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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

welche der Bühne treu geblieben sind, wie Paul Richard, der Darsteller des Julius Cäsar, der diesen wie ähnliche Rollen mit edler Haltung giebt; als vorzüglicher Heldenspieler gehörte Nesper längere Zeit der Meininger Bühne an. In Teller und Weiser besaß sie hervorragende Charakterspieler; der König Karl IX. des ersteren ist ebenso bedeutend wie der Shylock, der Orest des letzteren. Im übrigen hat vielfacher Wechsel stattgefunden, und es ist vorzugsweise das Gesammtbild der letzten Jahre, das uns hier vorschwebt und beschäftigt. Unter den tragischen Liebhabern der Gegenwart nimmt Alexander Barthel eine hervorragende Stelle ein; gewinnende Erscheinung und Stimme, hinreißendes Feuer einer dabei maßvoll geregelten Darstellung sind Vorzüge, die seinem Marc Anton, seinem Navarra, wie seinem Karl Moor und Jaronmir zu statten kommen.

„Der eingebildete Kranke“ von Moliere.

Die Reden des Marc Anton trägt er mit meisterlichem Verständniß und hinreißendem Schwung vor. Als erste tragische Liebhaberin hat in den letzten Jahren Amanda Lindner, besonders in Berlin als Jungfrau von Orleans, Aufsehen erregt; der Adel der Erscheinung und der edle Schwung ihres Spiels zeigte sich auch in anderen Rollen, wie als Margarethe von Valois; in sentimentalen und muntern Rollen war Frau Prasch-Grevenberg beliebt; Frau Marie Berg, Fräulein Wasserburger und Frau Teller zeichneten sich in der Darstellung älterer Rollen aus. Treffliche Komiker waren Hassel und Goerner. Die Herren Hellmuth Bräm und Arndt, die jetzt in Berlin und Wien engagirt sind, waren tüchtige Talente; auch Joseph Kainz, als Vorgänger von Barthel, und Max Grube waren längere Zeit ständige Mitglieder der Meininger Truppe.

Es waren vor allem Shakespeares und Schillers Meisterwerke, die das Repertoire der Meininger bildeten. Außer „Julius Cäsar“, ihrem Glanzstücke, und dem stimmungsvoll eingerichteten „Kaufmann von Venedig“ hatte auch „Das Wintermärchen“, nach unserer Ansicht eine der schwächsten Dichtungen des großen Briten, aber ergiebig für phantasievolle Belebung und Einrichtung auf der Bühne, bedeutenden Erfolg. Ebenso gefiel „Was Ihr wollt“, ein Lustspiel, dessen Komik mit kräftigen Zügen von den Darstellern zur Wirkung gebracht wurde. Moliere erschien mit dem Hintergrunde der Rokokozeit. „Der eingebildete Kranke“, aus dem wir eine Scene[1] vorführen, sagte dem Publikum in der knappen Fassung der scenischen Einrichtung besonders zu.

„Die Jungfrau von Orleans“, „Wilhelm Tell“, „Maria Stuart“, „Fiesko“, die Wallensteintrilogie waren Glanzleistungen der Meininger. Von Kleist wurde besonders „Die Hermannsschlacht“ mit allen ihren wilden Scenen gegeben; von Grillparzer die düstere „Ahnfrau“ mit ihrer fahlen poetischen Beleuchtung und das köstliche Fragment „Esther“.

Von neueren Dichtern bevorzugte der Herzog die Vertreter der kraftgenialen Richtung: Albert Lindners „Bluthochzeit“, Arthur Fitgers „Hexe“ und „Rosen von Tyburn“, die beiden ersten Dramen mit unbestrittenem, das letztere wegen des grellen Schlußaktes mit schwankendem Erfolg. Auch Lord Byrons „Marino Faliero“ wurde gegeben, doch konnte diese Aufführung nur als ein interessanter Versuch betrachtet werden.

Nicht ohne Wehmuth gedenken wir dieser jetzt nur der Theatergeschichte angehörigen Vorführungen, die ein für allemal der Vergangenheit anheimgefallen sind. Möge der künstlerische Geist, der das schöne und großartige Theaterunternehmen beseelte, mit ihm nicht abgestorben sein, sondern in irgend einer neuen Gestalt neue Früchte zeitigen.

  1. Die des 7. Auftrittes der ersten Handlung, in welcher Belinde dem eingebildeten Kranken, Argan, den Pelzrock giebt und ihn die Nachtmütze fest bis über die Ohren ziehen läßt, ihn in seinen Lehnstuhl setzt und von allen Seiten mit Kissen, welche Toinette herbeischleppen muß, bestopft.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_719.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)