der That führte eine geistvolle Schauspielerin den Vorsitz an den geselligen Abenden, welche dem Tage der Aufführung vorausgingen. Es war Julie Rettich, die Schülerin Ludwig Tiecks, die Freundin Friedrich Halms, als stilvolle Künstlerin eine Zierde des Burgtheaters, als eine klardenkende, für ihre Aufgaben hochbegeisterte Frau eine Zierde der deutschen Bühne überhaupt. Neben ihr saß Joseph Wagner, der damalige erste Liebhaber des Burgtheaters, ein feuriger Darsteller mit seelenvollen Augen und ausdrucksvollen Gesichtszügen, aber von einer Schweigsamkeit, welche ihn selten aus sich heraustreten ließ; diese Innerlichkeit seines Wesens machte ihn zu einem der besten Darsteller des Hamlet, welche die deutsche Bühne gesehen.

Auch er war von Wien herbeigekommen, um mitzuwirken bei der ersten Aufführung des Schauspiels „Das Testament des Großen Kurfürsten“, dessen Dichter, Gustav zu Putlitz, den Mittelpunkt unseres Kreises bildete; ich selbst lebte damals in Breslau und verfehlte nicht, den Sangesgenossen aufzusuchen, auch der damalige Regierungsassessor Alfred von Wolzogen war anwesend, der sich durch seine Theaterkritiken und Schriften über bildende Kunst einen Namen gemacht hat. Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß unser kleiner Kreis diese zwei Männer in sich schloß, welche später nacheinander die Intendanz des Schweriner Hoftheaters bekleiden sollten.

Wir waren natürlich in großer Spannung wegen des Erfolges; denn es war der erste Versuch des Dichters auf dem Gebiete des ernsten Schauspiels, nur ein daran streifendes geschichtliches Intriguenstück war ihm vorausgegangen: aber wir konnten bald einen glänzenden Erfolg feiern. Das vorzügliche Spiel der beiden Wiener Gäste trug nicht wenig zu demselben bei. Von Breslau aus nahm das Stück seinen Weg über die beiden Hoftheater von Wien und Berlin und ging über fast alle deutschen Bühnen, wie wir’s in gehobener Stimmung nach der Aufführung prophezeiten. Was Putlitz vorher geschaffen, war so gänzlich anderer Art, daß man ihm damals kaum den dichterischen Schwung der Tragödie zugetraut hätte. Seine Märchendichtung „Was sich der Wald erzählt“ (1850), welcher ähnliche Plaudereien aus dem Reiche der beseelten Blumen folgten, wies ebensowenig auf ein Geschichtsdrama hin wie seine bereits an vielen Bühnen aufgeführten behaglichen dramatischen Einakter, wie „Badekuren“, in denen er sich schon damals wie auch in seinen späteren Lustspielen an das bürgerliche Lustspiel von Roderich Benedix anlehnte. Obschon aus einem alten kurmärkischen Geschlechte stammend (er war am 20. März 1821 zu Retzien in der Priegnitz geboren), hatte er durchaus nicht, um mit Heine zu sprechen, das Wesen eines „ukermärkischen Granden“; es lag in seiner Natur ein jovialer Grundzug, und auch den Dichter der träumerischen Wald- und Blumenlyrik hätte man sich anders gedacht.

Gustav zu Putlitz steuerte nur sechs Jahre lang in dem Kurs des historischen Dramas, als dessen begabter Vertreter er damals in Breslau seine ersten Lorbeeren errang, Für Julie Rettich hatte er auch die Hauptrolle in seinem nächsten Trauerspiel „Don Juan d’ Austria“ (1860) geschrieben; es folgte „Waldemar“ (1862), in welchem Stücke er den echten letzten Askanier zum Helden machte; dann legte der Dichter die Feder des historischen Dramatikers nieder. Mißstimmung über Publikum und Kritik gab ihm wohl hauptsächlich den Anlaß zu diesem Verzicht auf ein Weiterschreiten in der so erfolgreich betretenen Bahn. Namentlich die Wiener Kritik zerpflückte seine Werke aufs grausamste; das Publikum selbst schenkte dem geschichtlichen Trauerspiel nur geringen Antheil.

Seit jener Breslauer Zusammenkunft habe ich stets mit warmem Antheil den Lebenslauf des Dichters verfolgt: ich freute mich, daß seine Berufung nach Schwerin als Intendant des Hoftheaters (1863) ihn der Bühne wieder näher führte, und in der That hat er seitdem einige seiner besten frischen Lustspiele: „Spielt nicht mit dem Feuer“, „Gut giebt Muth“ und andere geschaffen, von denen „Die alte Schachtel“ und „Das Schwert des Damokles“ besonders volksthümlich geworden sind. Im Jahre 1867 wurde er Hofmarschall des preußischen Kronprinzen, lebte dann längere Zeit in Berlin, bis ihm 1873 die Generaldirektion des Karlsruher Hoftheaters anvertraut wurde, die er bis zu seinem Todesjahr führte. Ein schwerer Schlag für ihn war der Tod seines talentvollen Sohnes, der als Berliner Privatdocent durch Selbstmord endete, infolge getrübter Familienverhältnisse. Die tiefe Erschütterung beugte den Vater danieder; er war seitdem ein gebrochener Mann, auch von körperlichen Leiden heimgesucht. Am 5. September dieses Jahres ist er auf seinem Familienschloß Retzien gestorben.

Viele unserer Leser werden den dramatischen Dichter auch als liebenswürdigen Erzähler kennen; in den letzten Jahrzehnten hatte er sich vorzugsweise der Novelle zugewendet. „Die Nachtigall“, „Die Alpenbraut“, „Das Frölenhaus“, das „Maler-Majorle“ und andere Erzählungen zeugen oft von einer kernhaft tüchtigen Darstellung bürgerlichen Lebens. Um das deutsche Theater hochverdient, ein vielseitiger, ebenso frischer wie geistig feiner Dichter, hat Gustav zu Putlitz sich ein ehrenvolles Gedächtniß bei unserem Volke gesichert. R. v. Gottschall.     

Eigenthümliches Trinkgefäß der Helgoländer. Die Bewohner von Helgoland sind sehr tüchtige Trinker; und wenn sie trotzdem den Ruf der Nüchternheit genießen, so mag das nur daher rühren, daß sie so viel vertragen können, daß sie auch bei großartigen Leistungen im Trinken „nichts spüren“. Nach einer Sage soll einmal ein großes Kruzifix zusammen mit einer Glocke an die Insel angeschwemmt worden sein. Mit dieser Glocke konnte man nun, was für Fischer und Schiffer sehr vortheilhaft war, den Wind machen. Für den Fischfang der Insulaner war zu manchen Zeiten ein anhaltender Ostwind von besonderem Werth. Um sich denselben vom Himmel zu erflehen, zogen die Fischer in Prozession in die Kirche, beteten vor dem Kruzifix ein Vaterunser, füllten die Glocke mit starkem Getränke und tranken einander der Reihe nach die Gesundheit zu: „Auf eine glückliche Zeit und Ostwind!“ Wurde hierdurch nicht ein günstiger Wind erzielt, so wiederholte man das Verfahren – und der Erfolg blieb nicht aus. Der holsteinische Ritter Bertram Pogwisch hat noch zu Ende des 16. Jahrhunderts diesen sonderbaren Gebrauch mitgemacht und sich aus der merkwürdigen Glocke „einen gelinden Westwind ertrunken“, mit dessen Hilfe er ganz gemüthlich nach Eiderstedt segelte.


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

M. in H. Auf Ihre Anfrage: „Wie kann man Blätter oder auch Zweige mit Früchten bezw. Fruchtknoten auf beliebige Zeit in ihrer natürlichen Farbe grün und elastisch erhalten?“ theilen wir Ihnen folgendes mit: Man bringt die Blätter, Zweige oder Früchte in eine aus 20procentigem Alkohol und etwas saurem schwefligsauren Kalk bestehende Flüssigkeit. Färbt sich der aufgegossene Alkohol, so wird er durch neuen ersetzt. Den saueren schwefligsaueren Kalk setzt man stets erst zu dem mit dem Alkohol übergossenen Präparate. Die Menge des Kalksalzes richtet sich nach der Beschaffenheit des aufzubewahenden Pflanzenkörpers. Bei grünen Pflanzenkörpern setzt man auf 200 Kubikcentimeter Alkohol nur 1 bis 2 Tropfen der 7 bis 8 % schweflige Säure enthaltenden Lösung zu. Dieses Verfahren stammt von Prof. Dr. J. Neßler. Die Präparate Neßlers von weißen und grünen Trauben, von Rebtheilen und Blättern, ja selbst mit Insekten, befinden sich in Stopfgläsern und stehen, ohne sich zu verändern, jahrelang in einem hellen Zimmer in einem Glasschrank. Ich empfehle außerdem, mittelst Chlorophylls die grüne Farbe der Blätter zu heben, indem man das Chlorophyll in Alkohol löst.

Luise Sch. in Karlsruhe. Sie möchten wissen, wie sich Angst und Scham oder Zorn bei den Negern äußern, da diese doch nicht blaß oder roth werden können wie wir weißen Menschenkinder. Bekanntlich werden die Erscheinungen des Blaßwerdens und Erröthens durch den Einfluß der Nerven auf die Blutgefäße hervorgerufen. In dem ersten Falle werden die Blutgefäße zusammengezogen und das Blut nur in geringen Mengen der Haut zugeführt, in dem anderen werden sie erweitert, und den betreffenden Theilen des Körpers wird mehr Blut zugeführt. Derselbe Vorgang spielt sich nun auch im Negerorganismus ab. Es ist bekannt, daß Gesichtsnarben bei Negern sich in gegebenen Fällen röthen. Dr. Eugen Wolf, der berühmte Afrikareisende und ehemalige Genosse Wißmanns, berichtet, daß bei Angst, Kälte und Hunger, wo der Weiße blaß wird, die Hautfarbe des Negers ein graues Ansehen bekommt, während sie bei Zorn und nach genossener Mahlzeit – Umstände, die des Weißen Antlitz zu röthen pflegen – dunkler wird. Die Neger, die nach Europa gebracht werden, „bleichen oft aus“; dieses Ausbleichen läßt sich durch die geringere Blutfülle der Haut erklären, da die Neger in unserem Klima zumeist krank werden, also nach unseren Begriffen blaß aussehen.

O. S. in Baden-Baden. Als eine Ihren Wünschen entsprechende Zeitschrift für Mädchen von 11 bis 16 Jahren nennen wir Ihnen „Das Kränzchen“. Dasselbe erscheint wöchentlich und ist in jeder Buchhandlung zu haben.


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